Einfach geht gar nicht so einfach

Jan Hartwig ist ein Shooting-Star der Gourmetszene und ein Sternewunder. Das Restaurant Atelier, in dem er 2014 anfing, brachte er als Küchenchef ganz schnell auf zwei (2015) und dann (2017) auf drei Sterne. 2021 verließ er das Atelier, im Oktober 2022 eröffnete er sein eigenes Restaurant Jan – das nach nach nur sechs Monaten mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Labor der Liebe nennt er seine Küche – und ein wenig von der Liebe gibt er ja an den vier Tagen mit Öffnungszeiten seines Restaurants weiter. Mehr Liebe gibt es nun in seinem Buch, das heißt wie sein Restaurant: Jan.

Wer sich nun aber das 78 Euro teure Buch kauft und glaubt, nach dem Durchblättern es dem 3-Sterne-Koch nachtun zu können, der hat das nicht richtig verstanden: so billig wird man nicht zum Genie. Auch eine gründliche Lektüre hülfe natürlich nicht, selbst wenn das Buch zum mehrfachen Blättern, Lesen und Wundern anregt. Es ist nämlich mehr ein Lesebuch als ein praktisches Kochbuch. Denn auch scheinbar einfache bzw. einfach klingende Gerichte sind bei Jan eine Komposition aus etlichen Einzelkomponenten.

Jan – das Buch zum RestaurantNehmen wir beispielsweise die Bretonische Sardine. Das Rezept erstreckt sich von Seite 67 bis 70, ein herrliches großes Bild (alle Fotos, alle toll: Pieter D’Hoop) inklusive. Und dann geht’s los mit dem ersten von wenigstens acht Unterkapiteln (das neunte heißt „Sonstige Zutaten“, aber die wollen ja auch irgendwie behandelt werden. Also: Sardinen beizen, Apfelsud für Gelee herstellen, Apfelgelee, Parmesancréme, Parmesanchip, Piment d’Espelette Creme, Apfelsalat, Sardinengrillsud. Das Rezept ist, wie Hartwig im Vorwort erwähnt, für acht bis zehn Portionen gedacht. Weniger geht nur schwer, denn auch für diese Menge sind die benötigten Mengen gerne klein: 1,2 g Agar-Agar. Da braucht man schon eine sehr genaue Waage.

Nicht nur an den 8-Personen-Rezepten merkt man, dass es Hartwig eher um eine genaue Dokumentation seiner Kochweise ging, allenfalls als freundliche Anregung für den Rest der Welt. Jan Hartwig nutzt natürlich die komplette Küchentechnik, die ihm zur Verfügung steht (neben der sicher nicht kleinen Brigade, die beim Realisieren der komplexen Gerichte hilft). Und da kommt – oft auch parallel für ein Gericht – einiges zusammen. Thermomix, Espumaflasche, Wärmelampe, Salamander, Pacojet, Konvectomat, Räucherofen, Dehydrator – nicht, dass der eine oder die andere nicht das eine oder andere davon hätte: aber gute Technik ist ein nicht unwesentlicher Teil der Rezepte.

Jan – das Buch zum Restaurant5789Ein sehr wesentlicher Teil sind natürlich die Zutaten. Und selbstverständlich die Qualität derselben. Man kriegt das manchmal nur versteckt mit, wenn Jan Hartwig die Quellen nennt. Und natürlich stehen ihm auch Einkaufsmöglichkeiten zur Verfügung, die andere nicht haben (einmal schreibt er auch, dass er sich glücklich schätzt, zu den wenigen zu gehören, die beliefert werden): der Fischer vom Schliersee, die professionellen Lieferanten der Spitzengastronomie (Rungis, Bos Food). Also wird man lesen, lesen und lesen müssen, um die Dinge für sich heraus zu holen, die machbar sind. Das sind, je öfter man das tut, dann doch mehr als man beim ersten Durchblättern dachte. Eigene Kreativität ist gefragt – und auch wenn die präsentierten Teller aussehen wie gemalt: es geht eigentlich um Geschmacksvielfalt. Jan Hartwig betont mehrfach, dass er zu einer Generation gehört, die die Klassik noch gelernt hat. „Ich arbeite auf dieser Grundlage von der Substanz her und nicht, wie das heute leider oft zu finden ist, vor allem für die Optik vor allem von der Optik her, die dann auf Instagram landet. Für die Crépinette muss man kochen können, für die Bilder nicht unbedingt„, sagt er (Seite 162, Crépinette von der Taube).

Jan – das Buch zum RestaurantDas Wort Dokumentation im vorletzten Absatz stand da übrigens nicht ganz unbeabsichtigt: das Buch ist in dieser Hinsicht sowohl Experiment wie auch ein Zwilling (wenn auch ein ungleicher): Jürgen Dollase hatte ja im Oktober eine Serie von Geschmacksdokumentationen in der SLUB (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden) vorgestellt. Jan Hartwig war dabei, aber anders als bei den vier anderen Köchen gab’s von ihm nicht die fein ziselierte Beschreibung eines Gerichts, sondern die Ankündigung des Buchs mit dem Hinweis, dass Dollase jedes der 76 Rezepte dort ausführlich begleiten wolle. Die Kommentare im Buch sind aber eher Textschnipsel, sie stehen immer neben Anmerkungen von Jan Hartwig, sind vergleichsweise kurz und auch nicht immer so der Hammer – die „alte Sauerteigmutter“ beispielsweise wird jedem Hobbybäcker ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern. Manchmal widersprechen sich die Kommentare auch (sind Hartwigs Rezepttitel nun zu knapp und regen dadurch zum Nachdenken an oder sollte man sie anders formulieren? Spielt das Wachtelei nun eine Hauptrolle oder nicht?) Aber egal. Man sollte sich auf jeden Fall den kleinen Zwilling als Dokumentation im Netz bei der SLUB besorgen: das ist die extended version der Kommentare (die, wenn ich das richtig verstanden habe, beide der Herr Dollase geschrieben hat – weil Jan Hartwig eben Koch und nicht Kolumnist ist).

Und, ist die Liebe zum Buch nun entflammt? Trotz aller Einschränkungen irgendwie doch – denn auf jeden Fall kann man nach der Lektüre sehr gut nachvollziehen, warum ein Essen im Jan (und nicht nur da) das kostet, was es kostet. Ob man das braucht oder ob’s auch ein wenig einfacher geht – das ist eine ganz andere Frage…

Jan: Labor der Liebe. Die Sterneküche von Jan Hartwig.
Jan Hartwig
ISBN 978-3985410644
256 Seiten / 248 x 295 mm
 Matthaes, 78 €

Zur Restaurant-Seite: jan-hartwig.com

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