Vulcano erleben die meisten Touristen nur als Tagesbesucher. Und da kommt man erfahrungsgemäß nicht weit: Hoch auf den Gran Cratere, das ist Pflicht. Und dann noch mal an den Strand mit seinem schwarzen Sand und den warmen Quellen. Wenn man viel Zeit hat, vielleicht noch nach Vulcanello. Das kleine Vulkänchen hat vergleichsweise viele neue Hotels, einen lustigen Monsterpark und den jüngsten Vulkan der Insel. So jung, dass es sogar einen Augenzeugenbericht von der Entstehung der kompletten Insel gibt: den römische Historiker Polybios, der natürlich drüber schrieb. Zweimal gab’s kleinere Ausbrüche mit Landvergrößerung, ein großer Ausbruch 1550 machte aus der Insel Vulcanello eine Halbinsel, denn sie verschmolz mit Vulcano.
Es gibt aber noch mehr! Die Hochebene Piano beispielsweise, auf der viele der Inselbewohner leben (naja, „viele“ ist relativ bei insgesamt nur 715 Einwohnern, die bei der Volkszählung 2001 herauskamen). Oder es gibt, aus der Sicht der Hafenbewohner von Vulcano Porto: am anderen Ende der Welt, Gelso. Ein Fischerdorf mit einer Trattoria, einer Kirche aus dem 18. Jahrhundert (der ältesten der Insel) und einem Leuchtturm. Dieses Dorf sollte unser erstes Ziel sein, genauer: Die Trattoria. Ein feiner Ort zum Ankommen, bei dem man erst einmal in vollen Zügen die Ruhe des Orts genießen kann. Das ist auch nötig, denn man hat eine kurvenreiche Abstiegsfahrt hinter sich, bei der man sich von 425 Metern Höhe herunterschraubt auf nahezu Meeresniveau. Die höchste Erhebung Vulcanos, den Monte Aria (500 m), lassen wir dabei etwas links liegen, aber die Hänge des ältesten Strato-Vulkans Vulcano-Primordiale nach Gelso hin sind auch nicht ohne. Was sich dabei natürlich ergibt: fabelhafte Aussichten!
Nach dem vorzüglichen Essen und der freundlichen Bewirtung bei da Pina erkundeten wir Gelso. Zuerst ist da einmal der Steg, der ins glasklare Wasser führt. Vier Fischerboote dümpeln vor sich hin, Wellen gibt es an diesem Tag nur, wenn ein Motorboot vorbeirauscht und welche protzerisch an den Strand schickt. Vom Steg sehen wir zwei Badebuchten: eine direkt neben dem Fischerdorf, mehr Steine als Sand. Aber einfach zu erreichen. Die andere etwas weiter weg, feiner schwarzer Sand – aber mühevoller zu erreichen. Ein Weg führt aus etwa hundert Meter von der Strada Provinciale 178 flott runter an den Strand – was auf dem Hinweg noch geht (da hat man ja ein Ziel: den Strand!), aber auf dem Rückweg die Bade-Frische sofort wieder entzaubert. Der Esel-Strand gilt dennoch als ein Tipp ohne geheim davor, denn im Sommer ist es rappelvoll. Wie gesagt: Wir sahen Asino Beach nur vom Anlegesteg in Gelso aus, mit ganz wenigen Badegästen Ende Mai.
Weit sind wir ja noch nicht, immer noch auf dem Steg. Wir sehen uns eins der Boote an und gucken runter ins Wasser. Glasklar, schrieb ich, sei es. Naja: streng genommen war es quallenklar, denn die so liebevoll uns erwärmenden Tierchen tummelten sich in bezaubernd anmutiger Weise in beachtlicher Menge dort herum. Badewetter hin, Badewetter her: Plötzlich waren wir nicht mehr so brennend auf diese Erfrischung aus. Aber so aus der Entfernung ist das Ballett der Quallen doch interessant anzuschauen. Wie sie sich elegant fortbewegen und wie sie gemeinerweise ansehnlich lange Tentakel hinter sich herziehen. Da die für das Juckpulver verantwortlich sind, sollte man also genügend Abstand halten. Oder gleich einfach mal nicht baden gehen.
