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Womit wir beim Bummel durch die Straßen von Lagos nicht gerechnet hatten: es gibt eine Menge beachtliche Wandmalereien. Diese murals entstanden keineswegs so zufällig wie wir sie entdeckt haben: das Laboratorio de Actividades Criativas (LAC) sorgt systematisch für das bunte Straßenbild, weil es seit 2011 einige der bekanntesten Straßenkünstler Europas für das Festival ARTURb (Artistas Unidos em Residencia) organisiert, die für anregend aufregende Street Art sorgen.
Wo die Rua Infante de Sagres auf Reste der alten Stadtmauer trifft, hat im September 2014 der spanische Street Art Künstler Gonzalo Borondo ein Wandbild mit Acryl an der Wand realisiert. Fast schwarz-weiß, aber mit nicht unbedeutenden farbigen Tupfern. Das Gemälde nimmt die gesamte Breite der Lagerhausseite entlang der Stadtmauer ein und ist, wenn man sich das aktuell auf Google Maps mit Aufnahmen vom Juli 2020 ansieht, mittlerweile schon arg verblasst: Street Art Schicksal…
Gleich um die Ecke gibt es ein großformatiges Wandbild des polnischen Künstlers Sepe. What goes around comes around hat Michal Sepe sein Wandgemälde genannt, das gerne mal von Autos zugestellt ist, weil es dort Parkbuchten gibt. Auf der Seite des Künstlers kann man das mural aber sehr schön sehen – auch wie sich die Farbtöne mit dem Motiv ändern und der Stock, den der Mann erst als Waffe verwendet hat, zu seinem eigenen Stock wird.
Geht man die schmale Straße Largo dos Quarteis weiter, trifft man ein Schuppentier, das den Betrachter aus drei Augen im Schuppenkleid ansieht. Zu diesem rein schwarz-weißen Kunstwerk habe ich leider nichts gefunden – in der Liste des LAC steht es nicht, ist also offensichtlich außerhalb der jährlichen ARTURb Sessions entstanden.
Dafür ist das Portrait eines rauchenden Mannes nur zwei Häuser weiter sehr gut dokumentiert. Frederico Draw, geboren in Porto, Master in Architektur von FAUP [2006-13] und Mitglied des RUA Collective [2011] hat es 2016 aufgetragen. Er verwendet Sprühdosen wie Bleistifte – sein großformatiges Portrait war übrigens der Anstoß dazu, bei unserem Besuch von Lagos auch andere Street Art etwas genauer zu betrachten (ohne sie systematisch zu suchen). Der Künstler sagt über sich – in der hübsch distanzierten dritten Person geschrieben: „Er verwandelt jede Oberfläche in einen breiten Skizzenblock, auf dem Holzkohle durch Sprühdosen ersetzt wird. Die theatralische Wirkung seiner Gesichtszüge beruht auf den äußerst detaillierten Blicken seiner Motive, die im Gegensatz zur Rauheit des Gesichts stehen.“
Auf der anderen – östlichen Seite des bei Lagos streng kanalisierten Flusses Ribeira de Bensafrim kommen wir ins Industriegebiet. Zweckarchitektur und geschäftiges Treiben – und passend dazu auf der Rückseite ein mural von Daniel Padure. Dive Time hat der Künstler sein Wandbild genannt, weil es an der Rückseite des gleichnamigen Ladens zu sehen ist. Ich hätte ja Taucher mit Fisch freut sich aufs Abendessen interpretativ passender gefunden. Lustige Bilder malt der Herr Padure, der 2016 in Lagos war und dort mehrfach Spuren hinterlassen hat (auch dieses Bild ist übrigens nicht auf der offiziellen Karte zu finden).
Jede Wandmalerei, jedes Grafitti hat natürlich Urheber. Aber nicht alles, was uns so unterkam, ließ sich recherchieren. Zum Teil liegt das wohl auch daran, dass Street Art vergänglich ist. Manchmal ergeben sich aber auch vorher-nachher-Bilder: die Straßenbahn an der Rua Soeiro da Costa 51 ist auf dem Bild von Google Maps aus dem Jahr 2009 noch nicht gemalt – die Wand ist nackscht, was sie nicht unbedingt schöner macht – aber das ist ja ein ewiger Streitpunkt. Und was da auf dem Gassen-Einblick so aussieht wie ein um die Ecke schauender Neugieriger ist in Wahrheit ein ziemlich lustiges Gefährt in der Rua Primeiro de Maio, das man zumindest auf der Aufnahme vom Juli 2020 noch erkennt.
