Etwas Schwund ist immer. 16 Prozent etwa sind sie in Meissen gewöhnt und richten sich drauf ein – denn so viel schrumpft das Porzellan bei seiner Herstellung im Brennofen. 16 Prozent – das ist ganz schön viel: Bei einer Führung durch die Schauwerkstätten der Meissener Porzellanmanufaktur lernt man das recht anschaulich – und einiges mehr.
Wir sind in Meißen, für ein Wochenende. Eingeläutet haben wir den Besuch am Freitagabend im Goldenen Fass – einem Restaurant etwas versteckt rechtselbisch gegenüber dem touristisch geprägteren linkselbischen Teil. Es zu finden lohnt sich, denn im ersten Bio-Zertifizierten Restaurant in Meißen findet man regionale Köstlichkeiten in hervorragender Qualität.
Der nächste Tag beginnt mit einer Lektion in Sachen Rechtschreibung: Meißen mit „ß“, so lernen wir, das ist die Stadt. Meissen mit doppel-s: das ist die Manufaktur. In der sind wir aus gutem Grund am Vormittag, denn den Besuch kann man prima mit einer Tasse Kaffee (oder, wenn noch nicht passiert) mit einem Frühstück im Café Meissen beginnen. Das ist gleich links wenn man den Showteil der Manufaktur mit Museum, Schauwerkstätten und Einkaufsmöglichkeiten betritt – und serviert wird hier natürlich auf Meissener Porzellan im weltberühmten Zwiebelmuster-Dekor. Und da das Frühstück (oder eben auch nur Kaffee, Tee oder Schocki) von ordentlicher Qualität sind, ist das ein netter Start in den Tag.
So gestärkt warten die Schauwerkstätten: Hochtechnisch geht’s da zu und zugleich handwerklich. Die Technik kommt aus Lautsprechern: Da spricht eine Stimme, was die Menschen zu tun haben. Wenn man einen introvertierten Künstler vor sich hat, ein Vorteil – wenn man beredte Menschen antrifft, regeln die das auf ihre Weise: Sie stoppen das Band und erklären zwischendurch ihr Tun auf ihre eigene Art. Und bevor jetzt jemand von den Chefs mitliest und meckert: Den Gästen hat’s gefallen! Von Station zu Station wächst so das Verständnis für einen hochkomplexen Vorgang, an dessen Ende ziemlich verrückte Dinge herauskommen. Eine Vase mit 3.000 kleinen Blüten, beispielsweise. Natürlich alle handgemacht.
Seit 300 Jahren machen sie das nun schon so in Meißen. Drehen wir das Rad der Zeit kurz zurück, bis ins Jahr 1701. Da spielte der 19jährige Apothekerlehrling Johann Friedrich Böttger den starken Mann und behauptete, Gold herstellen zu können. Am 1. Oktober 1701 führt der Alchemist vor, was er kann. Hat er den Stein der Weisen gefunden? Das machte ihn sogar für Könige interessant: Gold! Gold ist Macht. Der preußische König wollte Böttger, der wollte nicht und floh – nach Sachsen. Doch da wartete schon August der Starke, der für seine kostspieligen Hobbies (Frauen, Königswürde, Kunst) auch gern Gold gehabt hätte. Er setzt Böttger fest – und fortan galt: Böttger, mach Gold!
Der probiert und probiert – und kommt nicht so recht voran. 1704 wird dem jungen Böttger ein erfahrener Wissenschaftler zur Seite gestellt, der ein Universalforscher war und sich unter anderem mit hohen Temperaturen bei Brennöfen beschäftigt hat: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus. Wahrscheinlich zusammen fanden beide im Dezember 1707 den Stein der Weisen, das europäische Pendant des chinesischen Porzellans – so genau weiß man das trotz intensiver Forschung immer noch nicht: Porzellanherstellung ist eine sehr exklusives und vor allem zur Entstehungszeit geheimes Ding. August der Starke, der nach eigener Aussage unter der „maladie de porcelaine“ leidete, war begeistert. Der Porzellansüchtige erhielt das weiße Gold!
