Der ganze Fang – in einem Buch

In der Flut der vielen Bücher gehen zu oft auch gute unter. Aber manchmal ergibt sich ja ein Hinweis und man kann abtauchen und dann einen Schatz heben. Also stolperte ich bei der Lektüre der Süddeutschen Zeitung über einen alten Beitrag – digitales Daddel-Lesen mit Querverweisen sei Dank: Der Fischkopf stand da. Das ganz hervorragende Starter-Bild zeigte einen unschwer als Koch auszumachenden Mann, der auf einem Steg steht und versonnen ins Nichts guckt. Hinter ihm ruht der See, natürlich mit tief liegenden Nebel-Wolken. Perfekt fügen sich die Felswände am Ufer im Hintergrund ins Ganze ein.

Sieben Leseminuten später weiß man viel über diesen Mann, der Lukas Nagl heißt und Gault & Millau Koch des Jahres 2023 in Österreich ist. Und man möchte auf der Stelle hin ins Restaurant Bootshaus in Traunkirchen – oder wenigstens mal was nachmachen von dem, was der Mann da kocht (mit seinem Team natürlich, zu dem auch die Fischer gehören: er kauft ihnen den ganzen Fang ab und verwertet den auch komplett).

Das im Mai diesen Jahres veröffentlichte großformatige Buch ist da eine Hilfe. Es ist weit mehr als ein Kochbuch – das dann aber natürlich letztendlich auch. Im vorderen Teil geht es aber zuerst einmal um Flüsse, Seen und Fisch – alles aus österreichischer Sicht, denn Traunkirchen liegt ja in Oberösterreich. Das klingt wie ein Grundkurs in Ichthyologie (und beim ersten Durchblättern des Buches war genau das meine Befürchtung: Allgemeines und Spezielle Fischkunde für Angler – will ich das?) – aber wenn man sich dann mal hinein nerded, ist es wie so oft: man wird nicht dümmer und versteht die Dinge später sogar besser.

Das Buch kann ja nichts dafür, dass es ein Buch geworden ist und nicht, sagen wir mal: eine digitale Version fürs Tablet. Aber es gibt sich Mühe, so zu sein, man muss da halt nur analog durch, wenn allüberall Querverweise (also Links) zu weiterführenden Informationen gedruckt sind. Das ist digital oft besser zu handhaben, so mit „öffnen im neuen Fenster“ und „mit einem Klick zurück“ – aber dafür hat man beim analogen Buch natürlich die großformatigen Bilder und die Haptik sowie die einmalige Gelegenheit, die Rezeptseiten mit Öl- oder Butterflecken zu personalisieren.

Der Fischer und der KochWomit wir bei den Rezepten sind. Von der Meisterlake („Im Zweifel immer für die Lake!“) als Basis für viele Gerichte über Fonds, Saucen und Trockenbeizen über allerlei Rohes bzw. Konserviertes (Karpfentatar! Seeviche – kein Tippfehler hier) bis hin zu gebackenem oder gebratenem Fisch: alles dabei. Und wenn man sich bei, beispielsweise, Reinankenmatjes erst einmal fragt, wer oder was Reinanken sind: kein Problem: erstens wird die Technik „Matjes“ separat erklärt, zweitens gibt es die Super-Kategorie „Geeignete Fische“ – in diesem Fall außer Reinanke auch Saibling oder Forelle. Und wenn das kein Buch wäre, könnte man per Mausklick gleich ganz nach hinten kommen, wo unter dem Fischlexikon zwischen Aal und Zander natürlich auch die Reinanken ihren Platz haben. Lebensraum, Fangmethode, Beschreibung, Zubereitung (mit Tipps für Specials wie „die Schuppen der Reinanke können knusprig frittiert und wie kleine Chips gegessen werden“) und alle Rezepte im Buch mit diesem Fisch – alles hat da Platz. Selten so viel hin und her geblättert in einem Buch, selten so viel praktische Tipps auch für die heimische Küche bekommen!

Der Fischer und der KochWas man auch nicht so oft in Kochbüchern hat, sind ja schöne Formulierungen. Da schleicht sich gerne ein „man nehme und mache“ ein, was ja auch irgendwie nahe liegt. Wenn dann aber die Kommentare im großzügig gestalteten Buch noch einen Schlenker von fröhlicher Distanz haben: fabelhaft! Zwei Beispiele. Bei der Lachsforelle im Röstimantel schreibt der Koch und ich lese das mit großem Vergnügen: „Ein Gericht, dass ich sehr früh in meiner Kindheit kennen und lieben gelernt habe. … Total unschick, sehr sehr gut.“ Und die zweite Stelle ist so gut, dass offenbar auch die Buchhersteller sie es für wert hielten, sie doppelt zu drucken: der Abschnitt übers Räuchern im Backofen steht vorne bei den Grundlagen und weiter hinten im Kapitel Selch- und Stanglfisch. Nachdem man als Piefke sich schlau gemacht hat, dasss Selchfisch geräucherter Fisch ist, erhält man beim Thema Räuchern diesen finalen Tipp: „…Räuchermehl darunter stellen und die Ofentür schließen. 8-10 Minuten räuchern lassen. Direkt danach keinen Kuchen im gleichen Ofen backen (außer dunklen Schokoladenkuchen, der schmeckt mit zarten Räucheraroma ganz besonders gut).“

Der Fischer und der Koch
Lukas Nagl | Tobias Müller | Helge Kirchberger
ISBN-13 9783710403361
336 Seiten / 230 mm x 285 mm
Servus, 48 €

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