Der Ort auf der Karte heißt Kanzem. Oder, in älteren Karten und (wie man in der Wikipedia lesen kann) „zumindest bahnamtlich bis 1936 Canzem“. Noch früher, viel früher, hieß er „Kantzheim“. Was die Orts-Chronik zeitlich für 1381 verortet, lebt jetzt in einem Weingut wieder auf, das Anna und Stephan Reimann 2016 gegründet haben: Weingut Cantzheim. Der ausgewählte Ort war ein spätbarockes Gutshaus aus dem Jahr 1740 am Fuße des unter Liebhabern rassiger Saar-Rieslinge beliebten Kanzemer Altenbergs.
Das Gutshaus, ursprünglich als Weingut des (Vorsicht, Zungenbrecher!) Prämonstratenser-Klosters Wadgassen errichtet, war in die Jahre gekommen und strahlte nicht mal mehr maroden Charme aus – es sei denn, man hat Augen für sowas und, was ja auch nicht unwichtig ist, den nötigen finanziellen Rückhalt, um Träume wahr werden zu lassen. „2007 kaufte der Rechtsanwalt Georg Thoma, der in Neuss bei Düsseldorf lebt, ganz spontan das in die Jahre gekommene Gutshaus samt zugewachsenem Grundstück“, schreibt Elena Berkenkemper 2017 in der Zeitschrift betonprisma.
Das Gespür und die Leidenschaft für die Architektur und die Landschaften an der Saar hatte ihm sein Vater, der Architekt Fritz Thoma, mitgegeben. Der war in Trier geboren, und seine Enkelin hat noch heute Erinnerungen, die nahe ans neue alte Gut Cantzheim führen: „Ich erinnere mich, wie wir in meiner Jugend oft nach Kanzem zu meiner Großtante Heidi Kegel gefahren sind!“ Bei Weinkennern älterer Jahrgänge klingelt’s da im Ohr: Heidi Kegel? Genau: das war die Besitzerin des Weinguts von Othegraven, das jetzt (seit 2010) Günther Jauch gehört. Nun sind sie Nachbarn: der Weinberg, der Cantzheim und Othegraven verbindet, ist der Kanzemer Altenberg.
Zur Begrüßung gibt’s draußen vor dem Gutshaus erst einmal einen Crémant Blanc de Noir vom Spätburgunder. „Das entspricht meiner frankophilen Art!“, sagt Anna Reimann – und obendrein habe Markus Molitor sie geprägt, bei dem sie lange Zeit gearbeitet hat (wie auch bei den Bischöflichen Weingütern Trier). Riesling ist zwar ihre Hauptrebsorte, aber da sie eine Weile im Burgund gearbeitet hat, konnte sie „um diese Rebsorte keinen Bogen machen“. Der Crémant ist kein Zufalls- oder Nebenprodukt: „Wir arbeiten gezielt auf den Crémant hin“, erklärt die Winzerin und möchte sich damit absetzen von denen, die erst nach der Ernte gucken, aus welchem Grundwein man vielleicht mal Sekt machen könnte…
Der Pinot Noir für den Cremant steht in Schiefersteillagen des Saarburger Fuchs. Nach der spontanen Gärung im Edelstahltank lagerte der Grundwein ein halbes Jahr in gebrauchten Eichenholzfässern auf der Feinhefe. Die Flaschenvergärung erfolgte nach traditioneller Methode, das Hefelager nach der zweiten Gärung betrug mindestens 18 Monate. „Wir mögen diese Brillanz, dieses Feine“, sagt Anna Reimann – und ihre Kundschaft scheint das genau so zu sehen: „Der verkauft sich leider viel zu schnell! Wir würden ihn lieber länger lagern!“
Weil es gleich regnen wird, huschen wir schnell in die Orangerie. Die ist einer von zwei modernen Zusätzen, die der Architekt Max Dudler bei der wohl überlegten denkmalgerechten Renovierung hinzugefügt hat. Die links stehende Orangerie aus Stahl und Gklas kontrastiert mit dem Wirtschaftsgebäude rechts, das aus Stampfbeton hergestellt wurde (und in dem nicht nur Weinwirtschaft, sondern auch Gästezimmer untergebracht sind). Wir sind also links und können den Regen (der zu viel ist, um trocken zu bleiben und zu wenig, um dem Weinberg wirklich was zu bringen) hören und sehen. Und wir erfahren die Geschichte der Weingutsgründung: während der Elternzeit zu Kind 2 schob Anna Reimann, die ihrem Vater bei der Sanierung des Hauses zur Seite stand, den Kinderwagen durch Kanzem. Und kam (das geht hier nicht anders) an Weinbergen vorbei. Als freundliche Frau sagte sie einigen Winzern Hallo, „und dann habe ich mit einigen auch mal ein Gläschen Wein getrunken“ – und am Ende des einen oder anderen Gesprächs zeichnete sich ab, dass die neugierige Frage nach den Brachen im Kanzemer Sonnenberg durchaus richtig verstanden wurden. Und weil Kanzem ein Dorf ist, sprach sich herum, dass „die Frau Reimann mit ihrem Kind unterwegs“ ist und die richtigen Fragen stellt. Als die ersten drei Hektar zusammen waren, konnte es dann los gehen. Auch wenn es anfangs nicht unproblematisch war, denn uralte Reben in der Brache verbergen sich oft mal (wie im Saarburger Fuchs) unter Brombeeren. „Die totale Unvernunft“, sagt die Winzerin – aber es hat sich gelohnt.
