Der Volksmund ist weise. Viele Köche, sagt er, verderben den Brei. Köche aber sind schlau, denn wenn mehrere von ihnen zusammen in der Küche stehen, kochen sie einfach keinen Brei – und schon kann nix passieren. So war’s auch jüngst in Dresden, wo im Rahmen einer Fachtagung „Der Beginn der kulinarischen Moderne. 200 Jahre „Geist der Kochkunst“ von Carl Friedrich von Rumohr“ das „Deutsche Archiv der Kulinarik“ gegründet wurde – und am Abend nach (auch für interessierte Laien) hörenswerten Vorträgen eine kleine Praxisübung vorgesehen war.
Konferenzdinner nennt sich das, was am Abend den Teilnehmenden einer Tagung Gelegenheit zu lockeren Gesprächen bieten soll und meistens im kulinarisch eher bescheiden-gutbürgerlichen Rahmen stattfindet. Aber wenn man während der Tagung einem großartigen Gastrosophen huldigt, darf’s auch mal ein bisschen mehr sein. Also traf man sich im Caroussel Nouvelle, wo aus dem Konferenzdinner ein Galadiner wurde und in der Küche an diesem Abend neben dem heimischen Team um Sven Vogel drei weitere Spitzenköche Dresdens arbeiteten. Ihre Aufgabe war keine einfache, denn der Abend war als Hommage an Eckart Witzigmann gedacht. Eigentlich hätte der Jahrhundertkoch sogar an diesem Abend Gast im Bülow Palais sein sollen – aber aus gesundheitlichen Gründen hatte er kurzfristig absagen müssen und lediglich eine Video-Botschaft geschickt.
Wobei das mit nur ein Video nicht ganz stimmt: er hatte auch mehrfach telefoniert mit seinem ehemaligen Schüler Ralf Kutzner. Der hatte 1978 als junger Koch in der Brigade von Witzigmann im Tantris gearbeitet und das Kalbsbris Rumohr sehr häufig zubereiten müssen. Aber nicht nur für den Signature Dish, sondern überhaupt hatte Eckart Witzigmann sehr genaue Vorstellungen von dem, was es an dem Abend ihm zu Ehren in Dresden geben sollte. Die Zusammenstellung des Menüs, wusste Ralf Kutzner zu berichten, „war nicht ganz so einfach“, denn was an einem Tag gut war, wurde am anderen Tag verbessert. Das letzte Mal habe er vor vier Stunden mit Witzigmann telefoniert. Das ging dann in etwa so. Witzigmann: „Die Sauce, pass auf, dass da nicht zu viel Creme Double und zu viel Sahne drin ist, lieber etwas mehr Trüffeljus und kalte Butterflöckchen zum Schluss und dann montieren!“ – Daraufhin Kutzner: „Ja Chef!“ So ist das bei Köchen: einmal Chef, immer Chef.
Die nicht ganz so einfachen Wünsche Witzigmanns in die Realität umzusetzen, war die Aufgabe von Mario Pattis, Marcus Langer und Olaf Kranz sowie Sven Vogel und dem Küchentram des Caroussel Nouvelle. Man könnte den Abend in der Kürzestform mit einem Wort zusammenfassen, das von Rumohr häufig in seinem 200 Jahre alten Buch gebraucht und dass Restaurantkritikern aus der Bedrouille helfen könnte. Die dürfen nämlich einem ungeschriebenem Gesetz zufolge nie schreiben, dass etwas lecker gewesen sei. Von Rumohr, der alte Gastrosoph und somit über alle Zweifel erhabene, schrieb also, die Dinge seien leckerhaft. Ja, so könnte man es nennen. In der mittelkurzen Version könnte man auch schreiben: Witzigmann wäre sehr zufrieden gewesen, vielleicht sogar begeistert (das vermögen wir aus der Ferne ja nicht zu beurteilen).
Die etwas (!) längere Version über den Abend fängt vielleicht wirklich mal ganz zu Beginn an, denn es ist ja nicht mehr selbstverständlich, dass man sich zuerst in einem geeigneten Vorraum versammelt, um dort bei einem Glas (in diesem Fall: Champagner Pol Roger) stehend, smalltalkend, Ohnmachtshäppchen nehmend und Begrüßungsrede hörend wirklich anzukommen, um dann gemeinsam in den festlich eingedeckten Raum zu gehen. Dort sieht man dann runde Tische für je acht Leute, toll eingedeckt mit Gläsern, Stoffservietten, Besteck am Platzteller und einer Menükarte für jeden Gast. Da hat man ja, tagungsanlehnend, schon mal zu gucken und zu reden: ja, die Menükarten waren früher aufwändiger. Aber immerhin gab’s eben für jeden (m/w/d) eine – und an Tisch sechs saßen eben auch Wissenschaftler*innen, die sich mit genau sowas beschäftigen. Also redeten wir über Menükarten und ob wer die privat sammelt, so wie es die Sammlungsgebenden ja getan haben.