Aus Polen kam Bezt nach Lagos, um ein riesiges Wandgemälde auf der Rua Lancarote de Freitas direkt vor dem Kulturzentrum von Lagos zu malen. Bezt ist Mateusz Gapski und Teil des Duos EtamCru. 2013 hatte er in Lagos eine „Begegnung mit dem Gott“. Auf grünem Grund kniet eine Frau, geduckt –weil das Haus nicht höher ist? Ist sie Gott? Oder ist es der Fisch auf der anderen Seite der Tür? Oder sind sie es beide, im Team? Der Antwort näher kommt man, wenn man auf der Seite des Künstlers eine Animation zum Werk sieht: der Fisch schwamm nämlich gar nicht immer an der Wand, sondern hatte diverse Kumpel: aus dem Fisch wird in der Animation ein Augapfel. Aus dem wird, ganz schnell, eine rote Krake, die sich hüpfend zum Käse macht (so ein schweizer, mit Löchern). Vom Käse zum Kaninchen im Zylinder ist es keine Zauberei – die zum Stinkefinger danach schon eher. Aber beim flüchtigen Hinsehen könnte man ja meinen, dass da ein Greif sitzt. Daraus wird ein Vogel, aus dem ein Totenkopf erwächst. Es folgen ein Pixel, eine Champagnerflasche mit Totenkopf-Etikett, so eine Art Cupcake, ein veritabler Blitz aus düsterer Wolke – die zum Fisch wird. „Alle Charaktere wurden zuerst an die Wand gemalt und dann animiert“, schreibt Bezt unter seine Animation: das wäre spannend gewesen, das live in Lagos zu erleben!
Etwas weiter die Rua Lancarote de Freitas hinunter gibt es gleich zwei Kunstwerke übereinander: der Wuschel oben stammt von Gonçalo Mar (Portugal) aus dem Jahr 2012 – man beachte die Krone! Die Wand unten entstand ein Jahr später, die beiden portugiesischen Straßenkünster Add Fuel & Samina gestalteten sie als Mischung aus typisch portugiesischen Fliesen und Portraits eines alten Mannes von Samina.
Das Wandbild des argentinischen Künstlers Francisco Bosoletti, befindet sich in der Nähe der LAC Galerie. Es entstand während der ARTURb 2015. (Der Blickwinkel des Fotos auf der LAC-Seite gefällt mir besser: da wachsen die Bäume wie Haare aus dem Kopf!)
Ebenfalls 2015 war Mr. Woodland aus Erding in Lagos und hat dort (wenigstens) drei Werke hinterlassen. Wir sahen seinen Fuchs – und ein wenig musste ich an Janosch denken, der mit der Gans unterm Arm (sinngemäß) sagt: Ich gehe mit der Gans zur Beerdigung. Zu ihrer, sie weiß es nur noch nicht…
Neben dem farbenfrohen Werk von Mr. Woodland ist eine eher grafisch angelegte blauschwarz/weiß der beiden Künstler Pantonio und Sainer zu erkennen – es entstand 2012, da war die Woodland-Wand noch frei…
„Don’t Take the Bait“ (in etwa: schnapp nicht nach jedem Köder) nennt der italienische Künstler Mister Thoms sein Bild (2017), das nicht ganz zufällig an der Seite eines Gebäudes in der Nähe des Restaurants Os Lambertos zu sehen ist. Das Thema Müll im Meer hat es dem Künstler angetan, es gibt ähnliche Bilder, zum Beispiel „All you can eat“.
Benutzte Quellen:
Karte des LAC
www.blocal-travel.com/street-art/lagos-street-art-guide/
streetartnews.net/2014/09/borondo-creates-new-mural-for-arturb-in.html
theoccasionaltraveller.com/street-art-lagos-portugal/
www.urbanpresents.net/2014/06/artur-festival-in-lagos/
Alle Fotos vom Oktober 2017.
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