Mehr Kunst in den Straßen von Lagos

StreetArt Lagos 2024

There’s an English version of this article…

Street Art ist ja mehr als Kunst im Vorübergehen. Wir waren beim ersten Besuch 2017 in Lagos eher zufällig drauf gekommen, dass die murals dort ja System haben – die meisten entstanden bei ARTURb, einem Projekt für urbane Kunst, das einige der repräsentativsten nationalen und internationalen Künstler in diesem Bereich nach Lagos und an die Algarve gebracht hat. Wir haben beim jüngsten Besuch an einem trüben (und später regnerischen) Tag im Januar 2024 gleich einen Stadtspaziergang entlang der Straßenkunst gemacht. Natürlich wieder überhaupt nicht vollständig, wozu auch ein veritabler Regenschauer beitrug – aber so trafen wir wenigstens schnell die Wahl zum passenden Restaurant (dass es genau gegenüber dem 2017 besuchten lag, ist aber wirklich Zufall!).

Die Runde begann (und endete) nicht an einem StreetArt-Hotspot an einem Parkhaus – es gibt also bessere Startpunkte, wenn man keinen Parkplatz braucht und es nur um die Murals geht. Aber immerhin sahen wir (etwas weit ab von all den anderen) gleich am Anfang einen hauswandgroßen Knochenmann an einem Hotel, der den Parkplatz davor bewacht. Der spanische Künstler Aryz liebt es groß, Knochenmänner kommen auch immer wieder vor (z.B. in Köln) – aber er kann auch bunt und fast lebensbejahend!

Aryz – tempus fugit (2014)

Eine Wand, die auf GoogleMaps als StreetArt Wall eingetragen ist, bietet reichlich Eindrücke. Nicht alle lassen sich problemlos aufs Bild bannen – Street Art ist Kunst im öffentlichen Raum und wird dementsprechend auch gerne mal zugeparkt. Das ist nicht schön für Fotografen, aber was gar nicht geht: wenn Leute, die sich witzig finden, an den Werken rummachen und ihre eigenen Ideen dazu geben. Der charaktervolle Mann mit der Zigarette stammt von Joao Samina, das Werk entstand 2016 bei einem Samina-Workshop im Rahmen von ARTURb 2016, den das LAC (Laboratório de Actividades Criativas) organisiert hatte. Saminas Kunst ist eine Mischung aus seinen Wurzeln in der Architektur (er studierte das Fach), seinem Interesse an Grafikdesign und der Erfahrung, die er in den Jahren auf den Straßen Lissabons (wo er lebt) gesammelt hat, als er neue Dinge ausprobierte.

Joao Samina (2016)

Direkt daneben sehen wir zwei Portraits von Tars8Two (so die Signatur). Auf seiner Webseite bezeichnet er sich als Muralist, was natürlich etwas ganz anderes als ein Moralist ist! Der brasilianische Künstler Tarso Silva lebt in Portugal und war bei der Erstellung seines Webseitentextes „38 Jahre alt mit 24 Jahren Erfahrung in der Graffitikunst“. Anfangs durchaus mit Problemen mit den Eigentümern der Wände und der Polizei. Sechs Jahre Studium am College und eine wichtige Erfahrung später (ein Freund hatte eine Bar in Curitiba in Brasilien und lud ihn ein, das Lokal zu bemalen) sah die Welt dann anders aus. Das Malen ist zu seinem Beruf geworden, Tars8Two wurde zum Cracker (Graffiti-Begriff für Meister, die alle Kunststile mit Sprühdosen malen können) und spezialisierte sich auf Hyperrealismus – dem schwierigsten Stil, der mit Dosen gemalt werden kann. Links erkennt man übrigens die Rap-Legende MC Rakim, rechts die Hip-Hop-Musikerin und Schauspielerin Queen Latifah.

