Klein, aber fein: Winzerverein Insel Reichenau

Geschichten über Fake-News aus dem 12. Jahrhundert und gute Weine von heute

See-Wein

„Auf der Insel Reichenau wurde der erste Rebstock im Jahre 818 unter Abt Hatto I. gepflanzt.“ Steht auf der Webseite des Winzervereins Insel Reichenau. Manfred Krämer, Geschäftsführer und auch im Vorstand des Winzervereins, stoppt das Boot in dem Teil des Bodensees, den sie hier Gnadensee nennen, schenkt sich (und uns, um ehrlich zu sein), ein Glas des inseltypischen Müller-Thurgau ein, riecht, trinkt, genießt, holt Luft und sagt: „Aber das ist ein Fake.“

Münster St. Maria und MarkusDer kleine Trupp von Journalisten, der in dem Weidling auf dem See dem Winzer gespannt zuhört, nimmt vorsichtshalber auch erst einmal einen Schluck: Die guten alten Zeiten waren also – auch doof? Naja, was hätten sie denn tun sollen, damals? „Man muß sich einmal die ganze Schwerfälligkeit der mittelalterlichen Reichsverwaltung vergegenwärtigen, um die Thatsache der besonders zahlreichen Urkundenfälschungen dieser Zeiten erklärlich zu finden. Die Regierung, soweit von einer solchen überhaupt zu reden ist, lag allein in des Königs Händen und seine Diplome mußte man bis in die späteste Zeit für den allein offiziellen Rechtsschutz der verschiedenartigsten Verhältnisse erachten; zur Seite stand dem König in seinen Geschäften aber allein die kleine Kanzlei, eine unstät wandernde Behörde ohne ein ständiges Bureau, ohne eine Registratur, ohne eine Tradition in ihrem Personal, selbst ungeschickten Fälschungen hülflos preisgegeben, da ihre formelle und rechtliche Sachkenntnis nur eine äußerst geringe sein konnte. Das war ein Mißverhältnis, welches förmlich dazu herausfordern mußte, auf dem Wege der Fälschung berechtigte oder unberechtigte Wünsche und Ansprüche in die Form königlicher Diplome einzukleiden“, schreibt Karl Brandi in seinem Beitrag Die Reichenauer Urkundenfälschungen (mit 17 Tafeln in Lichtdruck!), und man bekommt Lust, bei mehr Wein in die ganze Geschichte der mittelalterlichen Urkundenfälschungen einzutauchen.

Kloster ReichenauDie 813er-Fälschung beispielsweise stammt erwiesenermaßen aus der berühmtesten Fälscherwerkstatt des 12. Jahrhunderts – der Reichenau. Unter ihrem Abt Ulrich II von Dapfen (ausgerechnet ein Ulrich…, Anm. d. Autors), der 1088–1123 als Topspezialist in Urkundenfälschung unter Vernachlässigung des einen oder anderen christlichen Gebots Urkunden fälschte, indem er Wappen und Unterschrift auf dem Pergament beließ, den Text dazwischen aber wegkratzte und mit eigenen Traktaten ersetzte [Quelle]. Tja, so also geht erfolgreiche Politik, und die Klosterinsel Reichenau ist nun sogar trotz (oder etwa wegen?) seiner Geschichte mitsamt seiner Kirche Münster St. Maria und Markus seit 2010 Teil des UNESCO Welterbes.

Manfred KrämerWir erfahren all das auf einem durch ausreichend Wind nett wellig gewordenem Bodensee, aber natürlich weiß Manfred Krämer uns noch mehr zum Wein auf der Insel zu erzählen. Zum Beispiel, dass in früheren Zeiten (egal, ob 813 oder ein wenig später…) mehr als die Hälfte der 400 ha großen Insel (nämlich 240 ha) Rebfläche war. Wein war, wie andernorts Bier, allemal die gesündere Alternative zu Wasser, weil Wein oder Bier bakteriell nicht so belastet (oder, um es wirklichkeitsnaher zu formulieren: nicht so versifft) waren.

Nachdem das Kloster 1757 aufgehoben worden war, bildete der Weinbau die Grundlage der landwirtschaftlichen Familienexistenzen. Aber ein Zuckerschlecken war das nicht, denn entweder waren die Ernten (zu) klein, weil Frost, Hagel, Sauerwurm und Krankheiten den Reben zu schaffen machten – oder die Preise fielen in den Keller, weil bei (zu) guten Ernten die Menge des Weines den Preis drückte.

Heinrich HansjakobAm Bodensee waren es die Pfarrer, die sich um die Winzer kümmerten und ihnen einen Weg aus der Misere zeigten. Fürs gute Wetter schickten sie wahrscheinlich Gebete gen Himmel (mit der bekannten Wirkwahrscheinlichkeit), aber fürs Soziale und Wirtschaftliche initiierten sie die Gründung von genossenschaftlichen Vereinigungen. Heinrich Hansjakob gründete am 20. Oktober 1881 die erste Winzergenossenschaft am See – in Hagnau. Andere folgten, in Reichenau ergriff Pfarrer Meinrad Meier 1896 zusammen mit 62 Winzern die Initiative und gründete den Winzerverein Reichenau.

