Tradition und Moderne aufs Allerfeinste verbunden

Caroussel

Die Palmen sind weg! Nicht schlimm. Der Teppich ist weg! Schon gar nicht schlimm. Die Kerzen sind weg! Oh, wie das? Wo bleibt denn da die berühmte German Gemütlichkeit? Sparen sie jetzt etwa an diesem angeblich so sinnstiftendem Detail im Caroussel, dem ausgezeichneten (im wörtlichen wie übertragenen Sinn: ein Stern von den Michelin-Testern, 17 Punkte beim Gault Millau) Gourmetrestaurant im Bülow Palais? Nein, sie sparen nicht – eher im Gegenteil: auf jedem Tisch steht eine sehr stylishe Lampe, kabellos und individuell dimmbar – zwischen aus über gemütlich bis zu schaun-mer-mal-genauer-was-da-auf-dem-Teller-ist. Die Generation Instagram nickt anerkennend und findet sich ebenso wieder wie die weniger trendige, aber nie aussterbende und auch alterslose Generation Romantik. Nur Candlelight-Dinner gehen nicht mehr wirklich, aber die gibt es sowieso nicht im Programm des Restaurants.

Statt dessen: Zwölf Gerichte, die das Team um Benjamin Biedlingmaier (dann inklusive Käse vom Wagen) zu zwei 7-Gang-Menüs gruppiert hat – als Vorschlag gedacht, aus dem man sich aber je nach eigenem Gusto auch selbst Passendes zusammenstellen kann. Die Beschreibung der einzelnen Gänge klingt extrem unaufgeregt, was dann freilich konträr zum Ergebnis ist, das in malerischer Optik und mit aufregend anregendem Geschmack serviert wird – übrigens ausschließlich auf Meissener Porzellan. Dabei bilden die Teller, Platten, Schüsseln und Tassen der Serie „Wellenspiel Relief“ eine gute Grundlage für Biedlingmaiers Essen, verbinden sie doch Tradition und Moderne auf allerschönste Weise.

AperoDer Abend im Caroussel beginnt sehr klassisch. Und damit meine ich nicht den Aperitif, den die Restaurantleiterin Jana Schellenberg vom Wagen (farblich natürlich im passend abgestimmten Grau, der Wagen!) anbietet – dazu gleich mehr. Nein, zuerst serviert man uns ein feuchtes heißes Tuch – auf Wellenspiel, natürlich. Wohltuend! Und danach wirkt der Apero natürlich gleich doppelt erfrischend: zur Auswahl stehen zwei Sekte (Pinot Rosé von Schloss Proschwitz und Sauvignon Blanc von Bassermann-Jordan), zwei Champagner (Ruinart Rosé und Baron de Rothschild Brut) oder ein White Port Tonic sowie natürlich ein alkoholfreier prickelnder Traubensaft. Die Küche weiß, dass Gäste auch schon vor der Entscheidung des eigentlichen Menüs Appetit haben und schickt hausgemachtes Kartoffelbrot mit Sonnenblumenkernen, gesalzene Butter, Olivenöl aus Spanien und Meersalz einerseits (Kategorie: macht süchtig, lass es bloß schnell abräumen! oh, zu spät…) und ein erfrischendes Paprika-Dreierlei mit Sauerampfersud und Macadamianüssen andererseits. Wir hatten uns mittlerweile für eins der beiden vorgesehenen Menüs entschieden, ursprünglich in fünf Gängen, die wir später spontan um den Käsegang ergänzten. Bis das kam, grüßte die Küche ein weiteres Mal, wieder vegetarisch. Fenchel und Passionsfrucht umspielten miteinander die Geschmacksknospen und machten deutlich Lust auf mehr.

Das Menü

Auf der aktuellen Abendkarte werden die Menüs in vier, fünf, sechs und sieben Gängen angeboten (105/120/135/150 €; in Klammern der jeweilige Einzelpreis außerhalb des Menüs).

Faux Gras – Rhabarber, Paprika & Gin

Der Start ins Menü ist ein Gesprächsanreger: „Faux Gras“ – Rhabarber, Paprika & Gin (€ 29,00). Die faux gras ist die Antwort von Benjamin Biedlingmaier auf wachsendes Unbehagen gegenüber der foie gras – nicht nur bei Gästen, sondern auch bei ihm und in seinem Team. Also entwickelten sie in der Küche des Caroussel, was sich leichter schreiben als machen lässt, eine vegetarische Variante zur fetten Leber und freuten sich, dass nach zwei Monaten kreativen Experimentierens erste Testesser des falschen Fetts keinen Unterschied heraus schmeckten. Seitdem steht die Faux Gras als signature dish auf der Karte des Sternerestaurants.

