Auf die Idee muss man ja auch erst mal kommen: im Rheingau vis-a-vis vom Schloss Johannisberg, dem ältesten Riesling-Weingut der Welt, nur Pinot Noir und Chardonnay anzupflanzen und – auch das noch! – mit viel Erfolg zu vermarkten. Aber weil dem Hamburger Unternehmer und Liebhaber französischer Burgunder Günter Schulz im Jahr 2000 danach war, seinen eigenen Wein zu produzieren, entstand eine Burgunderinsel im Rieslingmeer. Aber wenn schon wild, dann auch richtig! Also durfte es, als es darum ging, einen Namen für das junge Unternehmen zu finden, auch etwas untypisch für den Rheingau sein: Chat Sauvage.
Chat Sauvage ist, man weiß es oder ahnt es wenigstens, französisch und bedeutet wilde Katze. Damit ist aber nicht der heute 87jährige Günter Schulz gemeint – der Name entstand eher zufällig und wurde von den spielenden Enkelkindern inspiriert, die mal wieder wie wilde Katzen rumtobten. Der Vater der Kinder meinte dann lakonisch: Du bist ja auch wie eine wilde Katze im Rheingau, du machst alles anders! Und weil die Weine französisch geprägt sind, sollte es auch der Name sein: Chat Sauvage. Auch wenn einige Nachbarn das bis heute nicht richtig aussprechen können.
Die Anfänge des Weinmachens waren klein: in Zusammenarbeit mit dem Winzer Erik Andersson von der knapp zehn Gehminuten vom jetzigen Weingut Chat Sauvage entfernten Schamari-Mühle begann Schulz, im Rheingau Weine nach seinen Vorstellungen auszubauen. Was mit einem einzigen Fass begann, wuchs schnell: Schulz erwarb Weinberge in Johannisberg und Rüdesheim, und 2010 bezog das Weingut sein eigenes Gebäude. Verena Schöttle ist seit 2015 dabei, mittlerweile nicht nur als Önologin, sondern auch als Mitinhaberin des etwa über sieben Hektar großen Weinguts mit Rebflächen in Johannisberg, Rüdesheim, Assmannshausen und Lorch. Überall wachsen nur die beiden Burgundersorten Pinot Noir und Chardonnay, wobei die Rotweine etwa 75 % der Produktion ausmachen.
Die Böden – von Lösslehm mit Quarzit bis hin zu schieferreichen Parzellen – prägen die Weine ebenso wie die kompromisslose Handarbeit. „Im Weinberg machen wir Kopfstände“, sagt Schöttle lachend, „im Keller bin ich faul.“ Die Weine reifen ein bis zwei Jahre in überwiegend gebrauchten Holzfässern, ohne Filtration oder Schönung, um die natürliche Charakteristik der Trauben zu bewahren. Spontangärung und minimaler Eingriff sind die Devise, um die Jahrgangstypizität und die Herkunft des Rheingaus herauszuarbeiten. Von der Handlese bis zur strengen Selektion der Trauben – alles geschieht mit größter Sorgfalt. Hochstammreben und reduzierte Erträge, teilweise auf nur 2.000 Liter pro Hektar, garantieren höchste Qualität. Schöttle setzt auf nachhaltige Bewirtschaftung, lehnt aber die Bio-Zertifizierung ab: „Öko ist zu sehr auf Pflanzenschutz fokussiert. Wir arbeiten so nachhaltig wie möglich, ohne Dogma.“
Chat Sauvage will mit den Weinen nicht das Burgund kopieren, sondern die Burgundertrauben im Rheingau neu interpretieren. „Wir sind ein Rheingauer Betrieb mit Burgunderstilistik“, betont Schöttle. Die Weine sind kein Abklatsch, sondern Ausdruck der Region und ihrer Böden, kombiniert mit einer burgundischen Arbeitsweise: viel Handarbeit, wenig Technik, lange Reifezeiten.
Das alles hat seinen Preis, ist aber im Vergleich zum Burgund immer noch ein Schnäppchen: 25 € kosten die Gutsweine, 45 € der Clos de Schulz. Lagenweine stehen mit 50–60 € in der Preisliste, für „Le Schulz“ ruft Chat Sauvage 120 € auf. „Die ersten Jahre waren ein Zuschussbetrieb“, gibt Schöttle zu, „aber seit 2018 schreiben wir schwarze Zahlen.“ Rund 60 % der Weine gehen an Endverbraucher, oft über den Online-Shop oder direkt vor Ort. Die Gastronomie im Rhein-Main-Gebiet ist ein wichtiger Partner, während der Export mit 10–15 % eine kleinere Rolle spielt. Städte wie Hamburg oder München, trotz ihrer Kaufkraft, bleiben schwierig: „In München greift man eher zu Südtiroler oder italienischen Weinen“, meint Verena Schöttle.
Die Weine: Vom Gutswein bis zur Einzellage
Das Portfolio von Chat Sauvage ist ähnlich wie beim VDP strukturiert. Es umfasst Gutsweine, Ortsweine und Einzellagen. Auffällig ist die Jahrgangstiefe, die im Verkauf ist: je nach Lage reicht sie zurück bis 2015 oder 2017 und dann nahezu lückenlos bis zum jeweils aktuellen Jahrgang. Die Preise sind dabei nur nach den Lagen gestaffelt, jeder Jahrgang kostet darin das gleiche. Der älteste verfügbare Jahrgang ist der Rouge de Schulz Nr.1 von 2015 – wobei es eine Nr. 2 nie gab, weil das dann doch zu kompliziert war: diese Weine sind jetzt einfach Le Schulz.