WeibergeDie Sache lief gut an – im Jahre 1913 hatte der Winzerverein 194 Mitglieder, die rund 140 ha Reben bewirtschafteten. Aber als dann im Winter 1928/29 die meisten Reben erfroren, war’s erst einmal aus mit dem Weinbau, fortan wurde Reichenau die Gemüseinsel. Das ist sie heute noch, allerdings seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach einer Flurbereinigung wieder mit Wein – auf mittlerweile 22 ha. Und mit einer funktionierenden Winzergenossenschaft, in der ca. 60 Winzer engagiert sind. Der Winzerverein Insel Reichenau ist damit die kleinste selbstständige Winzergenossenschaft in Baden – und das als südlichstes Weinanbaugebiet Deutschlands.

Klein, aber fein: zahlen tun sie ordentlich auf der Insel – im Schnitt 2,80 € pro Kilo. Da haben es Winzerkollegen andernorts nicht so gut, bekommen (wieder im Schnitt, also manchmal durchaus weniger) nur rund einen Euro pro Kilo abgelieferte Trauben. Da lässt es sich, allemal als Nebenerwerbswinzer, auf der Reichenau frohgemut schaffen.

Müller-Thurgau…und ebenso fröhlich trinken, denn die Flaschenpreise sind durchaus im akzeptablen Bereich. Der Müller-Thurgau Reichenauer Hochwart, den wir als 2017er hatten und als schön fruchtig mit angenehmer Säure trotz leicht schaukelndem Schiffchen arg genossen, gibt es derzeit als Vorgänger-Jahrgang für 5,90 € im Webshop des Winzervereins – da mag man nicht meckern. Das Etikett ziert übrigens ein Künstlerbild – nicht schlecht.

Der Müller-Thurgau gilt ja meist als leichter und bekömmlicher Schoppenwein. So ganz falsch ist das nicht, denn zum einen ist die Rebsorte sehr ertragreich, zum anderen auch nicht wirklich kompliziert für den Trinkenden (oder die Trinkende, um die Damen mal mit ins Boot zu holen). Andererseits ist das, was der Herr Hermann Müller aus dem Schweizer Kanton Thurgau 1882 in der Forschungsanstalt Geisenheim als Neuzüchtung gekreuzt hat, wenn es gut gemacht ist, sehr trinkig – was will man denn mehr, unter sonnenblauem Himmel? Am Bodensee ist der Müller die wichtigste Rebsorte – und dank des speziellen Seeklimas kommt sie auch gut. Das immer wieder genannte Seeklima nutzt das Wasser als Licht- und Wärmereflektor, was sich besonders im Herbst, wenn die Tage schon kühler werden, auszahlt: der See gibt die gespeicherte Wärme an die Rebhänge ab.

Die Geschichte des Müller-Thurgau ist ja irgendwie lustig: der Züchter selbst dachte, dass er Riesling mit Silvaner gekreuzt hätte, weswegen man manchmal auch das Synonym Rivaner auf den Etiketten findet. Aber hundert Jahre später stellten die Forscher mit modernen genetischen Untersuchungen fest: es ist eine Kreuzung aus Riesling mit Madeleine Royale als Vater. Und in der Madeleine Royale stecken Pinot und der gute alte Trollinger. Ganz schön was los in Traubenhausen, fast wie in der Kir-Royal-High-Society, wo die Frage wer mit wem wann und wie genau ja auch manchmal völlig ungeklärt ist.

Damm mit PappelnVöllig geklärt hingegen ist, dass der Müller zwar die meist angebaute Rebsorte auf der Insel ist (danach kommt der Spätburgunder), dass es aber genug andere Sorten für Geschmacksvielfalt gibt.  Kellermeister Thomas Sättele fährt da zweigleisig und macht die Dinge meist so, wie man es erwartet – also beispielsweise einen saftigen Grauburgunder, der eine schöne Farbe hat, in der Nase an Mango oder Birne erinnert und am Gaumen belebend seine Säure spielen lässt. So einer von der Sorte „bitte nachschenken!“. Manchmal juckt’s den Kellermeister aber auch, und dann entstehen Bioweine oder solche aus PiWis, den pilzwiderstandsfähigen Neuzüchtungen. Den spontan vergorenen und im Eichenfasss gereiften Souvignier Gris trocken 2014 Reichenauer Hochwart gab’s (leider) nicht auf dem See, aber wir fanden ihn im Webshop. Klingt doch gut, oder?

Winzerverein Insel Reichenau eG
Münsterplatz 4
78479 Reichenau

Tel. +49 75 34 / 293
www.winzerverein-reichenau.de

Öffnungszeiten für Weinverkauf

  • 01.04. bis 30.09.
    Mo, Di, Do, Fr: 9–12:30 Uhr und 14:00–18 Uhr
    Mi, Sa: 9–12:30 Uhr
  • 01.10. bis 31.03.
    Mo, Di, Do, Fr: 9–12:30 Uhr und 14–17 Uhr
[Besucht am 6. Mai 2018]


Hinweis:

Der Besuch fand statt im Rahmen einer Pressereise auf Einladung vom Weininstitut Württemberg GmbH und der Badischer Wein GmbH im Vorfeld der Baden Württemberg Classics am 26. und 27. Mai 2018 in Dresden. Die Reichenauer Winzer sind nicht mit auf der Messe vertreten, aber haben einen Webshop.

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