Ein Jahr lang hat Ernst Max Pötzsch 1898/99 handschriftliche Notizen (hier in der SLUB digitalisiert nachzulesen) gemacht – er wollte lernen in der Küche des Prinzen Friedrich August von Sachsen. Auf insgesamt 388 Seiten notierte er die „Vollständige Herrschaftsküche des Kronprinzen v. Sachsen“. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts der TU Dresden entstanden dabei auch populäre Bücher. Eines davon ist der von Wolfram Siebeck, Georg W. Schenk und Josef Matzerath herausgegebene Band Hofmenüs für heute. Rezepte vom Dresdner Hof zubereitet von sächsischen Köchen und Patissiers mit Fotos Ringo Lösel. Auf der Verlagswebseite heißt es im Untertitel übrigens irgendwie richtiger „aktualisiert“ statt „zubereitet“!
Der Verkaufsclou ist natürlich Wolfram Siebeck, der sich mal sehr despektierlich über die Küche Ostdeutschlands ausgelassen hat. Wobei Siebeck sich eigentlich schon immer gerne despektierlich über andere ausließ – in meinen ganz alten Notizen fand ich das Siebeck zugeschriebene Aperçu „Schlecht kochen kann jeder, darauf stolz sein nur die deutsche Hausfrau“. Wegen solcher Sprüche liebten wir ihn in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts. Nichts also gegen eine spitze Feder, aber wenn Siebeck unsachlich oder falsch wird, um der Sache (welcher Sache?) zu dienen, wird’s peinlich. Pötzsch, lesen wir, war „Herrschaftskoch des letzten sächsischen Königs“ – das sind gleich zwei Fehler in fünf Worten: Pötzsch war Hilfsbeetle, Friedrich August zu dem Zeitpunkt nicht König, das war Albert.
Die 15 Gastronomen werden von Siebeck vorgestellt. Los geht’s mit Dirk Schroer vom Caroussel in Dresden. Schroer kocht zwar seit Mai 2013 nicht mehr in Dresden, aber da geht man nahezu komplett drüber hinweg. Man hätte das schreiben können, noch besser: den Nachfolger Benjamin Biedlingmaier bitten können. Der ist immerhin Aufsteiger des Jahres beim Feinschmecker geworden und hat sich auch sogleich einen Stern erkocht. So bleibt’s beim einzigen kryptischen Hinweis „2012“ hinterm falschen Hotelnamen von Schröer. An der Produktionszeit kann’s übrigens nicht gelegen haben: Es kommt sogar ein Koch im Buch vor mit einem Restaurant, das es zum Erscheinen des Buchs noch gar nicht gab. Auch das erwähnt der Kritiker Siebeck nicht, sondern tut so, als ob er bei André Mühlfriedel im Ratskeller Dohna gegessen hätte. Siebeck schreibt (Seite 49): „Wer in die ‚Dresdner Speisekammer‘, diesen pfiffigen Weideplatz des modernen Menschen, hineingeschaut hat und sich anschließend im Restaurant im Ratskeller, Dohna, niederlässt, wird wissen warum“ es nicht mehr lange dauern werde, dass die Gastronomie der Stadt bald in kompetenteren Händen liegt. Nett formuliert, leider ein bissl wirr: Die im April 2012 eröffnete Speisekammer am Schloss hat mal gerade ein Vierteljahr überlebt und schloss 2012 im Sommer, der Ratskeller in Dohna öffnete keineswegs gleich anschließend Ende November 2013. Und beim Beitrag über André Tienelt vom Sendig in Bad Schandau schwadroniert Siebeck über die Flut 2002 und tut so, als ob es 2013 gar keine gegeben habe – das Sendig hat seit der Flut im Juni 2013 geschlossen, und das wohl leider noch bis September 2014.
Derlei Ungenauigkeiten in einem von der TU Dresden unterstützten Werk (das Logo steht gleich vorne mit im Buch, Mitherausgeber Matzerath ist Historiker an der TU) müssen nicht sein – aber wer Siebeck als Werbe- und Gallionsfigur einkauft, nimmt das wohl gelassen hin. In Siebecks Blog kann man auch Ungenaues lesen – und wenn man im Kommentar darauf hinweist, dass Dresden mehr als einen Sternekoch hat (ausgerechnet das Caroussel hat er vergessen beim Verriss des bean&beluga) und etwas mehr Transparenz einklagt, wird der nicht freigeschaltet. Also vergessen wir mal den alternden Kollegen und blättern ein wenig im schönen Buch. Die meisten Köche nehmen’s Original und fügen hinzu. Dürfen sie das? Ja, dürfen sie, meine ich. Man sollte dann nur nicht mehr so tun, als ob es sich um eine traditionelle sächsische Küche handelt – auch nicht um eine von besseren Kreisen. Viele Rezepte lesen sich gut, die Bilder machen Appetit. Die Frage ist dann natürlich, ob es die Gerichte bei den Köchen auch im Restaurant gibt.
Leicht ist das nämlich nicht, wie das Beispiel von Stephan Mießner aus dem Elements zeigt. Der hatte jüngst den sächsischen Minister für Umwelt und Landwirtschaft Frank Kupfer nebst einigen Journalisten und regionalen Produzenten zu Gast. Im Hofmenü-Buch ist er mit einem Viergangmenü vertreten, das unter anderem Hummer, Zander und Erdbeeren vorsah. Wir trafen uns im November, da gab’s logischerweise keine Erdbeeren – denn Mießner kocht ja schon immer möglichst mit den Jahreszeiten. Statt des Zanders war Gans gewünscht (was sich als keine gute Idee erwies: „Gans ist nicht so meins“ bekannte der Koch freimütig, was man dem Gargrad des Vogels anmerkte). Der dazu gereichte Rotkohl war allerdings ein Hit – gekocht (zum Schluss der Garzeit) mit Milch! Wow! Statt des Hummers, der ja vor den Toren der Stadt sehr selten gesehen wird, hatte sich Mießner für Stör entschieden. Das war nun eine gute Wahl, denn erstens konnte er mit dem Stör aus Moritzburg und dem Minister für die Fotografen posieren, und zweitens ist das Elements-Team mit heimischem Fisch quasi per Du: Gelungen! Befragt, was er denn so vom Hofkoch gelernt habe, antwortete der eher bescheiden-verschlossene Mießner nur: „Alles schon mal da gewesen!“
Wolfram Siebeck/Georg W. Schenk/Josef Matzerath (Hgg.)
Hofmenüs für heute. Rezepte vom Dresdner Hof zubereitet von sächsischen Köchen und Patissiers (Fotos Ringo Lösel)
Format 21 x 28 cm | 284 Seiten | Hardcover mit Goldprägung und zahlreichen Farbabbildungen | € 45,00
Jan Thorbecke Verlag 2013, Ostfildern · ISBN: 978-3-7995-0503-1
Das Buch wurde uns vom Verlag zur Besprechung kostenlos zur Verfügung gestellt.]
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