Als Martin Kössler Ende Januar in der Dresdner WeinKulturBar als Weinpersönlichkeit des Jahres 2022 ausgezeichnet wurde, nannten wir ihn hier im Bericht darüber einen Mann mit einer Mission. Im Anschluss an die Veranstaltung nutzten wir die Gelegenheit zu einem Gespräch an der Theke der WeinKulturBar – mit den typischen Hintergrundgeräuschen einer gerade öffnenden Bar (Leute kommen, Käse raschelt sich ins Papier, die Kasse klingelt – so Dinge, die wir nicht schlimm finden, sondern schön: Leben!).
K&U-Weinhalle heißt der Weinfachhandel, der längst nicht nur für die Nürnberger da ist: „Wir waren mit die ersten, die einen – damals noch selbstgestrickten – Webshop hatten“, sagt Martin Kössler. Für ihn steht übrigens das K – U ist seine Partnerin (geschäftlich wie privat) Dunja Ulbricht. Vor 40 Jahren gründeten sie den Laden, „zunächst zur Eigenversorgung“, aber schnell entwickelte sich der Weinhandel weiter. Darüber reden wir auch, aber die meiste Zeit geht es darum, dass K&U „Wein radikal anders“ sehen.
Hier, wie immer, die Stichworte unseres Gesprächs:
- 00:55 zu Gast in der WeinKulturBar mit Martin Kössler
ausgezeichneter Weinfachhändler (Bericht)
Wein an sich ist spannend. Aber es ist mehr Kommunikationsmittel als alkoholhaltiges Wirkungsgetränk
…unter kulturellen, unter historischen, unter religionstheoretischen Aspekten kann man ihn sehen - 02:30 vor 40 Jahren zur Befriedigung des Eigenbedarfs gegründet
vor 40 Jahren sah der Weinmarkt ganz anders aus: es gab keine Discounter, keinen Supermarkt: Weine fanden in seriösen Weinhandlungen statt
das Angebot war im wesentlichen französisch: keine Italiener!
Deutscher Wein war kaum existent (nur lokal, nicht auf dem Markt
wir dachten: da muss es mehr geben!
sie entdeckten die Toscana und stellten fest: es gab zwei Sorten Wein – trinkbare und untrinkbare
die Weinwelt war eine völlig andere
Idee war damals revolutionär: Weinhandel vom Winzer zum Endverbraucher
damals: kein Weinversand, kein DHL etc. Keinerlei Logistik (und schon gar nicht dieses Internet)
wir sind mit Italien groß geworden, gehörten zu den ersten Importeuren
vom Eigenbedarf zur Firma ging’s schnell (ein Jahr)
seine Partnerin (Geschäft wie privat) ist Journalistin – daher sind die Texte auf der Webseite sehr lesbar…
wir sind einfach losgezogen und hatten keine Ahnung von Wein – waren aber interessiert
er ist Werkstoffwissenschaftler (Chemie/Physik studiert), die Frau Journalistin
wir haben schnell gemerkt: diese Branche ist eine Branche der Lüge, der Märchen und der Illusionen
wir aber wollten authentisch bleiben
mit dem Erfolg kamen andere – und die Italiener waren illoyal und machten es auch mit denen
…und dann sind wir nach Frankreich
im Bordeaux trafen sie Parker
Beginn der Kriterienfindung
Parker war der erste, der seine Punkte mit Kommentaren hinterlegt hat
da habe ich gemerkt: der Zugang zum Wein ist das Wort
wir sagen nicht, wie es schmeckt, sondern warum es schmeckt
da fingen wir an, uns mit Boden zu beschäftigen, mit Weintechnikern - 13:25 auf was haben sie geachtet bei der Auswahl?
zuerst versucht, die Technik dahinter zu verstehen
1988 angefangen, Kalifornier zu importieren – und die Winzer dort sprachen plötzlich von Wildhefen und „nicht pumpen“
der große Unterschied EU-USA: dort kann man Wissen anzapfen
family winemakers of Napa Valley
die Weine waren schrecklich, aber die Diskussionskultur hervorragend
learning by doing – aus Fehlern lernen: das hat mich sehr geprägt
in den 90ern haben wir gesagt: wir wollen nur spontan vergorene Weine, nur Wildhefe.
Bio bekam Sinn, weil man vom Boden aus bis in den Wein den Faden ziehen konnte
nur ein lebendiger Boden kann die Trauben so versorgen, dass Du spontane Gärung durchziehen kannst
Mykorrhiza – was ist denn das? (zum Nachlesen)
es sind die Bodenpilze, vielleicht das Schlüsselwort der Zukunft
Mikrobiome sind die Gesamtheit aller Lebewesen im Organismus
Mykorrhiza liefert Nährstoff in die Pflanzen
wenn die große Buche entscheidet, welcher Nachwuchs überleben darf
…und plötzlich begann der Wein im Glas anders zu sprechen
es gab Antworten auf nicht gestellte Fragen
die politische Komponente des Weins
das Prinzip des Nicht-Eingreifens
uns sind die Worte ausgegangen (aber sie wurden nicht sprachlos)
unsere Branche labert, haut dir Adjektive und Superlative um die Ohren
wir versuchen zu sagen, warum der Wein so schmeckt
alles schön – aber WARUM machen sie sich die Mühe?