Eine Staffelei am Strand macht aus jedem Betrachter vorzügliche Maler, denn sie hat einen Rahmen, aber keine Leinwand. Bitte den richtigen Ausschnitt wählen und sich ein Bild machen, wahlweise von der spiaggia dell’asino im Hintergrund mit Felsen im Vordergrund. Mit etwas Geschick platzieren wir den sogar in den Goldenen Schnitt, Zufall kann das alles nicht sein. Unser endgültiges Bild bekam dann den Tiel „Some Sicilian Blue“, weil es deutlich mehr als drei Farben Blau in sich trug und die Küste Siziliens im Hintergrund erahnen ließ.
Mehrfach ausgezeichnet ist der Weg zur ältesten Kirche Vulcanos – na klar, wenn Gelso die älteste Ansiedlung ist. Sie stammt aus dem 18. Jahrhundert, verheißen die Schilder, aber in der Kirche hängt ein Info-Blatt, wonach sie 1865 gebaut wurde. Ende 1700 (da passt dann XVIII!) migrierten Bauern von anderen Inseln nach Vulcano, sie kamen aus Alicudi, Filicudi und Sizilien. Natürlich wählten sie diesen Teil der Insel, denn einerseits ist er diametral entgegengesetzt zum aktiven Krater und außerdem konnten sie an den sonnigen Hängen hervorragend Weinberge, Obstgärten und Kapern anbauen. Es gab, lesen wir, den Leuchtturm, der schon „früh“ telegraphisch Lipari angeschlossen sein soll. Eine Grundschullehrerin wird auch erwähnt – und „langes Warten auf die Kirche“, deren Bau der Bischof im Jahr 1853 verfügte. Besonders attraktiv ist die Chiesa della Madonna delle Grazie am zweiten Sonntag im Juli, wenn die traditionelle Prozession auf dem Meer stattfindet. Die Madonna mit dem Kind auf dem Arm kann man aber auch sehen, wenn man außerhalb der Prozession die Kirche besucht: Die „feine Schnitzerei aus Südtirol“ ist in einem Nebenraum zwischengelagert.
Weiter führt der Pfad zum Leuchtturm. Da könnte man ein chices Hotelrestaurant draus machen (Name: Il ristorante alla fine del mondo). Es gibt Seeblick (mit Sizilien und dem Etna im Hintergrund) und Landschaftsgarten-Zimmer „mit Blick auf den ältesten Krater Vulcanos“, oder so ähnlich. Als dritte Blickrichtung können wir noch den nach oben anbieten: blauer Himmel, garniert mit Schäfchenwolken. Das war es dann aber auch schon, wir gehen zurück. Gelso ist überschaubar…
Der Weg zurück ist erst einmal der gleiche wie hinunter – es gibt nur diese eine Verbindung nach Gelso. Oben auf der Ebene von Piano kann man dann aber schon aus zwei, drei Straßen wählen: Piano hat kein wirkliches Zentrum, sondern hier mal ein Haus und dann dort mal ein Restaurant. Auf dem Weg zum Capo Grillo hat das Il Diavolo del Polli einen guten Ruf – aber wir haben’s nicht geschafft (müssen also noch einmal wiederkommen!). Statt Restaurantbesuch gab’s einen Stop an wunderschöner Landschaftsformation mit Steineichen und wie wild auf uns losgaloppierender Ziegenherde. Ich weiß nicht, was die sich versprochen hatten – vielleicht wollten sie ja auch nur einmal ins Fernsehen (haben es aber nur ins Blog geschafft, so ein Pech).
Am Capo Grillo hatten wir dann Pech, denn Eolos schob die Wolken zusammen. Schlechte Sicht auf alle Inseln ist nicht so der Hit, weswegen wir gen Unterkunft quadronierten – nicht ohne den einen oder anderen Zwischenstopp zu machen, um wilde Fotografen in reifenverzerrenden Spiegeln abzulichten oder auch nur noch einen Blick auf Vulcanello zu genießen. Vielleicht aber auch nur, um festzustellen, dass der Dunst sich verzog, so schnell ging wie er gekommen war. Ärger? I wo! Freude über klare Sicht bis Salina und Vorfreude auf einen möglicherweise tollen Sonnenuntergang…
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