Ein Rundgang durch die Ausstellungen des Porzellan-Museum ist natürlich Pflicht. Selbst wenn man – was ja durchaus vorkommt – die Meissener Porzellane vielleicht nicht zeitgemäß und manchmal ein wenig ungeeignet für das eigene Budget findet, ist diese umfangreichste Sammlung Meissener Porzellane von den Anfängen 1710 bis heute ein Hingucker.
Dass das „Meissener“ auch modernere Formen haben kann, erleben wir zum Mittag im Restaurant, wo man unpretentiös und überraschend gut auf schlichtem Gastro-Service speisen kann. Wer mehr erleben will, bestellt nicht a-la-carte, sondern das Dreigang-Menü, das auf Tellern mit Motiven aus drei Jahrhunderten serviert wird.
Gut gestärkt verlassen wir „Meissen“ und machen uns auf nach „Meißen“, genauer: Durch die Stadt geht’s hoch zur Burg und zum Dom. Der Weg ist gut ausgeschildert und auf andere Art auch eine Zeitreise: Es gibt fabelhaft restaurierte Häuser (die meisten wenn nicht alle Sehenswürdigkeiten gehören dazu) und solche, die stillstehen in einem Stadium maroder Schönheit. Da lohnt es sich, stehen zu bleiben und genauer hinzusehen: Die Beschriftungen an den Wänden geben Aufschluss über die Vergangenheit der Häuser („Kopfwäsche für Damen separat“), die Plakate davor sind von charmanter Doppeldeutigkeit (Wendeweste für 59,95 Euro).
Planloses Schlendern durch die Straßen ist in Meißen kein Problem: Die Stadt ist übersichtlich und bietet Dank einiger markanter herausragender Punkte immer wieder Orientierungsmöglichkeiten. Eine davon steuern wir als erstes an: Die Frauenkirche. Nein, nicht die in Dresden und auch nicht vergleichbar: Eine spätgotische Hallenkirche (das heißt: drinnen mal den Kopf in den Nacken legen und an die Decke sehen!) aus den Jahren 1416 bis 1500. Und auch draußen heißt es: Kopf hoch – vor allem, wenn sechsmal täglich das Glockenspiel vom Turm erklingt. Das erste spielbare Porzellanglockenspiel der Welt, echt Meissner natürlich, bringt die 37 Glocken seit 1929 zum Klingen. Uns passt der Termin halb drei ganz gut; wenn man ihn verpasst, geht auf dem Rückweg vom Burgberg um halb sechs auch noch was…
Auf dem Weg zum Burgberg gibt es viel zu sehen – unter anderem den Ort, an dem wir abends essen werden: 30s Weinbistro. Nicht dumm, schon mal bei Tag einen Blick in den Hof zu werfen. Etwas weiter bergauf muss man schon etwas genauer hinsehen, um eine Besonderheit zu entdecken: Von außen ist die Konditorei-Café Zieger unspektakulär, aber ein Blick ins Fenster klärt auf, dass es hier Sehenswertes gibt: Die Fummel. Ein hauchdünnes Gebäck, das nicht zum Verzehr gedacht war, sondern als eine Art Alkoholtest. Die reitenden Kuriere, die Porzellanstücke aus Meißen zum starken August bringen sollten, sprachen wohl dem Meissner Wein gerne zu – und zu viel davon ist keine Empfehlung für den Transport empfindlichen Porzellans. Ein noch zerbrechlicheres, aber deutlich wertloseres Teil war nun zwischengeschalteter Indikator für absolute Nüchternheit. Da wir weder Porzellan noch ein Pferd dabei haben, kaufen wir auch kein Fummel, sondern stapfen weiter bergan zur Albrechtsburg.
