Ich mache das, wozu ich Lust habe!

Kochsternstunden 2017: Schönburger Palais in Lichtenstein

Lachstatar | Schönburger Palais

Sehr viel länger als von Pillnitz bis Meißen ist man auch nicht unterwegs, wenn man nach Lichtenstein will. Das liegt halbwegs zwischen Chemnitz und Zwickau, was sich natürlich viel weiter anhört als es dann (in Zeit und nicht in Kilometern gemessen) tatsächlich ist – staufreie Autobahn einmal vorausgesetzt. So oder so: der Weg lohnt sich, denn im Schönburger Palais unterhalb des Schlosses von Lichtenstein, kocht Christian Weidt und hat sich viel vorgenommen. Er wagt den Spagat zwischen robuster Hausmannskost zur Mittagszeit (natürlich heißt das auch bei ihm neudeutsch Business Lunch) und engagierter Gourmetküche am Abend. Wir haben den umtriebigen gebürtigen Lichtensteiner vor gut einem Jahr auch bei den Kochsternstunden kennen gelernt – da war er der Chef im Dresdner Canaletto und sagte unter anderem einen Satz, den wir lediglich aufs Essen bezogen: „Man muss doch ab und zu was wagen, um nicht so zu sein wie die Anderen!“ So hatte er es da ja auch gemeint, aber was sich der heute 32jährige Weidt seit Mai vergangenen Jahres traut, ist schon ganz schön mutig: ein eigenes Restaurant, und das in einem 12.000-Einwohner-Städtchen.

Christian Weidt | Schönburger PalaisAber offensichtlich geht die Mischung aus Mut und Selbstausbeutung (kein Schließtag, Weidt steht allein in der Küche!) auf: einen Platz zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Wir saßen mit unserer kleinen Dresdner Runde dann auch nicht im Salon, sondern am einzigen Tisch in der Rauchfangküche auf sehr korrekt saniertem Fußboden: alle Dellen und Unebenheiten sind erhalten. Uns hat’s nichts ausgemacht, eher im Gegenteil: ein Haus aus dem Jahr 1705 darf ja seinen eigenen Charakter pflegen! So wie sein Chef, der sich gehörig einen (einen? seinen!) Kopf macht. Der über Gastfreundschaft im wahrsten Sinn des Wortes nachdenkt, indem er die Lichtensteiner nicht vergraulen, aber auch die Leute von anderswo einbeziehen möchte in seine Genusswelt. „Wir wollen ein Restaurant für die Stadt sein!“ sagt er im Gespräch, zu dem er zwischen den Gängen einmal frisch aus der Küche an den Tisch kam – herzerfrischend unkompliziert ist er da, redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist (und der ist sehr erzgebirgisch gewachsen, da muss man schon genau zuhören und aufpassen, aber wir sind ja integrationsbereit!). Alle vier Wochen gestalte er das Programm im Restaurant neu: mal ist die Karte italienisch inspiriert, mal französisch, dann wieder deutsch. „Ich mache das, wozu ich Lust habe!“

Schönburger PalaisSeine Kochsternstunden-Lust kann man sich in vier Gängen (42 €, inkl. Weinbegleitung 64 €) servieren lassen oder in drei (38 €/55 €). Unbedingte Empfehlung: alle vier Gänge nehmen! Denn einerseits versteht Weidt es, die Portionen von der Größe so zu gestalten, dass man nicht nach Hause rollt – und andererseits würde der Verzicht auf einen Gang auch den Verzicht auf einen der begleitenden Weine bedeuten – und das wäre schade, denn im Schönburger Palais gibt es bis zum Dessert drei Weine von Martin Schwarz. Der ist, zumindest laut einer der kursierenden Weinbibeln, der beste Winzer Sachsens. Selbst wenn man nicht der Meinung ist oder sich über Rankings prinzipiell aufregt: dass Weine von Martin Schwarz zu den geilsten der Region gehören, ist unstrittig. Das gilt erfreulicherweise nicht nur für die Spitzenweine, sondern auch schon für die Einsteigerlinie, und von der gibt es im Laufe des Menüs drei Farb-, Geruchs- und Geschmacksproben:  2015er „Rosarot“ (Rosè),  2015er „Der kleine Schwarz“ (Cuvee Weiss) und 2015er „Rot von Schwarz“ (Cuvee Rot) – alle drei QBA trocken, Weingut Martin Schwarz / Meißen, Sachsen. 

