…nicht unwillkommen nett geschrieben

Weinautor Rudi Knoll zeichnet ein Portrait von "Sachsens Wein-Prinz Georg"

Wenn man ein neues Buch aufschlägt und zu lesen beginnt, soll einen ja möglichst gleich der erste Satz mitnehmen. Vom Hocker reißen. Lust machen auf Weiterlesen. Oder so. In der Rubrik berühmte erste Sätze bekommt der folgende daher sicher einen Ehrenplatz: „Sachsen hat sich über die vergangenen Jahrzehnte in der Weinfachwelt einen ausgezeichnet Ruf erarbeitet.“ OMG! möchte man da ausrufen, was ist denn daran alles richtig außer der Rechtschreibung? Also erst einmal: Sachsen kann sich gar nichts erarbeiten, allenfalls (in diesem Satz) die Winzerinnen und Winzer mit ihren Weinen. Nehmen wir also mal an, das sei gemeint und fragen uns: wer in der Weinfachwelt hat denn überhaupt so richtig Notiz genommen von diesem Weinbaugebiet? Wer in der Weinfachwelt (und ich ergänze: im Westen Deutschlands, in der Schweiz, in Österreich) könnte auf Anhieb fünf Weinbaubetriebe in Sachsen nennen – also etwa einen pro hundert Hektar, die hier mit Rebstöcken im Ertrag stehen? Wir lassen die Frage unbeantwortet und fühlen uns, weil wir ja schon mit den ersten beiden Zeilen zu gedanklichen Auseinandersetzungen gezwungen wurden, gerne eingeladen, sofort weiterzulesen. Der zweite Satz ist länger, also bitte Geduld: „Im kleinsten Anbaugebiet Deutschlands reifen unter anspruchsvollen Bedingungen außergewöhnlich gute Weine mit unverwechselbarem Charakter“, steht da – und als kleiner Teil der Weinfachwelt möchte man das Buch jetzt auf jeden Fall aber erst mal weglegen: schon im zweiten Satz ein Fehler, muss das denn sein?

  • Bestockte Rebfläche Sachsen: 493 ha.
  • Bestockte Rebfläche Mittelrhein: 468 ha.
  • Bestockte Rebfläche Hessische Bergstraße: 463 ha.

Diese Zahlen (Quelle – sogar mit Motiv aus Sachsen im Titel!)) zu kennen hätte dem ehemaligen weinbaupolitischen Sprecher der CDU-Fraktion und seit 2009 Landtagspräsident im Sächsischen Landtag sicher gut zu Gesicht gestanden. Denn von ihm stammen die bislang zitierten Zeilen. Nun gut, könnte man sagen, selbst Schuld – wenn man meint, ein kleines Lesebuch mit einem Politiker-Vorwort schmücken zu müssen… Wobei: Als Herausgeber/Lektor des Buches hätte man es ja auch merken können. Hätte hätte, Fahrradkette.

Es gibt also ein Büchlein, das für sein chices handliches Format (13,5 x 22 cm) einen hübsch langen Titel hat: Sachsens Wein-Prinz Georg und seine unglaubliche Geschichte, aufgezeichnet von Rudi Knoll. Und das verspricht ja eigentlich Spannung, denn Georg Prinz zur Lippe und Schloss Proschwitz gehören in der Tat zu den Menschen und Orten, die aus Sachsen in die Welt strahlen. Der Prinz ist ein treibender Motor und Ermöglicher für den hiesigen Weinanbau und ein großartiger Erzähler – wer ihm einmal zugehört hat, wird das bestätigen. Man muss ja nicht immer seiner Meinung sein, Gott (oder wer auch immer) bewahre. Rudi Knoll wiederum ist ein gestandener Journalist mit einer flotten Feder und reichlichst Fachwissen. Also vergessen wir mal das Vorwort (man könnte ja in der zweiten Auflage am besten gleich ganz drauf verzichten) und hoffen, dass die Hauptstory lesbarer und fehlerfreier wird!