Seit 1710 war die Burg Standort der ersten europäischen Porzellan-Manufaktur. Vom Keller bis zum Boden war die Albrechtsburg bis 1863 Porzellanschloss – nur der Brennvorgang fand außerhalb in einem Nebengebäude statt. Kein Wunder also, dass auch hier 300 Jahre Porzellan kräftig gefeiert werden: Mit der Sonderausstellung „Der Stein der Weis(s)en“ (8. Mai – 31. Oktober). Doch auch ohne diese Ausstellung ist die Albrechtsburg ein Ort, an dem man Ungewöhnliches sieht. Der erste Schlossbau der deutschen Baugeschichte punktet mit Vorhangbogenfenstern, aufregenden Gewölben und Wandmalereien von elf Künstlern, fast alle von der Dresdner Akademie der bildenden Künste. Und er bringt das wunderschöne Erlebnis, einmal als lebender Parkettpolierer in Filzpantinen den Saal zu bohnern.
Auf dem Weg zurück in die Stadt werfen wir noch einen Blick in den Wendelstein – ein Meisterwerk des Treppenbaus, das Baumeister Arnold von Westfalen da hingesetzt hat. Wie so oft: Unten stehen und hochsehen – dann bekommt man einen Endruck von der Leichtigkeit dieser Treppe. Abends im Weinbistro von Familie Dreißig erleben wir ein zweites Mal feine Meißner Küche mit geschmacksintensiven Speisen einer kleinen Karte.
Sonntag, Abreisetag. Was tun? Sächsischen Wein an seinem Ursprung kennenlernen! Wer mag, kann das als kleine Wanderung erledigen, ansonsten geht’s natürlich auch mit dem Auto: In Sörnewitz etwas elbauf steuern wir das Weinhaus Schuh an. 1990 neu gegründet, Reben nur in Steillagen – wobei es beim Schuh auch Rotwein gibt: 43 Prozent der 4,5 ha sind mit Rotweinreben bepflanzt. Früh schon hat das Weinhaus Schuh auf Kundenkontakt gesetzt: Zum Weingut gehören eine Vinothek und ein Weincafé, und wer spontan wegen einer intensiven Weinprobe in Sörnewitz hängen bleibt: Gästezimmer gibt’s auch…
…wie auch am möglicherweise anderen oder zweiten Wein-Ort: Etwas elbab von Meißen, aber auch rechts der Elbe, liegt Zadel. Das Elbweindorf mit der ältesten urkundlich bezeugten Weinbautradition (Weinbau ist dort seit 1218 nachweisbar) ist eine der besten Adressen für Wein in Sachsen: das Weingut Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe – mit dem Weinkeller, einem Verkaufsladen und einem Restaurant – findet man hier neben der Kirche. Der Prinz und sein Weingut haben dem Dorf hinter dem Hügel (denn das ist die Bedeutung des slawischen Wortes Zadel!) gut getan, es aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Das sitzt man dann im Probierzimmer oder im Restaurant und stellt fest: So ein Wochenende ist eigentlich viel zu kurz…
[Beitrag für Augusto]Infos
Veranstaltungen in der Porzellanmanufaktur
Frauenkirche Meißen
30s Weinbistro
Burgstraße 6
01662 Meißen
Tel. +49 3521 476498
www.30s-weinbistro.de
Geöffnet: Do-Mo ab 17 Uhr
Di & Mi Ruhetag
Goldenes Fass
Vorbrücker Straße 1
01662 Meißen
Telefon 03521 719200
post@goldenes-fass-meissen.de
Geöffnet
montags bis samstags ab 17.00 Uhr, Sonn- und Feiertage ab 11.00 Uhr
Restaurant Meissen
Talstraße 9
01662 Meißen
Tel.: 03521 – 46 87 30
email: info@gastronomie-meissen.com
Geöffnet:
Café MEISSEN von 9 bis 18 Uhr
Restaurant MEISSEN von 11 bis 19 Uhr, mit Reservierung auch spätere und längere Öffnung möglich
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