One Night Stand auf Norderney

Die letzte Fähre verpasst – gestrandet auf Norderney

Norderney See

Es war ein schöner – nein: ein sehr schöner Tag auf Norderney. Die Frisia III hatte uns am späten Vormittag rüber geschippert, die bestellten Fahrräder mit seniorengerechter Gegenwindunterstützung (vulgo: e-Bike) standen bereit, die Rundtour führte schnell aus der Stadt an den Weststrand, von dem wir zuerst am Stand entlang und dann hinter den Dünen ostwärts radelten. Endlich waren wir wieder Sehleute an der See!

Nachdem wir die Räder zurückgegeben hatten, wollten wir auf dem Weg zum Hafen noch ein Abschiedsbier nehmen – an der Weststrand-Bar, wo sonst? „Das wird aber ein Sturzbier!“, meinte Sylke mit Blick auf die Uhr: Um die Fähre um 18:45 Uhr bequem zu erreichen und noch einen guten Platz draußen zu bekommen, sollten wir zehn nach sechs losmachen, besser fünf nach. Und es war schon kurz vor sechs!

Als wir mit Norderneyer Brauhaus im Glas uns und dem Meer zuprosteten, sagte mir eine innere Stimme: Schau doch noch mal auf die Seite der Frisia. Und da man auf innere Stimmen ja hören soll, tat ich es. Oh shit: Die Fähre soll 18:15 ablegen! „Steht da!“, sagte ich zu Sylke, und es wurden zwei Supersturzbiere ohne Pfand zurück sowie ein eiliger Marsch zum Hafen. Sinnlos, wir wussten ja, dass es etwa zwanzig Minuten dauern würde, wenn man nicht rennen wollte. Und nein, rennen wollte ich nicht. Das Sturzbier gluckerte auch so schon im Magen…

Am Hafen: gähnende Leere. Kein Schiff, keine Fähre, kein Mensch. Das Abfertigungsgebäude: abgeschlossen. Aber ein Bus an der Haltestelle, sogar mit Fahrer.  „Hallo, wir haben die Fähre verpasst! Wissen Sie, ob es noch eine Chance gibt, nach Norddeich zu kommen?“ – „Da fragen Sie mich was!“, war die Antwort. Der Mann war offen, höflich – aber eben leider in Sachen Seetaxi oder so auch ahnungslos. Mit gesenkten Schultern verließ ich ihn und schaute aufs Watt, als ob das helfen würde.

Weil sein Deutsch so gebrochen klang, nannten wir den Busfahrer untereinander den Polen. Eben jener Pole verließ gerade den Bus, ging durch eine Nebentür ins Reedereigebäude und kam kurz drauf lächelnd zu uns: „Eine gute Nachricht! Um halb acht fährt der Inselexpress! Ab Brücke 3!“ Gemeinsam gingen wir dahin, kurz nach sieben – also rechtzeitig! Wir plauderten noch ein wenig und der Pole freute sich aufrichtig mit uns, dass es nun doch noch klappen würde mit unserer Rückreise. „Netter Mann!“, meinte Sylke, und wer wollte ihr da widersprechen? Hat man ja nicht alle Tage, dass sich jemand freiwillig so engagiert…

Viertel vor sieben (sagt man so auf Norderney, also dreiviertel sieben für die Anderssprachigen) war immer noch keine Schnellfähre da – aber der liebenswerte Busfahrer kam nochmals auf uns zu: „Schlechte Nachrichten! Die Fahrt wurde gecancelled!“ Wir zuckten die Schultern, ich nahm Wörter in den Mund, die man nicht schreibt, der Pole wünschte uns – betroffen, als ob er Schuld dran wäre – alles Gute und empfahl den Fußweg zum Segelhafen: vielleicht gäbe es ja da noch jemanden…

Das war uns dann aber nüschte. Wir ergoogelten uns ein Zimmer – das vorletzte im aktuellen Angebot für one-night-stands. Der Edeka gleich am Hafen macht um sieben zu – wir kamen eine Minute nach sieben an und wurden von einem jungen Mann mit den Worten begrüßt: „Wir machen zu – und zwar: exakt jetzt!“ Kurze Erklärung, dass wir Fährverpasser und Schnellfährverlasser und somit Gestrandete seien und eigentlich nur Zahnbürsten und Wasser bräuchten – und er ließ uns rein. „Lassen Sie sich Zeit!“ Die Frau von der Kasse, der wir im Gang begegneten und der wir versicherten, gleich draußen zu sein, wusste offenbar schon Bescheid. „Lassen Sie sich Zeit!“, sagte auch sie.

„Jetzt, wo Sie schon mal unerwartet hier sind, sollten Sie den Abend aber auch genießen!“, empfahl der Türabschließer, und wo er recht hat, hat er Recht. Mit zwei Empfehlungen für die Abendgestaltung gingen wir zurück in die Stadt Norderney (dabei hatten wir doch schon genug Schritte und Punkte an diesem Tag gemacht!). Unsere Wirtin für diese eine Nacht meinte herzlich, das komme so oft ja nun auch nicht vor, dass jemand nach sieben noch spontan bucht – und sie bot an, den Übernachtungspreis zu verhandeln. Wir zahlten daraufhin deutlich weniger als auf der Webseite vereinbart.

„Jetzt, wo Sie schon mal unerwartet hier sind, sollten Sie das aber auch genießen!“, empfahl die Wirtin, nannte uns auf Nachfrage ihr Lieblingsrestaurant (es war eins der beiden, die auch der junge Herr Edeka genannt hatte) und lud uns ein, am nächsten Tag so lange zu bleiben, wie wir wöllten. Geputzt würde eh erst tagsdrauf, weil keine Anreise geplant sei. Wobei –  man wisse ja nie…

 

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