Wer kennt die Winzer, nennt die Namen? Also die Großen kennt man ja, vom Wein her oder sogar persönlich. Aber es sind ja so viel mehr – und vor allem die mit (noch?!) nicht ganz so bekannten Namen lohnen sich vielleicht kennen zu lernen. Nur wie? Eine gute Idee wäre, Leute in die Spur zu schicken, die sich ein wenig auskennen in der Szene. Solche wie Janek Schumann und Wolfgang Staudt beispielsweise. Der eine (JS) ist Master of Wine – anerkannterweise die weltweit elitärste und anstrengendste Ausbildung in Sachen Wein. Es gibt weltweit nur 419 MW, wie die offizielle Abkürzung lautet – zehn davon in Deutschland. Der andere (WS) nennt sich selbst einen Wein-Educator, er ist Buchautor, Referent, Podcaster, Trainer, Ausbilder und Reisebegleiter. Beide sind so etwas wie Trüffelhunde in Sachen Wein: gute Weine zu finden ist ihr Job. Und die passenden Menschen dazu natürlich gleich mit, denn Wein macht sich ja nicht von alleine.
Ein Buch sollte es werden, eins mit Winzerportraits aus ganz Europa. New Wine Wave stellt 101 solcher Portraits von Europas Winzern für die Zukunft (so der Untertitel) vor, die im Weinberg Europa neue alte Ideen verwirklichen. Es sind nicht die bekannten Namen, die man beim Blättern in dem Dreipfünder findet – aber vielleicht sind es ja die, die uns in den kommenden Jahren aufmerken lassen. Aber auch wenn nicht: es ist eine spannende Reise zu Winzern in Europa, deren Weine man am liebsten beim Lesen gleich im Glas hätte.
Wie aber wählt man aus – es gibt ja mehr Winzer als genug! Handwerklich sollten sie arbeiten, das war klar. Aber mehr kam hinzu, wie die Autoren in ihrem Vorwort schreiben. „Oft sind es Menschen, die mit dem Winzerberuf einen alternativen Lebensentwurf verbinden, entgegen dem Größenwahn und der Geschwindigkeit unserer Zeit. Authentizität und Nachhaltigkeit sind Ihnen wichtiger als das schnelle Geld, sie hinterfragen die Versprechungen von Technik und Chemie, erproben neue Denkansätze und Konzepte und bedienen sich dabei nicht selten verloren gegangenem Wissen und vergessenen Praktiken. Denn häufig zeigt der Blick zurück neue Wege in die Zukunft. Keineswegs im Sinne einer »Früher war alles besser«-Mentalität, sondern mit dem Bewusstsein, dass Tradition und kulturelles Erbe unverzichtbar Bestandteile wirklich authentischer Weine sind.“
Trotz der rund 1.500 Gramm ist New Wine Wave ein Buch, das man gerne zur Hand nimmt: es ist solide gedruckt, mit Hardcover und schönem Papier. Haptik zum Genießen! Die Winzer werden länderweise vorgestellt und sind dort (hat mir Janek Schumann im Gespräch für unseren Podcast „Auf ein Glas“ verraten) alphabetisch nach Vornamen sortiert. Weswegen wir recht schnell an einem sächsischen Betrieb hängen blieben, weil der Herr Dupont de Ligonnès mit dem Vornamen Alexandre weit vorne liegt. Wir hatten den Winzer 2017 ja auch schon mal besucht, als er noch ganz frisch in Sachsen war. Natürlich erfahren wir dennoch viel Neues: Janek Schumann hat als Fachmann natürlich viele Fragen zum Weinmachen gestellt. Und schöne Antworten bekommen. „Von Jahr zu Jahr habe ich mehr weggelassen“, sagt der Winzer. „Additive, Filtration, Schwefel. Mal ist etwas Restsüße dabei, man ein kleines Bitzeln, mal ein Hauch flüchtiger Säure.“ Und der Master of Wine fasst zusammen: „Die Akzeptanz des Zufalls“ – und, weiter unten: „Der Zufall als Lebensprinzip.“
Man kann, aber man muss das Buch nicht wie ein Buch lesen – also von vorne nach hinten. Ich habe geblättert und bin hängen geblieben. Mal, weil ich die Gegend kenne, mal, weil ich sie gerne kennen lernen möchte. Mit den Typen, die da großformatig abgebildet sind (tolle Schwarzweiß-Fotos, die meisten offensichtlich beinahe ungestellt aufgenommen von Anja Prestel), möchte man ja vielleicht mal einen Wein trinken! Oder, wie im Falle von Max Geitlinger aus dem badischen Wollbach-Egerten nachlesen, wer diesen so untypisch-geilen Müller-Thurgau gemacht hat, den wir gerade beim Gespräch im Glas haben. Man lernt auch hier wieder viel, das Traube-Keller-Mensch Zusammenspiel erschließt sich. Und auch der Geschmack der beiden Autoren gewinnt Konturen, weil gewisse Beobachtungen immer wieder vorkommen: naturnah, einfach (ist meist schwer!), respektvoll. Und auch die Zeit spielt immer wieder eine tragende Rolle: Zeit, die man sich als Winzer nehmen sollte, um die Weine sich entwickeln zu lassen.
Wer schon etwas Ahnung vom Weinbau hat, versteht mehr bei der Lektüre. Ansonsten kann man ja parallel auf dem Smartphone oder Tablet die Wikipedia bemühen. Oder kennen sich hier oder zu Hause auf dem eigenen Sofa alle aus mit den Erziehungsmethoden im Weinbau und können den Unterschied zwischen Halbbogen– und Kordonerziehung plausibel erklären? Vielleicht wäre ein überschaubares Verzeichnis mit Kurzerklärung nicht allgemein bekannter Begriffe ja ganz hilfreich gewesen. Bei 384 Seiten machen ja einige mehr den Wein auch nicht fett. Und wo schon gerade das Wunschkonzert an den Verlag läuft: das Layout ist in Teilen etwas gewöhnungsbedürftig. Was dem Winzer die Zeit ist, könnte dem Buch der Raum sein. Hauptkapitel (Länder/Regionen) wie Unterkapitel (Winzerinnen und Winzer) hocken eng aufeinander, beginnen mitten auf oder sogar weit unten auf einer Seite. Das hätte man schöner machen können! (Und wenn, wie einer meiner Layout-Lehrer während der Journalistenausbildung einmal bissig meinte, die Autoren „die Tinte nicht halten können“, müsse man eben einfach keck sein. „Auch Goethe wird durch Kürzen besser“, meinte er selbstbewusst…)
Janek Schumann, Wolfgang Staudt
New Wine Wave – Europas Winzer für die Zukunft
384 Seiten, 38 €
ISBN 978-3864893674
PS: Gerne erinnere ich daran, dass der örtliche Buchhandel eine bevorzugte Einkaufsquelle darstellen könnte!
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