Joachim Breuninger, Direktor des Verkehrsmuseums, freut sich: endlich wieder Pferde im Johanneum, das ja mal (1586 war das) als Stall erbaut wurde. Und dann geht er um die Ecke und wird eins mit den Pferden. Vermischte Welten! Denn während der Direktor echt ist, stehen die Pferde dank augmented reality nur virtuell im Raum, scharren mit den Hufen und lassen auch mal den einen oder anderen Apfel fallen. Acht Pferde sieht man, wenn man eins der installierten tablets schwenkt. Sie sind angespannt an die Kutsche, die auch echt ist und im Lichthof des Museums Appetit macht auf die Sonderausstellung, die sich anlässlich der Jahrhunderthochzeit vor 300 Jahren des Themas Reisen vor 300 Jahren annimmt.
„Von Prunkgondeln, Prachtkutschen und Pferdeäpfeln – Unterwegs zur Jahrhunderthochzeit 1719“ (Webseite) beleuchtet einen Aspekt der üppigen Festivitäten anlässlich der Hochzeit von Friedrich August (der Sohn von August dem Starken) und der Habsburgerin Maria Josepha, den man angesichts all des Prunks und der Pracht gerne übersieht: wie kamen die Leute damals® eigentlich von da (die Hochzeit fand am 20. August in Wien statt) nach hier (in Dresden wurde im September vier Wochen lang ausgiebigst Party gemacht)?
Mit der Kutsche kam man! Und, weil August der Starke ja ein früher Venedig-Fan war, ein Stück des Weges auch mit dem Schiff. Das sieht man erst, wenn man oben in der Ausstellung ist – unser Rundgang beginnt aber unten im Lichthof. Dort steht das Repräsentationsfahrzeug des beginnenden 18. Jahrhunderts schlechthin, eine Grand Carosse. Die Kutsche ist nicht exakt die, mit der Maria Josepha am 2. September von Blasewitz (damals noch vor den Toren der Stadt Dresden) Richtung Residenzschloss fuhr. Aber es ist der gleiche Typ, achtspännig und mit sieben Fenstern. Derlei Details sind wichtig, denn als August der Starke seine Kutsche in Paris gekauft hatte, wusste er: in so einer achtspännigen grand carosse dürfen nur der Papst, ein Kaiser oder Könige fahren.
Die Originalkutsche gibt’s nicht mehr, aber die hier gezeigte ist ihr ähnlich. Der Fürstbischof von Olmütz (heute ist das Olomouc in Tschechien), Ferdinand Julius von Troyer, hatte sie 1746 vor seiner Inthronisation in Wien geordert. 2.000 Gulden (das waren 1.400 Thaler) ließ sich der Fürstbischof das kosten – wenn man bedenkt, dass der Jahreslohn eines Zimmermanns damals rund 70 Thaler betrug, ahnt man, warum der Fürstbischof verschuldet verstarb. So blieb die Kutsche im Besitz des Bistums.
Die Kutsche macht schon was her: 2 m ist sie breit und 6,40 m lang (ohne Deichsel). Mit 3,30 m Höhe und 2,5 Tonnen Gewicht kommt sie einem frühen SUV schon sehr nahe. Edle Hölzer sind verbaut, hinzu kommen Gold, Samt und Silberstickerei – alles nur vom Feinsten. Vier allegorische Gemälde drum herum zeigen die damals bekannten vier Kontinente. Acht Fenster waren weiland das Maximum, was eine Kutsche haben konnte – diese hat sieben. Und ein beeindruckendes Hinterrad, mit einem Durchmesser von 1,75 m.
Nun aber hoch zur Sonderausstellung, die sich „wie ein Barockgarten“ (Ausstellungsleiter Benjamin Otto) präsentiert. Es gibt also keinen klassischen Rundgang, sondern eher ein Bummeln durch die Themenfelder – es hängt ja eh immer alles mit Allem zusammen. Das alles ist – Premiere im Verkehrsmuseum! – aber relativ dunkel präsentiert: „Diese Ausstellung ist für uns Neuland“, erklärt Joachim Breuninger: „Die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts liegt eigentlich vor dem, was wir sonst so machen. Es sind teils fragile Objekte, schwerer zu bekommen wie beispielsweise ein Trabbi und auch anders zu behandeln. Gerade 300 Jahre alte Textilien sind auch lichtempfindlich!“
An Trabbi & Co. war natürlich damals noch gar nicht zu denken. Als Kurfürst hatte man ganz andere Sorgen! August der Starke, immerhin schon Kurfürst, wollte mehr – auch nichts Ungewöhnliches, damals wie heute. Wie alle Adligen wollte er seinen Stand erhöhen. Er strebte nach mehr, nach der Kurfürstenwürde hatte das mit dem König ja ganz gut geklappt. Aber geht da nicht noch mehr? Für ihn wär’s schwer, aber für seinen Sohn hatte er sich einen tollen Plan ausgedacht. Kaiser wäre doch was. Schon früh hatte sich deswegen August der Starke die kleine Maria Josepha als Gemahlin für seinen Sohn ausgeguckt. Sie hätte nämlich, nach dem damaligen Stand der Dinge, in der Thronfolge die Nummer eins werden können – und damit ein Wettiner Kaiseringatte. Daraus wurde zwar nichts, aber das weiß man ja vorher nie.