- Chardonnay Gutswein 2023
Dieser Chardonnay, spontan vergoren und 11 Monate in gebrauchten Holzfässern ausgebaut, präsentiert sich pur und frisch mit einer feinen salzigen Note, die seine Rheingauer Herkunft unterstreicht. Er ist ungefiltert oder nur minimal gefiltert, wodurch die natürliche Charakteristik der Trauben erhalten bleibt. Mit einem Preis von 25 Euro ist er der Einstieg in die Welt von Chat Sauvage. - „Clos de Schulz“ Chardonnay 2023
Der Premium-Chardonnay „Clos de Schulz“ stammt aus einem idyllischen Dachsberg in Winkel, geprägt von Lösslehm und Quarzit, und reift zu 50 % in neuem Holz. Er bietet intensive, konzentrierte Aromen und eine elegante Struktur, die ihn zu einem besonderen Ausdruck der Burgunderstilistik macht. Mit 45 Euro positioniert er sich im mittleren Segment des Weinguts. - Rheingau Pinot 2021
Dieser Pinot Noir, eine Cuvée aus Lorch, Assmannshausen und Rüdesheim, reift zwei Jahre in gebrauchten Barriques und besticht durch feine, elegante Frucht mit schiefergeprägten Noten. Trotz eines verregneten Jahrgangs entwickelt er sich laut Schöttle aktuell hervorragend und zeigt weniger Opulenz als der 2020er, dafür aber eine zugängliche Leichtigkeit. Der Preis liegt bei 25 Euro. - Lorch Kapellenberg Pinot Noir 2020
Der Einzellagen-Pinot aus dem Kapellenberg in Lorch, geprägt von schieferreichen Böden, zeigt sich kraftvoll und konzentriert mit dunkler Frucht und ausgeprägter Aromatik. Nach zwei Jahren Holzfassausbau präsentiert er die typische Intensität eines warmen Jahrgangs, bleibt aber dennoch vielschichtig. Er ist ein Beispiel für die Fähigkeit des Weinguts, Jahrgangstypizität herauszuarbeiten. - Lorch Kapellenberg Pinot Noir 2017
Dieser Pinot aus dem gemäßigten Jahrgang 2017 ist gerbstoffbetont und gradlinig, mit einer eher klassischen, weniger opulenten Stilistik. Noten von Kräutern und ätherischen Aromen prägen ihn, wobei Schöttle betont, dass er mit weiteren Jahren Lagerung an Zug gewinnt. Er zeigt die Vielseitigkeit der Lorch-Weine und ist für Liebhaber kernigerer Pinots geeignet. Die Kapellenberg-Pinots kosten 50 €. - Johannisberg Hölle Pinot Noir 2019
Aus einem Boden mit Lösslehm und eisenreichem Quarzit stammt dieser elegante Pinot aus der Hölle, der mit feiner roter Frucht wie Kirsche und einer metallischen Note im positiven Sinne überzeugt. Er ist weniger opulent als der 2020er, zeigt aber eine zurückhaltende Frische, die ihn besonders nach fünf bis sieben Jahren Reife zum Genuss macht. Der Wein ist nahezu ausverkauft – noch gibt es ihn für 55 €. - Rüdesheim Drachenstein Pinot Noir (2019 und 2020)
Der Drachenstein Pinot, aus einem moderat warmen Weinberg mit Lösslehm und wenig Quarzit, besticht durch seine komplexe, schwer greifbare Aromatik. Mit stark reduzierten Erträgen (unter 2.000 Liter pro Hektar) bietet er eine vielschichtige Struktur, die sich mit Luft und Speisenbegleitung entfaltet. Der Drchenstein gilt als eine der interessantesten Parzellen des Weinguts. Der Drachenstein steht mit 60 € in der Preisliste. - „Le Schulz“ Pinot Noir 2020
Aus der steilen, steinigen Bodenthal-Steinberg-Parzelle stammt dieser Pinot, der mit hoher Konzentration und aromatischer Intensität beeindruckt. Mit nur 1000 Litern pro Hektar und strengster Selektion ist er das Aushängeschild des Weinguts, benannt als Hommage an Günther Schulz. Der 2020er wirkt opulent und sollte laut Schöttle noch einige Jahre lagern, um sein volles Potenzial zu zeigen. - „Le Schulz“ Pinot Noir 2017
Dieser Pinot aus der Bodenthal-Steinberg-Parzelle zeigt sich im Vergleich zum 2020er kerniger und weniger fruchtbetont, mit einer ausgeprägten Gerbstoffstruktur. Kunden empfinden ihn teils als noch zu jung, doch Schöttle schätzt ihn für seine Trinkreife nach etwa sechs Jahren. Er verkörpert die Balance zwischen Frische und Reifepotenzial. Die Le Schulz Pinots kosten 120 €. - Sekt brut Rosé 2019
Der Rosé-Sekt, aus Pinot-Noir-Trauben früher geerntet, um eine lebendige Säure zu bewahren, reift vier Jahre auf der Hefe und wird ohne Dosage abgefüllt. Mit minimalem Restzucker (0,3–0,4 Gramm) präsentiert er sich pur und klar, ideal für Liebhaber natürlicher Sekte. Er wird im Edelstahltank ausgebaut und zeigt die Präzision des Weinguts auch im Schaumweinbereich. Der 2019er Pinot Noir Rosé wurde am 22. Juni 2024 degorgiert. Weingutspreis: 23 €.
Chat Sauvage
Hohlweg 23
65366 Geisenheim
Tel. +49 6722 9372586
chat-sauvage.de
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Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).
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