Die Anfahrt erfolgte nicht ganz stilecht – und eigentlich kann man ja auch nur hoffen, dass es dabei bleibt: die Dampfer der Dresdner Weißen Flotte sind nämlich eindeutig für Überwasserfahrten ausgelegt, auch wenn das Ziel Käpt’n Nemo ist. Der kommandierte bekanntlich die Nautilus bis zu 20.000 Meilen unters Meer. Lang ist’s her, und so wie der PD Pillnitz sich elbauf-elbab schaufelt, treibt’s auch der Käpt’n mit seiner Crew anders: mit Kapitän Nemo – 20.000 Noten unter dem Meer bespielt die Serkowitzer Volksoper noch bis zum 9. Oktober die Schiffswerft in Laubegast.
Wir kennen (und lieben) die Serkowitzer Volksoper ja vom jährlichen Sommertheater in der Saloppe, wo nicht immer leichte musikalische Stoffe aufs Angenehmste aufgeheitert, miteinander gemischt und (zumindest meistens) locker-deftig präsentiert werden. Und das alles auf einem (beim ersten Besuch in der Regel unerwartet) hohem Niveau. Nun gibt’s also eine Winter-Edition, gefördert im Rahmen von „Bleibt neugierig. Kulturstadt Dresden 2022“ und dennoch nicht zum Schnäppchen-Preis zu haben: 135 Euro kostet das Ticket, in dem dann aber auch Schiffsfahrt vom Terrassenufer nach Laubegast und zurück, ein Essen an Bord (inklusive Getränke nach Herzenslust, wie es auf der Webseite heißt) und eine einstündige Aufführung in der Werft – klingt nach vorweihnachtlicher Dinnershow und ist wohl auch als herbstliche Variante so angedacht, wenn auch quasi als Trennkost mit Essen an Bord und Operneinlage zwischen Hauptgang und Dessert.
Ein ungewohnter und wohl auch ungewöhnlicher Ort ist das: eine Schiffswerft. Für normale Dresdner (und Gäste der Stadt, alle bitte gerne m/w/d) ist die Laubegaster Werft zudem eher sowas wie ein Klotz am Bein: man muss weg von der Elbe radeln oder laufen, ein Stück Straße gehen, um wieder an die Elbe zu kommen. Die Werft, das unbekannte Wesen… Nun aber geht’s mitten rein in die über hundert Jahre alte Werft. Der Weg vom Anleger ist farbig angestrahlt, es geht vorbei an Stromkästen und Müllcontainern hinein in die große Schlossereihalle. In der ist es übrigens, zur Freude der teils festlich gekleideten Damen, geheizt. Den eher rustikal gekleideten Menschen wäre dieser Aspekt wohl egal gewesen, zumal man sich (Getränke nach Herzenslust) ja mit innerer Wärme hat ausstatten können.
Die Tonalität des Abends gaben den Ankommenden Silke Krause und Micha Winkler: deren musikalisch sehr weit offene Herzen schlagen ja gerne für den Jazz, und beide können zwar sehr ernsthaft Musik machen, aber gerne sind sie auch ein wenig beschwingt albern. Also begrüßten sie die Gäste vor der Halle musikalisch und ließen die Heiligen einmarschieren. Drinnen waberte vom Tonband die Titelmelodie von Das Boot, aber das kippte schnell Richtung Käpt’n Blaubär, ebenfalls aus dem Off. Der stellte das Personal des Abends vor, von Clara Schumann über den Kleinen Trompeter bis zu Hans im Glück oder dem Jäger aus Kurpfalz– machte alles keinen Sinn, aber spektakulär inhaltsfreie Handlungen kennt man ja von den Dinnershows. Natürlich kommt auch Käpt’n Nemo vor sowie eine Meerjungfrau, die es leid ist, nach dem Motto „oben hübsch und unten Fisch“ zu leben.
Die Meerjungfrau könnte übrigens auch direkt vom Rhein stammen und Loreley heißen. Denn was da zuerst nur als Film durchs Bullauge zu sehen ist, deutet schon an: sehr hübsch. Aber leider eben unten rum nur Flosse. Später wird dann, soviel kann und darf verraten werden, die Technik der Schlossereihalle voll ausgenutzt, so dass die Nixe leibhaftig an der Katze hängend über der Bühne schwebt – gehen geht ja nicht, da fehlt was.
Die musikalische Revue bietet ein heiteres Potpourrie an. La Paloma klingt an, wenn auch mehr im Polkastil von Jindrich Staidel als im volkstümlichen Hans-Albers-Stil, Der Mond ist aufgegangen in einer neuen umweltkritischen Version, der Jäger aus Kurpfalz swingt und klamaukt sich (juhaa, juhaa) durch die hohe Halle. Die beiden Musikanten schlängeln sich und die Sänger*in stilsicher durch die Genres, Nachtclub geht wie Musical, Jazz und Polka sowieso, sogar Schlager und gaaanz wenig Oper. Wer mochte, konnte die eingestreuten Takte von Ich weiß nicht, was soll es bedeuten als heimliches Motto raushören.
Die Gitarre und das Meer (Freddy Quinn 1959) schenkte uns die Zeile „Hansi tut sein Mädchen lieben, aber unterhalb des Nabels hat sie einen Schuppenschwanz“ im Sound der Südsee, und zwischendurch mahnt Poseidon per Bullaugen-Video immer wieder mal an, die Welt zu retten („Wer soll’s denn machen, wenn nicht Du?“ – „Die nächste Generation?“). Von In diesen Heil’gen Hallen in der sarastrofernsten Version ever bis zur Meerjungfrau Arielle im Disney-Bombastosound war das (die älteren Westfernsehenden werden sich erinnern) ein lustiges „Erraten Sie die Melodie“…
Das Publikum am Sonntag vor dem Tag der deutschen Einheit war (Dialekte lügen nicht) eine bunte Mischung zwischen Albaufstieg („60 km vom Bodensee“ definierte das Paar selbst seinen Wohnort) und Elbtal. Die beiden Paare, links und rechts des Ganges im schmalen Salon des Personendampfers Pillnitz zum Essen platziert, genossen (Getränke nach Herzenslust) den Wein und fotografierte sich gegenseitig. Da wuchs zusammen, was zusammen gehört.
Es spielten (in der alphabetischen Vornamenreihenfolge) Mae Dettenborn die bezaubernde Meerjungfrau mit der betörenden Stimme, Micha Winkler den Kleinen Trompeter sowie allerley Instrumente bis hin zur Fahrradpumpe, Rainer König – der Mann mit den dünnsten Beinen und den größten Augen der Welt – den Jäger und die Hexe B., Robby Langer den Hans im Glück und die Gitarre, Silke Krause die Tastaturinstrumente und warum auch immer Clara Schumann sowie Wolf-Dieter Gööck den Käpt’n Nemo. Aus dem Off von Robert Jentzsch videografiert gab Dieter Beckert brachialromantisch wie immer den Poseidon.
Kapitän Nemo
vom 30. September bis 9. Oktober 2022
jeweils Abfahrt 18 Uhr vom Terrassenufer
Karten (Schifffahrt/Drei-Gang-Menü/Getränke/Show) je 135 €
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