Aber die Blöße einer geplatzten Hochzeit gab man sich natürlich nicht – und mit den wochenlangen Feierlichkeiten in Dresden signalisierte man dann auch ganz deutlich: Wir gehören in die Champions League in Sachsen – „deswegen der ganze Aufwand!“ erklärt Breuninger. Die Hochzeit war natürlich schon lange vor dem Datum geplant. Aber nicht alles verläuft nach Plan, auch damals nicht: das erste Treffen des späteren Hochzeitspaars fand „vor der offiziellen Vorstellung“ bei einer Schlittenfahrt statt – weswegen es in der Ausstellung auch einen veritablen Carouselschlitten zu sehen gibt, reich gülden verziert. Vor allem der laszive Putto hätte den Zwangsverliebten sicher auch gefallen.
Man könnte ja meinen, es hätte im 18. Jahrhundert nur Fürsten und Kaiserstöchter gegeben. Dem war natürlich nicht so. Aber wie stand’s denn allgemein um die Mobilität anno 1719? Es gab sie! Die meisten Menschen waren damals allerdings zu Fuß unterwegs. Wer es sich leisten konnte, fuhr mit einer Postkutsche mit – das war zwar nur unwesentlich schneller (Reichweite 25 bis 30 km pro Tag) und bei den damaligen Wegeverhältnissen (ruppig, sehr ruppig. Oder matschig, schön matschig) auch nicht wirklich bequem. Eine eigene Kutsche hatten freilich nur ganz wenige – und arg bequemer war die auch nicht. Aber in der Kutsche hatte man wenigstens ein Dach überm Kopf…
Und Maria Josepha? Die reiste in der Kutsche von Wien nach Dresden in elf Tagen, wobei zur allgemeinen Erholung der Knochen da auch Pausen drin waren (unter anderem drei Tage Prag, was ja immer eine gute Idee ist). Der Prinz ist neben ihr geritten – das Reisen in der Kutsche galt für Männer als verweichlicht. Dafür hatten sie bei Bedarf tolle Sättel, wovon man einen ganz besonders üppigen (mit Samt und Gold!) in der Ausstellung sieht: er war ein Geschenk vor Ludwig XIV, den er (mit fünf weiteren Sätteln) 1715 nach Dresden schickte.
Am 1. September verließ der Tross mittags Aussig (Usti nad Labem) und kam nach 17 Uhr in Pirna an. „Man hätte von dort ja durchfahren können, aber man wollte zeigen, was so alles geht: die Elbe als canale grande von Dresden“, erläutert Joachim Breuninger. Für die Schiffsparade Pirna – Dresden wurden in Hamburg zwölf Schiffe gebaut. Das Prunkschiff für Maria Josepha ist dem Dogenschiff Bucentauro nachempfunden. Das Modell kann man in der Ausstellung sehen. „Wahrscheinlich ist es das Modell, das der Gondelbauer aus Venedig als Vorlage für den Bau mitgebracht hatte“, vermutet Joachim Breuninger.
Was Maria Josepha auf ihrem Weg von Blasewitz zum Schloss in Dresden wohl gedacht haben mag? Wien! Ja Wien! Mit rund 120.000 Einwohnern und all dem Großstädtischen! Und nun Dresden, gerade mal 20.000 Einwohner und zumindest auf dem Weg zum Schloss mit schnell nachlassendem Prunkfaktor außerhalb der Kutsche. Vielleicht sah sie ja unterwegs schon einige der rund tausend Gäste, die zu Fuß oder in Sänften getragen unterwegs waren. Vielleicht sah sie auch, wie jemand in einer Schubkarre den ganzen Mist aufsammelte, den die Pferde so hinterließen. Wenn nicht: sie sollte vom Himmel, von dem aus sie die ganzen Bemühungen des Nacheiferns jenes spannenden September vor dreihundert Jahren verfolgt, einen Blick in die Ausstellung des Verkehrsmuseums werfen. Da haben Dana Runge als Kuratorin und Benjamin Otto als Ausstellungsleiter nämlich nichts ausgelassen und zeigen alles…
Verkehrsmuseum Dresden
Augustusstraße 1
01067 Dresden
Tel. +49 351 / 8644-0
www.verkehrsmuseum-dresden.de
Geöffnet:
Dienstag bis Sonntag von 10 – 18 Uhr · Montag geschlossen
Sonderausstellung: Von Prunkgondeln, Prachtkutschen und Pferdeäpfeln – Unterwegs zur Jahrhunderthochzeit 1719
30.08.2019 – 05.04.2020
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