In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 brachte das Tief „Bernd“ mehr Regen pro Tag als sonst im ganzen Monat: 94,5 l/qm gegenüber einer mittleren Tagesmenge von 2,2 l/qm . 134 Menschen starben im Ahrtal in den Fluten. Was da in einer Nacht an Häusern und Infrastruktur vernichtet wurde, lässt sich nicht so schnell wieder aufbauen: zwei Jahre danach ist die Situation im Tal nach wie vor mal so und mal so. Auf Einladung des Deutschen Weininstituts (DWI) habe ich im Juni das Ahrtal besucht – es ging um Wein und ums Wasser.
„Zwischen den Welten“ nennt Thomas Winges seine Themenwanderung, in der es um Flut und Wiederaufbau geht. Wir treffen uns am ehemaligen Bahnhof von Altenahr – dort sieht man rundherum die katastrophalen Folgen der Flut. Die beschädigte Brücke der B 267 über die Ahr, der zerstörte Bahnhof inklusive der Taverna Sirtaki – eigentlich an einem recht hohen Punkt des Ahr-Ufers gelegen. Bei der auch nicht kleinen Flut 2016 beispielsweise blieb das Gebäude verschont, wie Sirtaki-Inhaberin Anke Papageorgiou schildert. Der Bahnhof gehört zu den noch nicht sanierten Gebäuden, das Sirtaki agiert jetzt aus einem Kiosk heraus.
Thomas Winges ist der Typus rheinische Frohnatur, den man mögen muss. Gut drauf, dabei aber nicht aufdringlich. Wissend obendrein, ein guter Erzähler auch – also perfekt, könnte man denken. Nun ja, wären da nicht die Fotojournalisten (m/w/d), die es nicht übers Herz bringen, ihren Lesern zwei Jahre nach der Flut einen unernsten Ahrtaler zu zeigen: „Können Sie bitte ernst gucken?“ Kann er, natürlich. Hätte er im Laufe der Schilderungen und beim Betrachten der Bilder aus dem Juli 2021 wahrscheinlich auch automatisch gemacht – da vergeht einem sogar als nicht Betroffenem jegliches Lachen. Denn die Ahr, deren Pegel bei Altenahr im Sommer im Schnitt zwischen 46 und 78 cm anzeigt, stieg 2016 auf 371 cm – und am 14./15. Juli auf rund 1o m. Ganz genau weiß man es nicht, der Pegel stieg um 19:15 Uhr aus (siehe Grafik in Quelle)…
Die Fotos von den Tagen nach der Flut sind beeindruckend und bedrückend. Sie zeigen die Wassermengen und den Matsch, den Unrat – all das, was durch die Gewalt des vielen Wassers nicht mehr an Ort und Stelle war. Brücken, das weiß man eigentlich schon lange, sind bei Hochwasser alles andere als hilfreich: an ihnen sammelt sich alles, was der Fluss mitnimmt (und er nimmt sich wirklich alles: Autos, Bäume, Kleinteiliges). Das sammelt sich an Brücken – vor allem an den alten mit den romantischen kleinen Bögen. Und es türmt sich zum Berg, wodurch das Wasser sich noch mehr aufstaut. Bis durch die Kraft des Wasser der Damm bricht und weiter flussab eine neue Welle kommt.
Ob ich, fragte die junge Kollegin während der Pressereise für ihre Recherche, denn jetzt an der Ahr Urlaub machen würde? Die schnelle Antwort lautete Ja, auf jeden Fall – denn das kennt man ja von anderen Katastrophen (Elbe–Hochwasser, Waldbrände auf La Gomera etc): wenn keiner mehr kommt, ist das die zweite Katastrophe nach der ursprünglichen. Die zweite Antwort, etwas nachdenklicher, schränkte den Spontanentschluss freilich gleich wieder ein: so richtig touristisch schön ist es im Tal ja noch nicht allerorten. Die dritte Antwort, nach 36 Stunden Bedenk- und Besuchszeit, formulierte einer der von uns besuchten Winzer am besten: „Ich würde auf jeden Fall wieder Urlaub an der Ahr machen. Wenn auch nicht unbedingt für siebe Tage!“
Wobei: man könnte schon länger bleiben. Denn kaum ist man einige Meter bergan gelaufen (was im engen Ahrtal schnell geht), kommt man in diese andere Welt, von der Minges spricht. Die heile Welt, die unberührte Natur und die gepflegten Weinberge. Wir laufen die Pützgasse hoch an der Kirche Maria Verkündung vorbei. Sie steht flutsicher, das haben die Mönche im 12. Jahrhundert schon ganz richtig entschieden. Noch weiter oben laufen wir durch den Altenahrer Übigberg, vorbei an Weißburgunder und Riesling. Weiße Trauben im Ahrtal? Na sowas! Schilder weisen auf das Weingut Sermann hin. Wie praktisch: Lukas Sermann hatten wir schon beim Start der Reise kennen gelernt, und sein Weingut steht nach dem Spaziergang durch die Zwischenwelten auch noch auf dem Programm. Auch der Biowinzer (und, laut Webseite, Idealist, Minimalist, Punk) Michael Fiebrich hat hier Riesling stehen. Er ist mit seinem alten Trecker in den Weinberg gefahren und spritzt die Reben.