Faux GrasDie Köche haben ein gutes Gefühl, dass keine Gans leiden musste für ihre Faux Gras, in der Cashew-Nüsse, Trüffelöl, Pflanzenfett, eine Portweinreduktion und natürlich auch Dinge drin sind, über die man nicht so gerne redet, weil Nachmacher ja schnell zur Hand sind. Mittlerweile betrachtet man im Caroussel die Faux Gras – trotz des Namens mit der lautmalerischen Anspielung – auch als ein eigenständiges Gericht. Wir haben natürlich trotzdem verglichen! Und siehe da: sieht aus wie foie gras, schneidet sich auch so – die Konsistenz ist also durchaus vergleichbar, und das nicht nur am Messer, denn auch auf der Zunge zergeht sie quasi arttypisch. Keine Ahnung, was die Testesser zu dieser Delikatesse getrunken hatten – wir fanden aber beim Geschmack durchaus Unterschiede. Ist natürlich nicht schlimm, denn (siehe oben) es ist ja etwas Eigenes, Eigenständiges. Zusammen mit abgeflämmter Rhabarberstange, einem Paprika-Rhabarber-Sorbet und Julienne von Paprika, die mit Dresdner Gin aromatisiert waren, eine Köstlichkeit. Als passenden Wein hatte Jana Schellenberg dazu einen 2016 Kerner „R“ Pillnitzer Königlicher Weinberg von Klaus Zimmerling (Sachsen) ausgesucht. Zimmerlings Kerner („von den ältesten Reben im Weingut, die im Jahr 1984 von fleißigen LPG-Winzern gepflanzt wurden“ schreibt er auf seiner Webseite) sind ja immer eine Versuchung wert, und dieser halbtrockene Kerner mit seiner lebendigen Fruchtigkeit ist eine sublime Abrundung des Gerichts.

Jacobsmuschelvelouté – Himbeere & Kapuzinerkresse

JacobsmuschelveloutéMit einer ungewohnten Kombination überraschte die Küche bei der Suppe: Jacobsmuschelvelouté – Himbeere & Kapuzinerkresse (€ 24,00). Im Trockendock (also dem Teller noch ohne die Velouté) sieht das auf jeden Fall chic aus und man kann sich schon mal ein wenig vorbereiten auf die Nuancen der dann abgetauchten Zutaten: Kapuzinerkresse als Marinade, als Crème sowie – gut verkleidet – als Mashua (Zimtkartoffel), hinter der sich eine Knollige Kapuzinerkresse verbirgt. Die soll, las ich dann hinterher, antiaphrodisierende Wirkung zeitigen. Ob das die Küche des Caroussel weiß? Und wenn ja: was hat sie sich dabei gedacht? Den Himbeeren bei diesem Gang (als ganze Beere, als Gel und als Staub vorhanden) sagt man derlei jedenfalls nicht nach, und Jacobsmuscheln sollen ja sogar sozusagen anti-antiaphrodisierende Wirkung haben, womit der Gang in dieser Hinsicht als völlig ausgeglichen angesehen werden kann. Bei all diesen tollen Gesprächsthemen könnte man fast den Anlass vergessen: aber ja doch, es war – mit der feinen und schaumig aufgeschlagenen Velouté – noch so ein be-merkenswerter Gang. Zu dem es übrigens, obwohl man das bei einem Suppengang vielleicht gar nicht vermutet, einen Wein gab, und zwar nicht irgendeinen, sondern einen 2016 Les Clous Aimé, Domaine de Villaine, Bourgogne Côte Chalonnaise. Ein kleiner Geheimtipp, denn das biodynamisch arbeitende Weingut hat die selben Besitzer wie die Domaine de la Romanée-Conti – und da weiß man bekanntlich, wie man Wein macht. Dieser reinrassige Chardonnay ist klassisch-elegant, hat schönen Schmelz und ist dabei nicht zu wuchtig. Perfekt zur Velouté (oder gern auch davor und danach).

Kalbsbries – Miso, Rettich & Pflaume

KalbsbriesKalbsbries gehört eindeutig zu den Innereien, die sich zu probieren lohnen – und bei denen man selber ob der Arbeit bei der Vorbereitung gerne mal verzagt. Schön, wenn andere sich die Arbeit machen und auch beim Drumherum genug Geduld an den Tag legen. Kalbsbries – Miso, Rettich & Pflaume (€ 42,00) erfüllte diese Erwartungen. Das Bries mit seinem zarten Fleisch und dem feinen Geschmack auf den Punkt gebacken und dann umgeben von Kalbsjus, Daikon-Rettich (als marinierte Röllchen und zu Spaghettini geschnitzt) und in Pflaumenschnaps eingelegten Pflaumen, dazu kleine Tupfer von Miso-Mayo und so farbenfrohe wie geschmacksintensive Kräuter, die eine Kräuterfrau aus der sächsischen Schweiz ins Haus bringt. Der Wein dazu war ein 2015 Grillenhügel Pinot Noir vom Johanneshof Reinisch in der Thermenregion (Österreich). Das Motto des Weinguts lautet: „Drei Brüder, zwei Regionen, ein Ziel: feiner Wein“ – und was Christian, Hannes und Michael Reinisch aus ihren Weinbergen in Tattendorf und Gumpoldskirchen (in diesem Terroir liegt der Grillenhügel) da mit biologischer Bewirtschaftung herausholen, ist mehr als einen Versuch wert. Lehmige Böden hat der Berg, warme Winde machen den Roten fönig schön – wenn man Pinot Noir mag, ist ein Glas dieses Weins eigentlich zu wenig (wir widerstanden der Versuchung, es kam ja noch noch mehr auf uns zu).