Ei | Schönburger PalaisDie Weinbegleitung heißt allerdings Weinbegleitung, weil der Wein ja was begleiten soll: das Essen! Das begann erwartungsgemäß mit dem, was nicht im veröffentlichten Menü steht: Zuerst zwei Sorten Brot (mit Tomaten und mit Pilzen), Heidelbeerbutter und Rapsöl.  Superköstlich! Dann ein sehr verspielter Gruß aus der Küche: unten ein Teller, darauf eine umgestülpte Suppentasse. Auf dem Teller Orangenpfeffer und Rosmarinnadeln. Auf dem nach oben zeigenden Boden der Tasse wieder reichlich vom Pfeffer, fein wie Sand. So dass man da ein Ei reinstecken kann, bis es Halt findet. Das Ei schwarz und oben geköpft, darin: Eigelb, Schinkenspeck, getrüffelter Schaum, leichte Orangenpfefferdeko. Wir haben nicht gefragt, aber vom Geschmack und der Konsistenz war das ein Onsen-Ei – und insgesamt eine allumfassende Einführung in das, was uns am Abend erwarten sollte: intensive Geschmäcker, kreative Kombinationen von Produkten, optische Hingucker mit einem unverkennbaren Spieltrieb. Wie war das noch mal? „Ich mache das, wozu ich Lust habe!“ Warum eigentlich nicht, wenn’s schmeckt?

Rote-Beete-Ravioli – Lachstatar | Schönburger PalaisDie Vorspeise: Rote Beete-Ravioli / Lachstatar / Kaviar / Muschel. Eigentlich gehört die Muschel mit dem Zusatz Jacobs- zum Raviolo, denn sie lag auf selbigem, serviert in einer dieser großen Jacobsmuschelschalen (die zumindest in Frankreich auch gerne als Aschenbecher benutzt werden, also nix Besonderes sind). Das Lachstatar befand sich in einer essbaren Teigwaffel, die von einer Goldfolie gehalten wurde – nett anzuschauen, aber leider gingen bei allen vier Portionen am Tisch Folie und Teig eine so innige Verbindung ein, dass sie aneinander klebten. Form follows function, sagen die Designer. Ein Spruch, der auch für die verspielte Küche gut ist! Davon abgesehen (und weil wir ja eh im Separée saßen, pulten wir eben etwas unvornehm mit den Fingern die Umhüllung ab) genossen wir diesen Gang sehr, Kaviar on top inklusive. Dass der Rosarot von Martin Schwarz eher wie ein freundlicher Roter schmeckt, nur einer, den man auch gut gekühlt trinken darf, erwies sich als Glücksfall für diesen Gang: perfekt.

Tomatenessenz – Zwiebelküchle | Schönburger PalaisDie Suppe: Büffel-Mozzarella / Tomatenessenz / Zwiebelküchle. Dieser Gang wurde getrennt serviert: Mozarella (ein gehöriges Stück, und ein gutes Stück!) in der sehr kräftigen, annähernd klaren und geschmacksintensiven Tomatenessenz hier, das Zwiebelküchle da. Zu Beginn des Ganges taten wir uns schwer, die Geschmäcker zu verbinden, aber so Häppchen für Häppchen (und immer mal wieder ein Schlückchen der Riesling-Weißburgunder-MüllerThurgau-Cuvée Der Kleine Schwarz dazwischen genossen) fanden wir die Kombination immer reizvoller. Essen gut alles gut steht neben der Tür zur Küche. Man muss sich eben manchmal auch drauf einlassen und nicht gleich aufgeben!