Von hier oben sieht das Tal schön aus. Wir sehen die zerstörten und fehlenden Häuser ja nicht – anders als Einheimische: die spüren die Lücken schmerzhaft. Je höher wir kommen, desto besser kommt die Burg Are ins Blickfeld – bzw. das, was von der Höhenburg (240 m) über Altenahr übrig geblieben ist. Aber der wissender Wanderführer Winges verspricht: das wird noch besser! Nicht mehr besser wird der Blick zum Teufelsloch. Die Tourismusverein preist das Loch im Fels als „beliebtes Fotomotiv, begehrtes Wanderziel und [… eine der] Top-Sehenswürdigkeiten an der Mittelahr“. Und dann lesen wir da Sagenhaftes von der Entstehung – irgendwas mit dem Teufel, der seine eigene Großmutter durch den Fels warf, was natürlich ein Loch hinterließ. „So spektakulär das Teufelsloch die Landschaft prägt, so spektakulär ist auch seine Entstehung“, schreiben die Tourismus-Poeten dazu – und verschweigen als tapfere Fake-Erzähler, dass das Teufelsloch da oben auf dem Berge menschengemacht ist: „Ursprünglich lag das natürlich entstandene Wahrzeichen Altenahrs … etwa 30 Meter weiter südlich, stürzte jedoch Ende der zwanziger Jahre [des vergangenen Jahrhunderts] zusammen. Daraufhin wurde ein neuer Durchbruch in einen etwas höher gelegenen Felsstock geschlagen“, entnehme ich dem AW-Wiki…
Ich liebe ja das Wandern auf quasi einer Höhenlinie, wobei quasi für mal runter und sofort wieder hoch auf gleiche Höhe steht. So machen wir’s auf dem Weg vom Übigberg zum Altenahrer Eck, wobei wir den Rotweinwanderweg kurz touchieren. Am Eck gibt es die Schönste Weinsicht 2012 an der Ahr (seit 2012 zeicnet das Deutsche Weininstitut (DWI) prominente landschaftliche Orte in den Weinanbaugebieten aus). Hier steht nicht nur Riesling von Sermann, sondern auch Lukas Sermann mit Riesling, den wir sozusagen in seinem natürlichen Habitat probieren. Infos zur Steillage, zu Weinbergsmauern, zu alten (sehr alten…) Reben gibt’s aus erster Hand dazu – aber das wird ein eigener Podcast (demnächst an dieser Stelle).
Ahrweiler zeigt sich herausgeputzt. Sogar die Erinnerung an die Flut ist an der Oberhutstraße 11 stylish gemacht – mit stilisierter Ahr und dem Schriftzug „unvergessen Juli 2021“. Ansonsten entnehmen wir einem Info-Schild weiter unten, dass das Haus aus dem Jahr 1775 „als schmuckes Fachwerkhäuschen hervorsticht“, was zweifelsohne richtig ist. Schmuck ist sowieso ein Wort, um das man nicht herum kommt, notfalls in Verbindung mit trutzig, wie beim Obertor – eins der vier Stadttore, das natürlich viel älter als das Fachwerkhaus ist (13. Jahrhundert). Wir sind da nur durch, konnten uns also der gesamten Bandbreite des touristisch Wertvollen zwischen Latrine und Vitrine nicht widmen. Wobei die Latrine als Erker auch von außen erkennbar ist und die Vitrine mit einer Figur der Schutzpatronin des Tores, der Hl. Ursula, nötigenfalls in der Google-Bildersuche gefunden werden kann (Service-Link!). Die Sanierung des Tors hängt übrigens nicht mit der Flut zusammen, sie wurde schon 2019 beschlossen und tat dem Tor statisch wie optisch gut.
Wenn man garstig wäre, könnte man sich ja wünschen, dass im Rahmen der Flut das eine oder andere Schild vielleicht hätte ein wenig in Mitleidenschaft gezoigen werden können? Nein, nicht gleich loszetern, dass man (also bittte, sag’s doch: ich!) so etwas nicht mal denken sollte. Stimmt. Aber Schilder – sogar recht fein herausgeputzte – mit der Aufschrift Fremdenzimmer scheinen mir schon lange nicht mehr in diese Welt zu passen. Mich durchzuckt es als Gast dann immer ein wenig, und man (ich) mag dann ja schon deswegen nicht wieder kommen, weil ich dann ja nicht mehr fremd wäre und als Freund (so wie in einigen Urlaubsdestinationen nach mehrfachem Besuch am gleichen Ort) schon gar nicht.