Geflügelleber-Parfaît
mit Sultaninen und grünem Pfeffer
Den ersten Gang hatte Mario Pattis (e-Vitrum) vorbereitet – auf ihn hätte man aber bei diesem wie auch beim letzten Gang sowieso getippt, denn man weiß ja, was er gerne macht. Geflügelleber-Parfaît
mit Sultaninen und grünem Pfeffer war von jenem Schmelz, den man eigentlich nur augenverleiernd und leicht unterhalb der Stöhngrenze hhmmm-summend beschreiben kann. Wie kann man so einen Genussmoment noch toppen? Durch den passenden Wein, vielleicht? Auf jeden Fall! Jana Schellenberg, die Sommeliere im Haus, musste nicht weit gehen, um den passenden Wein zu finden: einen 2017 Riesling A von Klaus Zimmerling, Sachsen. Noch mehr Augenleiern, noch mehr Gesprächsanlass. Was so alles geht in Sachsen…
Gelée von roten Beten
, Crème Fraîche und Kaviar
Das Gelée von roten Beten
, Crème Fraîche und Kaviar nahmen die Damen und Herren von Tisch sechs schon fast zu akribisch auseinander – und alle fanden, dass man viel zu wenig das Erdige der roten Bete schmecke und statt dessen dauernd an eine sehr sehr gute kräftige Rinderbouillon denken müsse. Lange Gespräche in freundschaftlichster Atmosphäre führten von Hölzken über Stöcksken bis zum Veganismus und wieder zurück, unterbrochen allenfalls durch bewunderte Zustimmung für den Champagne Pehu Simonet
Face Nord Rosé Grand Cru, den keiner von uns vorher kannte, aber auch keiner vergessen möchte. Und dann wieder das Gelée, echt blass für Rote Bete, oder? Bis wir beim Ausheben gefragt wurden, wie uns der Gang gefallen hatte, debattierten wir kenntnisreich und hatten doch keine Ahnung. Ein Satz reichte, um zu dieser Erkenntnis zu führen, denn: „Das sind die Originalrezepte, und die Köche hatten strikte Anweisung, alles genau so zu machen!“ Na dann! Bitte noch einen Schluck vom Champagner, denn nun mussten wir ja bereden, wie der Zeitgeist so funktioniert und dass selbst ein Genie wie Witzigmann selbstredend auch Kind seiner Zeit ist – und man vor 50 Jahren (das Rezept stammt aus der Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts) da eben noch ganz anders drauf war.
Suprême vom Steinbutt
auf Blattspinat mit zweierlei Saucen
Den nächsten Gang hatte Marcus Langer (Atelier Sanssouci in der Villa Sorgenfrei) vorzubereiten: Suprême vom Steinbutt
auf Blattspinat mit zweierlei Saucen wurde angesagt und auch gleich für uns Wissbegierige aufgelöst: Suprême ist’s, wenn nur das Mittelstück vom Filet genommen wird. Langer kennt sich mit sowas aus: als es das bean & beluga oben auf dem Hirsch noch gab, landeten die restlichen nicht minder leckerhaften Teile des Steinbutts dann gerne mal im Menü des Zweitrestaurants Hirsch32 (unser Besuch damals). Wo es ein Zweitrestaurant nicht gibt, müssen dann eben andere Rezepte in anderen Menüs für angemessene Verwertung sorgen. Es lag also ein veritables Stück Butt auf dem Teller, oben mit einer hellen (Weißwein-Sahne) und unten einer dunklen (Rotwein-Butter) Sauce. Unterm Fisch Blattspinat: ein schöner Teller – und, weil’s ja einmal gesagt bzw. geschrieben werden sollte: zu so einem klassischen Menü passen die Teller aus Meissner Porzellan natürlich perfekt. Gleiches gilt für den Wein, wieder ein Sachse: 2020 Chardonnay Barrique von Martin Schwarz. Aus der Magnum ausgeschenkt, was den feinen cremigen Wein noch ein wenig reifer erschienen ließ. Großes Vergnügen und als Gesamterlebnis mein persönlicher Favorit des Abends.
Kalbsbries Rumohr.