Kalbsfilet | Schönburger PalaisZur großen Freude von uns Traditionalisten (was gutes Essen angeht) brachte der Service uns dann ein Zitronensorbet mit Apfelkresse. In Frankreich kennt man die Füllung des normannischen Lochs (trou normand) mit der Kombi Apfelsorbet und Calvados – ein unschlagbares Pärchen! Aber Zitrone und (muss man ja auch erst mal kennen und bekommen) Apfelkresse erfüllten den Zweck auch ganz gut, ein wenig Platz zu schaffen! Platz wofür? Für den Hauptgang: Kalbsfilet / rosa Pfeffer / Schokolade / grüner Spargel / Ziegenkäse Polenta. Das Fleisch sous vide gegart, aber zur erneuten Freude der kleinen Essrunde nicht so lebrig wie man das manchmal hat (freilich auch nicht so wirklich das rohe Fleisch mit kräftiger Kruste, wie es manche lieber mögen). Aber ansonsten: ein feines Stück Fleisch, das geschmacklich umgarnt wird von grünem Spargel in Tempurateig (sollte man öfter so machen!) und Sprossen. Die Ziegenkäse-Polenta nahm der andernorts oft etwas faden Polenta das Banale, setzte aber auch keinen großartigen Ziegen-Akzent (und war nach meinem Geschmack ein wenig zu dominant geraten). Ein Gedicht war das Sößchen, in dem die (weiße) Schokolade vom Menünamen steckte. Und der Wein? Oh jaaaaaaaaa… Der Einsteiger – eine Cuvée aus Regent, Spätburgunder und Dornfelder – mit Nullkommanull Restzucker ist erfrischend und samtig zugleich.

Dessert | Schönburger PalaisDas Dessert: Nougat-Nitros / grüner Tee / Passionsfrucht / Süßkartoffel. Klingt brav, ist es aber ganz und gar nicht: Ladies and Gentlemen: It’s Showtime! Der Koch kommt aus der Küche, wie der Zauberlehrling (oder war’s der Meister gar?) hantiert mit Dampf aus der Karaffe (na klar: Stickstoff), Nougat aus dem Syphon, zeigt Schwiegermuttis-Liebling-Lächeln und gibt eine einfache Lektion in Molekularküche. „Ich mag sowas!“ sagt er – und wir wissen ja, wie das mit der Lust bei ihm ist… Grüner Tee ist im Dessert, weil Christian Weidt gerne auch immer was Bitteres dabei hat. Das war dann so ein Punkt, an dem man der Theorie gerne kopfnickend zustimmt und sich in der Realität dann vielleicht doch keinen Grünen Tee gewünscht hätte, weil man ihn selbst einfach nicht mag. Aber bei Nougat, egal in welchem Aggregatzustand er kommt, passen Theorie und Praxis bestens zusammen. Der Herr Schwarz hatte offensichtlich in seinem Portfolio keinen passenden Wein dazu, denn wir tranken eine 2012er Cuvée Beerenauslese Edelsüß vom Weingut Alois Kracher aus dem Burgenland. Kracher geht ja eigentlich immer zum Dessert, bei den Kochsternstunden 2015 hatten wir einen von ihm sowohl bei Gräfe’s Wein & fein wie auch im Bülow’s Bistro. Aber irgendwie ist ja nomen nicht immer gleich omen. Vielleicht macht der Herr Schwarz ja irgendwann mal was Dessertkompatibles!

Schönburger PalaisWahrscheinlich aber doch nicht, ist ja nicht sein Stil. Und auf der Fläche hinterm Schönburger Palais, wo der Berg gerade terrassiert wird, um Wein anzubauen, ganz sicher nicht. Janek Schumann, Sachsens Master of Wine, und Martin Schwarz werden in Berg und Keller für den Lichtenauer Wein verantwortlich sein – da darf man gespannt sein. Christian Weidt hatte uns nach dem Essen zu einer Führung mitgenommen und dies und das erzählt. Aufregende Geschichten zum Schloss (das unbestätigten Ansichten zufolge 1212 schon da stand, vielleicht sogar schon früher, ganz sicher aber 1286), das gerade saniert wird, sowie überraschendes Abtauchen in die Unterwelt in ein Labyrinth im Berg und ein Blick in den tiefen Brunnen inklusive. Die weit verzweigten Ganganlagen und Speicherräume sind übrigens ein prima Kühlschrank, das Obst und Gemüse stehen frei zugänglich, der Wein ist vorsichtshalber hinter Gittern verschlossen…

Irgendwo im Netz fand ich den Hinweis, dass Christian Weidt schon gerne irgendwann einmal einen Stern hätte. Auf dem richtigen Weg ist er!

Restaurant Schönburger Palais
Schlossberg 19
09350 Lichtenstein

Tel. +40 37204 / 601010
www.schoenburger-palais.de

Öffnungszeiten:
Mo 11.30 – 14 Uhr
Di – Fr 11.30 – 22 Uhr
Sa + So 11.00 – 23 Uhr

[Besucht am 18. März 2017 | Zu den Restaurantkritiken für Dresden und Umgebung|


Hinweis:

Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.

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