Leider ist es wie bei Radio Eriwan: Im Prinzip jaaaa… Aber? Nun, nach dem Begrüßungswort folgt ein Vorwort des Autors, das mit einem Stolper-Satz endet: „Kritische Kommentare und Aussagen zu diversen Themen sind das Ergebnis eigener Recherchen des Autors sowie seiner langjährigen Erfahrung mit dem Weinbau im deutschen Osten und wurden nicht veranlasst von der Eigentümer-Familie von Schloss Proschwitz.“ Da hat er mich doch glatt auf einen Gedanken gebracht, der fortan beim Lesen mitschwang! Si tacuisses

Nach einem anfänglichen Exkurs in die Zeit vor der Geburt von Georg Prinz zur Lippe nimmt der Text dann Fahrt auf. Vor allem die Anfänge in Meißen hatten es ja in sich: der Prinz aus dem noblen München und die 16 Mitarbeiter der Weinbaubrigade 56 der LPG Wilhelm Piek rauften sich aber zusammen – und von da an ging’s seinen nicht mehr sozialistischen Gang. Viele der Aufs und Abs kann man nachlesen – aber nicht alle. Da hat wohl der liebe Rudi es seinem Freund Schorsch zwar eigenverantwortlich, aber nicht unwillkommen nett geschrieben. Und auch dies: leider gleitet das Büchlein am Ende noch einmal ab – aber anders als am Anfang. Man bekommt den Eindruck, dass statt der unglaublichen Geschichten des Wein-Prinzen plötzlich die Marketing-Abteilung übernommen hätte. Schon beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass das Kapitel über die Meissener Spezialitätenbrennerei nicht so arg viel mit den bisherigen Geschichten zum und über den Prinzen zu tun hat. Und bei aller (sehr großen!) Liebe zu den Produkten und deren genialem Macher Siegbert Henning: undezente Hinweise auf „können Sie am besten erwerben bei…“ sind deplatziert. Und was das Telefonverzeichnis von Kellerei, Büro und Forstverwaltung in so einem Buch zu suchen haben, weiß wahrscheinlich auch keiner.

Ein prägendes Element des Buches sind Beiträge von (im Buch so genannten) Weggefährten. Da ist es nicht nur spannend zu sehen, wer dabei ist, sondern natürlich ebenso interessant zu entdecken, wer nicht mit im Buch ist. Was etwas nervt, ist die grafische Gestaltung: kleine schwarze Schrift auf blauem Hintergrund verlangt entweder nach jugendlich frischen Augen oder nach sehr hellem Licht. Sowas muss doch nicht sein. Lesen sollte man die freundlichen Worte der Weggefährten dennoch – sonst verpasst man so schöne Sätze wie den von Eduard Krammer. Der war (bis 1998) Kellermeister der Domaine Castell – und genau dort wurde der erste Jahrgang der Proschwitz-Weine ausgebaut (wieso, weshalb, warum? Steht im Buch!). Er schreibt: „In Erinnerung bleibt mein erster Kontakt vor Ort, als ich sächsische Weinberg-Arbeiter bei der Brotzeit sah, und einen Wagen mit Trauben, die ich nie und nimmer verwendet hätte. Aber ich erfuhr, dass sie für die Meißener Genossenschaft und nicht für meinen neuen Chef bestimmt waren.“  Auch bei den anderen Beiträgen der insgesamt 14 Weggefährten findet man direkt oder zwischen den Zeilen hübsch Unverblümtes.

PEin Fazit? Gerne: Kaufen! Trotz alledem! Das Buch ist in übersichtliche Kapitel aufgeteilt, man kann sich also rauspicken, was gefällt. Und man muss auch nicht zwingend von vorne bis hinten lesen – einiges steht mehrfach drin, weil die Geschichten das so wollen. Dazu am besten einen Wein trinken, der Stimmung wegen! (Bei mir war es passenderweise: 2012 „Unser 1. Prinzenwein“, Weißweincuvée vom Weingut Schloss Proschwitz für Gräfe’s Wein & fein, VDP.Gutswein)

Sachsens Wein-Prinz Georg und seine unglaubliche Geschichte
aufgezeichnet von Rudi Knoll
Axel-Dielmann-Verlag, ISBN 978-3866383470
144 Seiten, Hardover mit Lesebändchen, 20 €

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