Tars8Two (2020)

Wenig weiter in nördlicher Richtung sehen wir auf einer Mauer einen Sträfling, der mit einer Kette am Fuß mit einem Papierkorb in der realen Außenwelt verbandelt ist. Mit Fiumani signiert der italienische Künstler seine Werke  – und er liebt es, Objekte und Murals miteinander in Beziehung zu setzen. Der 1987 in Loreto (Italien) geborene Filippo Fiumani alias Mani arbeitet als bildender Künstler, Straßenkünstler, Performer und Schauspieler. Für ihn ist Kunst nicht nur eine ästhetische Sache, sondern auch ein soziales Werkzeug, um die Werte des Menschen zu vermitteln und zu verbessern. Seit 2017 konzentriert er sich auf das Recycling und die Wiederverwendung von hauptsächlich menschlichem Abfall und verbindet diesen mit seinen Technologien, um Kunst zu schaffen. (Die Lampe gab es bei der Erstellung des Werkes nicht, wie man auf alten Bildern sieht. Und die Müll-Kiste scheint auch nicht mehr die originale zu sein…)

Fiumani (2022)

Windhunde zu Wölfen und wieder zurück entstand 2021 als ein Gemeinschaftswerk von Tamara Alves, Margarida Fleming, Huariu und Bigod. Auf Instagram haben sie ein sehenswertes Timelapse aus den Einzelbildern zusammengestellt.

Tamara Alves mit Margarida Fleming und Huariu und Bigo

Tamara Alves mit Margarida Fleming und Huariu und Bigod

Die Schablonenkunst von Anders Gjennestad aka Strøk hat keinen Titel, aber wir nannten das 2016 entstandene (und langsam aber sicher zerrostende) Werk einfach „Schwebende Männer auf rostigem Tor“. Strøks Stencils erkennt man sofort: er mag die schwerelos schwebenden Figuren und platziert sie mal auf riesige Hauswände, mal in kleine Türen. Strøk wurde 1980 in Norwegen geboren und lebt in Berlin.

Anders Gjennestad aka Strok (2016)

Weniger Meter weiter gibt es ein Double Feature, entstanden jedoch in unterschiedlichen Jahren.

Czarnobyl und SnikArt

Czarnobyl ist ein Schablonenkünstler, der auf der polnischen Seite der ukrainischen Grenze als Damian Terlecki geboren wurde. Sein Künstlername erinnert nicht zufällig an den 26. April 1986 und den Super-GAU im Kernkraftwerk von Tschernobyl. Er erschafft dunkle, düstere und abstoßende Welten der Konfrontation aus Formen und Motiven von skurril anzublickenden Menschen. Seine Bilder zeigen eine optische Überdosis an Formen und eine nahezu übertriebene Detailgenauigkeit von fotografischen Portraits und zwingt damit den Betrachter in sein Universum einzutauchen. Das Werk (ohne Titel) hier stammt aus dem Jahr 2018.

Czarnobyl (2018)

SnikArts steht für ein Künstlerduo aus Stamford, Großbritannien. Ihr 2023 entstandenes Werk heißt The memory remains.

SnikArt – The memory remains (2023)

Ein Solitär von Jaoa Samina aus dem Jahr 2019 hübscht die Gegend rund um den Mercado Municipal de Santo Amaro erheblich auf. Man sieht ein Doppel-Portrait der Schriftstellerin Sophia de Mello Breyner Adresen.

Jaoa Samina (2019)