Wagyu Beef Onglet – Morchel & grüner Spargel

Wagyu Beef OngletAuch wenn man es sich denken könnte, hat es sich noch nicht überall rumgesprochen: Rinder bestehen nicht nur aus Filet und Keulen. Eins der lange Zeit hierzulande unterschätzten Produkte heißt auf deutsch Nierenzapfen, was nicht so chic klingt, weswegen man es auf Karten in Restaurants gerne als Onglet (französische Küche!) oder hanger steak bzw. hanging tender (Amerika) findet. In England pflegten die Fleischer das Stück gern für sich zu behalten (wenn sie wussten, was sie taten) oder sie machten Gehacktes draus, zusammen mit anderen Resten.

Mittlerweile ist nach der Devise nose to tail eine Betrachtung und Verwertung auch solcher Fleischstücke in der gehobenen Gastronomie möglich, weswegen der seltene Nierenzapfen (gibt’s nur einmal pro Tier, ist kleiner als das Filet) nun auch in unserem Menü auftauchte: Wagyu Beef Onglet – Morchel & grüner Spargel (€ 48,00). Das Onglet nur kurz angebraten und daher (so soll es sein) deutlich mehr rare als medium. Dazu angerösteter grüner Spargel, mit Sherry sautierte Morcheln und als Bett und Saucenspiegel ein Dreiklang von Orangencrème, Spargelpürree sowie eine Jus. Dazu ein 2015 Salchetto Nobile di Montepulciano, Toscana (Italien). „Das ist ein tolles biodynamisches Weingut“, wusste Jana Schellenberg zu berichten. Sie weiß Dinge wie diese meist nicht nur von der Lektüre, sondern sie kennt viele Winzer, besucht sie (oder lernt sie bei deren Besuchen in Dresden kennen). So lernt man Wein und Winzer natürlich bestens kennen und kann dieses Wissen weiter geben. Wunderbar, wenn die Sommeliere dabei dann auch noch den Geschmack der Gäste trifft! So wie mit diesem eleganten Nobile di Montepulciano aus 100 % Sangiovese. „Der passt zum Stil von Benjamin Biedlingmaier, seine Küche ist fein und spielerisch leicht – da braucht es Weine, die nicht so schwer sind!“, sagt Jana Schellenberg.

Rohmilchkäse vom Wagen

DessertDie spontane Entscheidung, doch etwas vom mit einem Dutzend Rohmilchkäse bestückten Käsewagen zu probieren, war in mehrfacher Hinsicht richtig: wer Käse mag, findet hier eine zwar kleine, aber feine Auswahl – hauptsächlich Kuh und etwas Ziege und Schaf, frisch und leicht bis kräftig, weich und hart. Tomaten-Paprika-Chutney, karamelisierte Zwiebeln, Kirschtomaten und Nüsse dazu: passt. Wer (wie wir) wild genug auswählt, stürzt die Sommeliere nicht ins Unglück, sondern lässt sie mit zwei Flaschen zum Tisch kommen: einen 2016 Traminer „R“, Qualitätswein lieblich von Frédéric Fourré (Sachsen) zu den leichten Sachen und zu den kräftigeren einen 20 Jahre alten Graham’s Tawny Port. Doppel-passt.

Fichte Graubrot, Haselnuss & Himbeere

Das Dessert gab dann abschließend noch einmal Anlass für Gesprächsstoff: wie wenig Schokolade darf’s sein zum Abschluss eines Menüs? Oder, anders formuliert: Kann Fichte mit Graubrot glücklich machen? Der Hardcore-Test hieß Fichte Graubrot, Haselnuss & Himbeere (€ 18,00) und bestand aus einer Variation von Fichtensprossen (als Sorbet und Sößchen, als grünes Gel und natürlich als Sprossen. Das Graubrot war getrocknet und sorgte als Crumble zusammen mit den gerösteten Haselnüssen für den nötigen Biss. Haselnusscrème, Himbeere als Mus, Gel und frische Frucht gaben den Gegenspieler in so ziemlich allem: Konsistenz, Fruchtigkeit, Säure. Vor allem der Säure konnte der 2017 Deidesheimer Paradiesgarten, Riesling Kabinett von Bassermann-Jordan mi seiner Frische und der kleinen Restsüße etwas entgegen setzen. Auch ohne Schokolade…

Caroussel
Königstraße 14
01097 Dresden

Tel. +49 351 / 80030
www.buelow-palais.de/caroussel/

Geöffnet:
Mi – Sa ab 18:30 Uhr
Mai, Juni, September, November, Dezember: auch dienstags
Dezember: auch sonntags

Schließzeiten 2019:
3. bis 19. Februar und 21. Juli bis 6. August

[Besucht am 1. Mai 2019 | Zur Karte der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]

2 Trackbacks / Pingbacks

  1. Bülow's Bistro: Im Bistro einen Hauch des Caroussel genießen |STIPvisiten
  2. Benjamin Biedlingmaier: Lernen beim Sternekoch – online | STIPvisiten

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*