Der Weiße Hirsch, erfahren wir auf der Fahrt mit der Standseilbahn der Dresdner Verkehrsbetriebe von Loschwitz unten beim Blauen Wunder bergauf, sei der Nobelstadtteil von Dresden. Gewesen, wäre schon mal ein wichtiges Wort, und wieder im Werden – vielleicht. Auf jeden Fall ein interessanter Stadtteil, damals zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert und jetzt nach der Wende zum 21. Jahrhundert.
Weißer Hirsch – ein merkwürdiger Name, oder? Stadtführer erzählen gerne die Geschichte, wie ein Albino-Hirsch gegen 1684 dort in den Wäldern der Dresdner Heide gesehen wurde – was derart beeindruckend war, dass fortan die Gegend wie genannt wurde? Richtig: Weißer Hirsch!
Wer dann fragt, ob die Geschichte wahr sei, erntet ein Achselzucken: Was ist schon verbürgt, wenn es um weiße Hirschen geht? Richtig ist jedoch die Jahreszahl 1685: Seitdem gibt es ein Gasthaus „Zum Weißen Hirsch“ an der Straße von Dresden nach Stolpen.
1872 kaufte der Seifenfabrikant Max Ludwig Küntzelmann ein Gut und parzellierte es – der Grundstein für das Viertel, wie man es heute noch erlaufen kann. Dass es zu dem wurde, was es ist, liegt an Dr. med. Heinrich Lahmann. Der kaufte 1888 das Konkurs gegangene Fridabad und nannte es „Dr. Lahmanns Physiatrisches Sanatorium“.
Die fortschrittlichen Heilmethoden des Dr. Lahmann zogen die Gäste an – der Weiße Hirsch entwickelte sich schnell zu einem Szene-Treff, wie man es heute nennen würde. Irgendwann nach der Jahrhundertwende gehörte es dann zum guten Ton, nach Dresden auf den Weißen Hirsch zu pilgern. Von 20 Kurgästen 1887/88 auf 7.416 im Jahr 1913 stieg die Zahl, darunter wahrscheinlich auch die reiche Variante von Kreti und Pleti, aber eben auch die Hohenzollern, Mitglieder der russischen Zarenfamilie, Schauspieler, Maler Künstler – die üblichen Verdächtigen, die heutzutage kurz drauf in der Gala stünden.
Das ist das Umfeld, in dem Wachstum stattfindet. Vom Kerngelände des Bades Weißer Hirsch ausgehend wuchs der Kurort. Villen entstanden – mit großzügigem Abstand zueinander. Es blieb nicht beim einen Sanatorium, Schüler von Lahmann wie Dr. Steinkühler oder Dr. Teuscher machten sich selbstständig. Und wo die reichen und Schönen sind, da wollen – alle sein. Also gab es dann auch bald mehr Häuser auf dem Weißen Hirsch, auch kleinere – zwischen den großen!
Insgesamt hat sich das Viertel seinen Charme erhalten. Die meisten Villen sind renoviert, einige trotzen in trübem DDR-braun der Neuzeit und dienen bei einem Spaziergang immerhin noch als Anschauungsmaterial, wie es hier heute ohne die 89er Wende aussähe – das wird nämlich sonst schnell vergessen! Bei anderen, wohlfeil sanierten Häusern, erschließt sich die bunte Vielfalt der Vergangenheit nicht: Das Haus Nr. 3 ist der 1906 vom Industriellen Eschebach gebaute Sommersitz, der nach 1945 eine Schule der Konsum-Genossenschaft und später ein Studentenwohnheim beherbergte, um ab 1972 als Kinderheim zu dienen. Heute ist das Haus wieder eine Wohnvilla, und man muss dem Herrn Eschebach neidlos Geschmack zollen, so bezaubernd liegt das Haus in der Landschaft, mit unverbaubarem Blick ins Elbtal.
Bevor wir nun in Dresden-typischer Weise im Alten schwärmerisch aufgehen: Es gibt auch Neues auf dem Weißen Hirsch. Wenig zwar, aber das ansehnlich: 1995 errichtete der Dresdner Architekt Walter Kaplan zum Beispiel ein eigenes Wohnhaus, das man kurz nach Verlassen der Standseilbahn rechterhand sieht – wenn man sich nicht gleich in den Luisenhof begibt, der eine wunderbare Aussicht über das Elbtal Dresdens bietet…
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