Dass die eine oder andere Änderung möglich ist, erleben wir bei Markus Bell. Der hatte bis zur Flut eine – nennen wir es mal: – regionaltypische Gastronomie mit der Zielgruppe Gruppentourismus – und 300 Sitzplätze für diese Gäste. Kann man machen, ist aber vielleicht weder der Traum schlafloser Nächte eines um Qualität bemühten Gastronomen noch im Sinne der Nachhaltigkeit allererste Wahl. Bells Genusshof & Marktplatz heißt das neue Projekt im alten, sanierten Gebäude. Statt busseweise Touris zu verköstigen, gibt es ein völlig neues Konzept, mit einer deutlich kleineren Bistronomi (Motto hier übrigens: „Wir sind da. Ihr seid zu Gast.“) und Geschäftspartnern im Haus, die noch nicht renovierte Betriebe haben. So entstand ein Marktplatz rund ums Thema Genuss. „Wir haben uns mit Leuten zusammen getan, die ihre Betriebe verloren haben: Winzer, Wohnambiente, Goldschmied und Floristin fanden eine neue Heimat“, berichtet Bell. In der „lustigen Gemeinschaft“ (Bell) machen mittlerweile zehn Leute mit, zwischen 30 und 70 Jahre alt. „Im Prinzip passt alles zusammen, und Sie können dann auch alles hier erwerben, was Sie in der Bistronomie beim Essen sehen!“
Wir waren im Kloster Marienthal, denn der Mensch lebt ja nicht vom Wein allein. Den gibt’s dort auch (beachtlicher Keller inklusive), aber obendrein auch Flammkuchen der allerfeinsten Art – über beides (Wein und Flammkuchen) wird noch separat zu berichten sein. Vom Kloster aus wollten wir einen kleinen Verdauungsspaziergang machen – und da bietet sich der Rotweinwanderweg mit der Teiletappe nach Dernau nachgeradezu an. Denn erstens ist das nicht wirklich weit (wir haben doch nie Zeit!) und zweitens ist ja ein Merkmal dieses Rotweinwanderwegs, dass er bequem und aussichtsreich auf einer Höhenlinie durch die Weinberge führt.
Als fachkundigen Führer und (Winzer können das gar nicht anders) Marketender stand uns Markus Bertram zur Verfügung. Sicher nicht zufällig war das Ziel der Etappe dann auch sein Weingut Gebr. Bertram in Dernau, das er zusammen mit seinem Bruder Christian betreibt. Die Ausstattung des Winzers war der Lage (Weinjournalisten im Schlepptau!) angemessen: großer Rucksack und Ersatzweingläser. Die Grundausstattung „jeder nur ein Glas“ hatten wir im Kloster bekommen.
Unterwegs gibt es zahlreiche Themen zu besprechen. Weinbaumäßig (z.B. welche Böden finden man wo an der Ahr? Viel unterschiedliches Terroir auf 30 km Länge!) und natürlich über die Lage nach der Flut. „Von Woche zu Woche wird es besser…“, sagt Markus Bertram, aber natürlich könnte alles schneller gehen. Aber einen Vorteil sieht er im kleinen, engen Tal: die Winzer kennen und respektieren sich – oder wie Markus Bertram es formuliert: „Wir sind hier alle sehr familiär, das macht den Charme des Tals aus!“
Dernau selbst leidet noch arg unter den Folgen der Flut, die die Gemeinde hart getroffen hat. Über 20 Tote, rund 90 Prozent der Häuser (rund 570 Häuser) unterschiedlich stark beschädigt. Über 50 Häuser wurden abgerissen, am Rest wird vielerorts noch gewerkelt. Mit dabei auch Jugendliche vom Fluthilfecamp der Jugendbauhütten – insgesamt 300 halfen (und helfen immer noch) beim Wiederaufbau im Ahrtal. Auch alle zehn Weingüter Dernaus wurden durch die Flut beschädigt. Meyer-Näkel will nicht mehr am alten Ort wieder aufbauen, sondern weiter oben neu bauen. Der Schloßhof, Dernaus ältestes Weingut („Tradition seit 1724“) zeigt sich in voller Bandbreite mit einem nur spärlich aufgeräumten und noch nicht saniertem Gebäude, einem wieder funktionierendem Biergarten und einer Vinothek, die (we ahr open) sich schmuck präsentiert – aber die Paletten mit Baumaterial davor lassen ahnen, dass auch hier noch viel zu tun ist…
Am Ende des Besuchs – wir sind da schon im ständigen Provisorium des Verkaufscontainers, der auch die vorläufige Probierstube des Weinguts Gebr. Bertram ist – fängt es dann an zu regnen. Es hatte – man ist vielleicht übervorsichtig geworden, aber wer mag das verdenken – Unwetterwarnungen und schulfrei gegeben. Es pladderte, die Feuerwehr tatütataate die B 267 zwischen Weingut und Ahr entlang. Im Nachhinein wussten wir: Fehlalarm, 20 Liter am Tag. Und am Ende der Weinprobe (Bericht folgt!) verzogen sich die Wolken ja auch schon wieder und die Sonne bereitete sich auf Abendstimmung über der Ahr vor.
Infos
Thomas Winges, Ahr*Eifel*Touren
Bells Genusshof & Marktplatz
Weingut Kloster Marienthal
Weingut Gebr. Bertram
Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).
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