Périgord-Trüffel und Gänseleber
Der Wein mit langem Nachhall am Gaumen war dann auch das Bindeglied zum Gang, um den herum sich alles arrangierte. 1976 erfand Eckart Witzigmann dieses Gericht (meistens schreibt man ja: er kreierte es – aber wenn man das dann krei-ert statt kre-iert liest, klingt das doof. Also meide ich das Wort. Just saying…). Und da schließen sich dann alle Kreise dieses Tages: Die Anregung gab der Herr Rumohr auf der Seite 104 seines Buches, das mehr ein philosophischer Erzählband als ein Rezeptbuch ist. Eigentlich schrieb Rumohr da über Pasteten und wie man sie herstellt, von Grund auf (wir sind ja im Kapitel vier: Vom Backwerk im Allgemeinen), aber wenn man das Draußenrum hat, muss ja auch was rein. Und das liest sich dann so:
„Der Butterteig eignet sich sowohl zur Unterlage von nährenden Speisen, als auch um gekochtes Obst und andere süße Mengungen einzufassen. Kleine Pastetchen von Butterteig füllet man mit allerley feinen animalischen Stoffen in wohl gebundener, leicht säuerlicher Tunke, z. B. Briesel (od. Kälbermilch, Schweder, ris de veau) leicht abgesotten, die zartesten Theile in Würfel geschnitten, und allein oder mit Trüffeln, Morcheln, oder andern feinen Schwämmen in der weißen Tunke erwärmt, dann in die heißen Pastetchen gefüllt und aufgetragen.“
Davon ließ sich Witzigmann inspirieren und machte sein eigenes Ding, etwas komplizierter (kann man nachlesen im falstaff), ein wenig exklusiver und auf alle Fälle reichlich leckerhaft. Sven Vogel, Küchenchef im Hause und somit nah dran am Witzigmann-Schüler Ralf Kutzner, war für Kalbsbries Rumohr.
Périgord-Trüffel und Gänseleber zuständig – und hat seine Sache sehr gut gemacht. Dank des Tipps von Witzigmann war die Sauce zum Reinlegen – und wenn man Bries, Trüffeln und Gänseleber mag, gibt es wohl keine bessere Art, sie zu genießen.
Rinderfilet
mit Ochsenmark-Kruste, Rotwein-Schalotten und Prinzess-Bohnen
Olaf Kranz (Schmidt’s Restaurant) schickte Rinderfilet
mit Ochsenmark-Kruste, Rotwein-Schalotten und Prinzess-Bohnen als klassischen Fleischgang. Ein Gang, der in seiner zeitlosen Schlichtheit und geschmacklichen Rafinesse eine Binsenweisheit spiegelt: das Einfache ist unschlagbar. Wobei einfach natürlich fast eine Anmaßung ist, denn gerade beim scheinbar Einfachen müssen Produktqualität und gelassenes Können zusammen finden. Und während man das mit den guten Produkten bei ein wenig Marktkenntnis ja noch hinbekommt, geht’s beim Gesamtarrangement dann doch nicht so leicht von der Hand, zumal ja neben den Dingen im eh schon nicht so kurzen Titel auch noch Süsskartoffelpürre, Kressepürree und zweierlei Rotweinschalotten gemacht werden müssten. Da reift dann schnell die Erkenntnis, dass die Profis das einfach besser können. Erschwerend kam hinzu, dass ja nicht jeder einen 2000 Château Pichon Longueville
Comtesse de Lalande, 2e Cru Classé aus dem Pauillac im Keller hat, das Caroussel Nouvelle aber schon. Der Wein hat ein enormes Alterungspotential, aber ist jetzt schon wunderbar trinkreif. Was für ein Hochgenuss!
Délice von Himbeeren
, Vanillemousse und Tonkabohnen-Eis
Und wer macht’s Dessert? Natürlich der Pattis! Délice von Himbeeren
, Vanillemousse und Tonkabohnen-Eis fanden nach all den bisher genossenen Dingen mühelos ihren Weg in die Gäste (pardon my French…), weil es ja bekanntlich einen eigenen Dessertmagen gibt. Da ist also immer noch ein wenig Platz, und das Delice kam dem mit einer zauberhaften Leichtigkeit auch noch entgegen. Die Weinbegleitung war ungeheuerlich gut gewählt, denn die 2020 Forster Ungeheuer Riesling Auslese von
Dr. von Bassermann-Jordan, Pfalz brachte natürlich viel Restzucker mit – aber Dank einer sehr saftigen Säure mit Druck am Gaumen und schööönem Nachhall.
Caroussel Nouvelle
Königstraße 14
01097 Dresden
Tel. 0351 / 80030
www.buelow-palais.de/restaurants-bar/#caroussel
[Besucht auf Einladung im Rahmen der Gründung des Deutschen Archivs für Kulinarik am 10. Oktober 2022. Es gibt im
falstaff einen Bericht auch zur Tagung/Gründung | Zur
Karte der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]
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