BIGOD, mit bürgerlichem Namen João Domingos, ist ein portugiesischer Künstler, der für seine Arbeiten mit Schablonentechnik bekannt ist. Er hat sich auf die Darstellung ethnischer und regionalistischer Konzepte spezialisiert und fördert durch seine Kunst traditionelle Aktivitäten, die in der modernen Gesellschaft in Vergessenheit geraten sind. BIGOD verleiht traditionellen Themen einen zeitgenössischen Touch, indem er geometrische und organische Formen zu einzigartigen Kompositionen verschmilzt. Eine spannende Geschichte verbirgt sich hinter der von BIGOD gestalteten Schulwand. Beim Projekt Wände mit Leben war Biodiversität das Thema. Das Projekt war Teil des Eco-Schools-Programms und fand unter anderem in Kooperation mit dem Creative Activities Laboratory (LAC) statt. Ziel war es, durch urbane Kunst das Bewusstsein für die Bedeutung von Biodiversität und Ökosystemerhaltung zu stärken. Sara vom LAC leitete Workshops zur Biodiversität und Schablonentechnik, in denen jeder Schüler eine eigene Schablone erstellen und damit die Schulwand bemalen konnte. Und während die Schüler in der Woche vor dem Internationalen Tag der Artenvielfalt eine Wand (und als Dank für die Sponsoren parallel eine Leinwand) gestalteten, verschönerte BIGOD die fensterlose Wand des Schulgebäudes. Die Arbeit der Schüler ist von außen nicht einsehbar.

Bigod – Walls with Life

Der Fläche an der Stadtmauer an der Rua Infante de Sagres ist 2021 übermalt worden: Huariu, 1992 in Portugal geboren und erst seit etwa zehn Jahren im Street-Art-Business, zeigt mit diesem eindrucksvollen Portrait, dass er durchaus auch mal Farbe einsetzen kann – denn meistens kommt er mit schwarz aus (weiß ist ja schon der Untergrund…). Das Rot macht sich natürlich gut – und schwarz-weiß mit Farbtupfer gab’s ja auch beim Vorgänger Borondo.

Huariu (2021)

Ein Blick um Die Ecke musste jetzt sein, denn da hatte uns 2017 What goes around comes around von Michał ‚SEPE‚ Wręga fasziniert. Das ist jetzt mittlerweile auch schon zehn Jahre alt, aber noch gut erkennbar – wenn auch ein wenig blasser.

Sepe – What goes round (Foto 2024)

Ebenfalls ein Wiedersehen gab es an der Ecke Rua da Atalaya/Rua João Bonança mit Francisco Bosolettis Frauengesicht, das hier schon seit 2015 Freude verbreitet. Im Vergleich zur 2017er Aufnahme sieht man, wie auch hier die Kunst sinnlos angereichert wurde.

Francisco Bosoletti (2015)

Klein und unscheinbar neben einer Tür auf einem dieser Schaltkastenabdeckungen entdeckten wir ein Portrait, dessen Urheber Guatè Mao ist –  ein französischer Straßenkünstler, der mit nur wenigen Schablonen detaillierte und ausdrucksstarke Bilder schafft. „Trotz seines wachsenden Ruhmes bleibt Mao schwer fassbar und hält seine Identität geheim„, lesen wir. Wenn’s bei der Legendenbildung hilft…

Guaté Mao

Die beiden Schweizer Onur (der jetzt in Berlin lebt) und Wes21 hatten sich 2013 für eine Gemeinschaftsarbeit zusammengetan und ein buntes Fantasy-Bild an die lange Mauer der Rua Lançarote Freitas gebracht. Irgendwas mit Windhunden und viel zu großem Cursor auf der einen und was mit Boot und Daumen hoch auf der anderen Seite. Angesichts der jagenden Hunde könnte das Bild schlicht Läuft… heißen. Aber der Titel ist Hunt, fast wie Hund (aber nur geschrieben 😉 )

Wes21 & Onur (2013)

Zwei kuschelnde Schnecken vor üppigen Blüten des belgischen Künstlers Roa (wahrer Name? Nicht bekannt!) machen sich hier ganz gut: die Natur bringt die Farben, und ausnahmesweise hat sich Roa hier nicht mit toten Tieren verewigt, da braucht’s meist etwas mehr Toleranz bis zur Akzeptanz…

Roa

Lagos Jungle Fever ist eine Kollaboration von den drei Künstlern Tars8Two, Tetebotan Kali und Le Funky, die drei verschiedene Hintergründe haben, aus unterschiedlichen Ländern kommen (Brasilien, Ghana und Portugal). Jeder Künstler hat seinen Platz an der Wand. „Das Werk soll das Zusammengehörigkeitsgefühl fördern. Wir sind alle von verschiedenen Stämmen, aber wir sind trotzdem alle Menschen“, ist das Statement drei Künstler.

