Es scheint eine Eigenart dieser Menschen zu sein, dass sie sich gerne streiten. Um alles, am liebsten aber natürlich ums Geld. Man bekommt das als unbedarfte Wandersleute ja gar nicht unbedingt mit, aber wenn einen ein Ort zu interessieren beginnt und man sich daher ein wenig Recherche gönnt, ist man gerne schnell bei einem Zwist. Die Wanderung von Monte Clerigo entlang der Küstenlinie zur Ponta da Atalaia ist da ein schönes Beispiel. Denn auf dem Felsvorsprung von Atalaia fand man Überreste einer muslimischen Küstenfestung, die um 1130 erbaut wurde. Der Ribāt da Arrifana ist die einzige muslimische Festung dieser Art, die in Portugal identifiziert wurde und seit 2001 von portugiesischen Archäologen ausgegraben wurde.
Das ist aber toll, dachte sich der Besitzer dieses Stück Lands und witterte Reichtum. So könnte man knapp zusammenfassen, was uns (die portugiesischsprachige Version der) Wikipedia hierzu erzählt. Der Beitrag ist lang, er scheint mit emphatischer Feder geschrieben zu sein – die Warnung des Wikipedia-Teams wegen fehlender Quellen, Inkonsistenzen oder Daten mit fragwürdiger Zuverlässigkeit sollte man zur Kenntnis nehmen. Aber auch ohne Belege für alles klingt es erst mal spannend.
Ein Rîbat ist ein befestigter Komplex, der sowohl religiöse Funktionen hatte als auch Stützpunkt für Kriegermönche muslimischer Herkunft war. Also gab es dort mehrere religiöse Gebäude (zum Beispiel mehrere Moscheen) und solche mit weltlichem Charakter (wie zum Beispiel einen Stall). Die Anlage, liest man, sei groß und bedeutsam gewesen – und dass sie (erst 2001!) von den beiden Archäologen Rosa und Mário Varela Gomes gefunden wurde, verwundert, denn „die Existenz von Ruinen in der Gegend von Ponta da Atalaia [ war] mindestens seit dem 19. Jahrhundert bekannt“.
Der Ausgrabungskrimi hatte kein Happy-End. „Obwohl es im Juni 2013 als Nationaldenkmal eingestuft wurde, ist Ribāt da Arrifana aufgrund der Nachlässigkeit der Menschen und insbesondere der für die Kultur verantwortlichen Stellen völlig verlassen“, konstatiert das Entdeckerpaar in einem Beitrag für die portugiesische Ausgabe der National Geographic. Was die beiden Wissenschaftler nicht schreiben, ist der Wikipedia mehr als eine Andeutung wert: „Der Eigentümer forderte für das Grundstück einen Wert von 1,2 Millionen Euro, ein Betrag, der von der Regierung als übertrieben angesehen wurde, da sich das Gebiet im Naturpark und direkt neben der Klippe befand, was den Bau eines Touristenresorts unmöglich machte“, bei unserem Besuch 2024 konnte man (im Ernstfall: unbedarft) übers Gelände trampeln und sich nicht mal wundern, warum hier die Steine so liegen wie sie eben liegen.
Ein einmal angedachtes Interpretationszentrum gibt es nicht, und wo denn nun die 65 Gräber oder die neun Moscheen waren, erfährt man auch nicht – schade. Dass der Ort sich in dem Büchlein „Glücksorte an der Algarve“ wieder findet, ist auch eher nicht zu verstehen, wenn man die Geschichte der Wiederentdeckung kennt. Aber darüber erfährt man in einem „Buch für echte Glückskinder“ natürlich nichts…
Und sonst so? Die abwechslungsreiche Küstenwanderung beginnt in Monte Clerigo. Dort gibt’s einen der vielen herrlichen Sandstrände – mit rund 500 Metern Breite einen der größeren. Im Januar war das keine Oprtion für uns, und die zwei Gaststätten schließen zumindest außerhalb der Saison sehr früh. Die Felsformationen am Rande der Bucht sind sehenswert, nicht zuletzt wegen der dort gerne siedelnden Krabben.
Als Nachmittagswanderer hat man immer im Blick nach vorn ziemlich krasses Gegenlicht – was durchaus nicht uninteressante Motive bietet. Hinterrücks stehen dann Meer, Wellen und Sandstrände mit Dünen im besten Licht: bitte wählen Sie Ihr Motiv! Die Frage: von wo aus? lässt sich so beantworten: es gibt einen für Autos geeigneten breiten Weg, besser: eine unbefestigte Straße. Langweilig. Und es gibt die alten Pfade, die näher am Meer, länger, unbequemer und schöner sind. Ganz lauffaule Leute wählen die Straße und zusätzlich ihr Auto. Das ist erlaubt, aber ist es auch chic?
Irgendwann stellt sich die Frage eh nicht mehr, denn dann endet der Fahrweg, und die Dünenlandschaft beginnt. Dort gilt, wie immer bei Dünen: die für Wanderer markierten Wege sind gesetzt, keine Ausreden für Abstecher, man sieht auch so genug. Außer: es gibt sowas wie offizielle Seitenpfade, die an die Klippenkante führen – damit die tollen Blicke auf Buchten und Strände auch perfekt werden. Kurz vor Erreichen der Ponta da Atalaia gibt es dann noch drei Holzstege, die einem zwei bis drei Höhenmeter sparen, vielleicht aber auch dem Landschaftsschutz gelten. Nicht immer da, aber bei unserem Besuch gerade passend: drei Pferde nebst Reitersleuten beim Abendspaziergang. Keine ruhig-beschauliche Sache: die Madamm auf Pferd eins redete ununterbrochen (deutsch), die anderen beiden hörten quasi nichts sagend zu.
Der Rückweg war der gleiche wie der Hinweg, nur sonnentechnisch mit anderen Vorzeichen. Ein Sonnenuntergang stand bevor, da muss man ja – nun mit dem sich langsam rot gebenden Stern im Rücken – immer mal wieder einen Blick zurück riskieren. Da fiel mir doch gleich eine Formulierung ein, die ich bei den 2023 erschienen Algarve-Glücksorten von Nicole Biarnés gefunden hatte: „Diese urgewaltige Küste stellte für viele Menschen sowohl das Ende der irdischen Welt als auch das Tor zu etwas Neuem dar. Auch heute spürt man, oben an den Klippen stehend, die Besonderheit dieses Ortes. … Ein Ort des Übergangs, an dem die materielle Welt mit der spirituellen verbunden war und gleichzeitig eine irdische Grenze zwischen Islam und Christentum darstellte.“ Oder wie die beiden Archäologen Rosa und Mário Varela Gomes schon lange vorher 2010 in der National Geographics schrieben (Übersetzung von Deepl): „Der Standort des Ribāt da Arrifana entspricht einer religiösen und politisch-militärischen Strategie der Besetzung einer „Grenzzone“ sowohl zwischen Muslimen und Christen als auch zwischen der materiellen und der spirituellen Welt, bezeichnenderweise am Zusammentreffen von Erde und Meer – am damaligen Ende der Welt“.
Das Restaurant zur Wanderung: Schwierig, weil die beiden Restaurants am Ausgangspunkt Clerigo nach Sonnenuntergang geschlossen hatten. Also fuhren wir ins Artebianca in Arrifana (was sich als gute Idee erwies).
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