„…und so hat sich alles gefügt“, resümiert Anna Reimann die Anfänge. Mittlerweile bewirtschaften die Reimanns sieben bis acht Hektar (Ehemann Stephan wurde nach seinem Studium in Weihenstephan in Bonn zu einem Thema über Pflanzenkrankheiten promoviert, seine Ausbildung zum Winzermeister absolvierte er auf dem Weingut Schloss Lieser). Was im Saarburger Fuchs und im Kanzemer Sonnenberg begann, setzt sich mittlerweile mit Lagen in Wiltingen, Filzen, Ayl und Wawern fort. Und weil ja immer alle vom Terroir reden, wollten wir auch gleich mal probieren…
Das war ja sowieso vorgesehen, mit einer Vesper, zu der der Hausmetzger regionale Köstlichkeiten gebracht hatte, zudem gab es Käse („von lauter kleinen Demeter-Höfen) aus Luxemburg, Frankreich, Belgien und dem Saargau. Die Weine fallen schon auf, bevor man sie im Glas hat: die Etiketten sind schlicht gehalten, sehr aufgeräumt. Und es fällt auf, dass sie (fast alle) nicht nur Crémant, Pinot Blanc oder Riesling heißen, sondern mit Artikel versehen sind – also der Crémant, der Pinot Blanc oder beim Riesling bei den Ortsweinen mit Herkunft beispielsweise der Wiltinger Riesling etc. Wir probierten:
2020 der Pinot Blanc. Ein trockener Weißburgunder – eine Herzensangelegenheit, wie wir schon beim Crémant erfuhren, weil die Ausbildung zur Önologin in Frankreich natürlich auch Spuren beim Weingeschmack hinterlassen hat. Von den ältesten Reben Cantzheims in Wiltinger und Filzener Lagen.
2018 der Wawerner. Gelesen im Steilhang der Lage Wawerner Ritterpfad auf eisenhaltigem rötlichen Schieferboden. Leichter Reifeton schon – aber sehr dezent. Gelbe Früchte und tiefgründige Schiefermineralik vereinen sich zu einem Saarriesling mit komplexer Dichte und Länge.
2020 der Fuchs. Ein Phänomen, sagt die Winzerin, denn er steht jedes Jahr gleich gut da. Der Saarburger Fuchs ist die erwähnte Gründungslage des Weinguts Cantzheim, eine Premiumsteilstlage mit uralten, zum Teil wurzelechten Reben. Der Fuchs Riesling ist fast trocken mit moderatem Alkohol von 12 Volumenprozent ausgebaut. Seine dichte Struktur, seine Präsenz und frische Eleganz machen ihn zu einem besonderen Speisenbegleiter.
2020 die Gärtnerin. Ein feinherber Riesling, zu dem es das Pendant der Gärtner gibt – trocken ausgebaut. Die beiden Gutsweine spielen natürlich auf Stephan und Anna Reimann an. Die Gärtnerin ist ein fröhlicher Wein, saartypisch perfekt ausbalanciert. Grooooßer Trinkfluß. Und nein, man möchte kein zweites Glas – man möchte die zweite Flache!
2020 Wiltinger Schlossberg Kabinett. Noch so ein Trinkwunder: Erster Schluck! …dann ist schon die Flasche leer. Theoretisch Alterungspotential von bis zu 20 Jahren – wenn man sich nicht schon vorher an der verspielten Frucht, und der perfekt eingebundenen Säurestruktur erfreuen mag. Kategorie Frühstückswein: 7,5 % Alkohol.
Gut Cantzheim
Weinstrasse 4
54441 Kanzem an der Saar
Tel. +49 6501/607 66 35
www.weingut-cantzheim.de
Hinweis:
Die Recherche wurde unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).
Hinterlasse jetzt einen Kommentar