Lagos Jungle Fever

Lagos Jungle Fever

Nur wenig weiter (einmal ums krumme Eck…) sehen wir Bekanntes und Neues. Die Wand des Centro Cultural de Lagos zeigt sich im neuen – nahezu flächendeckenden – Gewand. Finding new Shapes ist der passende Titel des Mural von The Caver, das 2023 dort zu sehen ist (2017 war es eine Art Quallenwuschel mit Krönchen von Gonçalo Mar, aufgetragen 2012). „Der siebenunddreißigjährige CAVER, der von seiner Mutter und seinem Vater Nuno Barbedo genannt wird, malt seit seinem fünfzehnten Lebensjahr mit Dosen“, las ich in einem schönen Beitrag über den Künstler, der den Aufenthalt in Lagos nicht nur für Auftragsarbeiten nutzte…

The Caver – Finding new shapes (2023)

Die Mauer unterhalb der Hauswand ist eine Kooperation von Add Fuel & Samina, die 2013 entstand. Man erkennt noch gut die Idee: in den typisch portugiesischen Azulejos (Beitrag von Add Fuel) und dem Portrait eines alten Mannes (Samina). Mal sehen, wie lange das noch überlebt…

Add Fuel & Samina (2013)

Azulejos – das sind die bemalten, bunten Keramikfliesen. Saudade – Sehnsucht – nennt Add Fuel (das ist Diogo Machado) sein Werk, das ein echter Hingucker ist und 2020 entstand – wir erinnern uns: das erste Jahr der Pandemie. „Saudade ist ein Gefühl von Sehnsucht, Melancholie, Verlangen und Nostalgie, das für das portugiesische Temperament charakteristisch ist. Es beschreibt einen tiefen emotionalen Zustand, eine Sehnsucht,“ beschreibt Add Fuel sein Werk und interpretiert: „Nach einer langen Zeit, in der ich von zu Hause aus und im Atelier gearbeitet habe, hatte ich letzte Woche die Gelegenheit, in den Süden meines Portugals zu reisen, um dieses Wandbild im historischen Zentrum des schönen Lagos an der Algarve zu malen. Was für eine wunderbare Art und Weise, langsam zu einer neuen Normalität zurückzukehren. In diesen seltsamen Zeiten, in denen wir alle leben, macht dieses Gefühl und diese Botschaft mehr Sinn denn je. Wir alle vermissen heutzutage etwas, wir vermissen unsere Lieben, wir vermissen Umarmungen, wir vermissen Freiheit, wir vermissen unser Leben. Saudade ist ein Gefühl, das wir als Portugiesen immer fühlen, jetzt und immer.“

Add Fuel – Saudade (2020)

Zu diesem Zeitpunkt unserer Tour wechselte das Wetter von blöd nach ungemütlich – und da passte es ganz gut, dass wir vor der Taberna da Mo standen. Bei einem Glas Wein wollten wir die nahende Husche äußerlich trocken überstehen. Dass wir dann länger blieben, lag an der Fehleinschätzung Husche – es wurde ein eher stärker werdender Regen. Außerdem gefiel uns die Speisekarte…

Als wir beim Verlassen des Restaurants noch einen Blick zurück warfen, erblickten wir Santa Maria – ein großflächiges Mural an der Wand der Taberna da Mo und Teil des Vorhofes zum Restaurant Santa Maria. Tars8Two hat es 2023 gestaltet.

Tars8Two Santa Maria (2023)

Karte

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Quellen

hierdadort.de/murals-der-algarve-street-art-tour-durch-lagos
streetartcities.com/cities/lagos
lac.org.pt/arturb/

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