K&U hat Zahl der Weine/Weingüter reduziert (von 1800 Posten auf 800) – gegen den Wachstumswahn
der ökologische Fußabdruck des Weinhändlers…
wir beachten das sehr – und es wird immer mehr ein Thema
Nachhaltigkeit wird eine große Herausforderung
CO2-Bilanz: 70% beim Wein ist Flasche
wir müssten also dringend ein Pfandsystem einführen! Weg vom Narzismus!
das ist für jmd, der sich gar nicht interessiert, völlig durchgeknallt…
aus der passiven Unsicherheit in die Entdeckerrolle
über 85% der deutschen Weine werden mit Maschine gelesen – und das heißt: kein Spielraum mehr im Keller
was bei Handlese alles geht…
und wie soll ich das schaffen? – Wachstumswahn!
zu groß für den eigenen Anspruch? - 28:16 die großen bekannten Namen sucht man vergeblich bei ihm
zum Beispiel Naturwein…
Verzicht auf alle üblichen Zusatzstoffe der modernen Önologie.
Du musst sehr genau wissen, was du tust – und das schränkt Betriebsgröße ein! (es gibt Ausnahmen, aber da braucht’s Bedingungen)
harmonisch gewachsen…
auch wir haben viel falsch gemacht
die Klimakrise verursacht neues Denken – muss sie!
ich glaube, dass der konventionelle Weinbau (mit wenigen Ausnahmen) massive Probleme haben wird
du musst heute regenerativ im Weinberg arbeiten, sonst hast du keine Zukunft
unsere Aufgabe als Händler ist, die Landwirtschaft insgesamt über den Wein aufzuwerten
alle sprechen von Trockenheit – warum spricht keiner von Wasserrückhaltevermögen?
es ist sehr schade, dass sich die Wissenschaften so aufgespalten haben
woran erkenne ich einen Wein, der Trockenstress hatte? Der schmeckt wie nasse Wollsocken im Winter! Die Fachleute nennen es UTA
Wir zeigen Weine, die entspannt sind
Wein und Preis: was bin ich mir wert? Die Frage muss ich mir stellen!
was sind Gerbstoffe?
Polymerketten, die übers Kopfsteinpflaster humpeln oder drüber gleiten
ist doch schön zu wissen!
Kopfsteinpflastertrinken… - 37:19 er selbst sagt, er sei nicht sehr beliebt bei Winzern und Kollegen – warum nicht?
ich veröffentliche auf unserer Webseite die Zusatzstoffe der Winzer und die Kataloge der önologischen Firmen
Wein ist ein Lebensmittel, das ein Genussmittel ist
du fällst nicht unter die Lebensmittelkontrolle
über 300-400 Zusatzstoffe – allergenrelevant, geschmacksverändernd – dürfen da drin sein ohne deklariert zu werden
er meint: wenn die Trauben gut snd, braucht’s das gar nicht
die Fachberater…
wo lernt man das? – Gar nicht – man muss bei den richtigen Leuten Praktika machen
das Tolle im Bio-Bereich: das Netzwerk
ich denke, dass wichtigste ist, sich auszutauschen, über Fehler zu sprechen
Winzer haben ja einen schweren Job…
Klimakrise, hochvolatiler Markt
drei Berufe: Gärtner, Chemiker, Verkäufer - 42:10 Stichwort Kupfer
ich glaub‘ zunächst mal nüscht (Aufruf zur Recherche!)
Erfahrungen von erfahrenen Winzern wie Steffen Christmann, Philipp Wittmann, Reinhard Löwenstein
Wittmann regte Diplomarbeit an: Spuren von Kupfer im Weinberg nach 20 Jahren
Kupfer im Weinbau ist nach der Recyclingverordnung ein Schwermetall und eine Katastrophe
in der Schweineindustrie ist es kein Schwermetall, sondern Wachstumshormon
Kupferverseuchungskarten der EU: die höchste Belastung in den Schweineregionen
Kupfer im Weinbau: hat fungizide Wirkung
Bordelaiser Brühe
als Schwermetall in den Böden eingelagert…
aber: es gibt Böden, wo es verschwindet! Und es gibt welche, wo es konstant bleibt. Und es gibt Böden, wo es kumuliert…
und dann war da noch was: in der konventionellen Landwirtschaft gibt es deutlich weniger Kontrollen als bei den Bios…
als Chemiker weiß er: die Anorganik ist leichter als die Organik
fundiertes Wissen in der Landwirtschaft gelernt, nicht im Weinbau
Dietmar Näser, der Mann! In Sachsen (Info)
eine Tagung mit Winzern, die keine Maschinen im Weinberg haben
sie haben keine Viren- und Pilzprobleme
ich kann es mir nicht erklären, habe es aber selbst erlebt (in Kampanien) - 53:27 eigener Weinberg
wir haben in D die Simone Adams…
für uns spielt der Mensch dahinter eine große Rolle
es gibt einen Zusammenhang Mensch und Wein
Verkostungsnotiz: Männer sind von Haus aus unsicher – und fangen an, miteinander zu reden. Frauen, die unsicher sind, stellen Fragen – meistens kluge!
obendrein sind Frauen sensorisch besser
Besuchen Sie die Leute, die Sie im Glas haben! Also deren Weine… (das kann Urlaube füllen!)
Angebot: die Kataloge der Önologie-Firmen zu studieren! (Lösung: Hier stehen die Links zu den Dokumenten)
interessant zu sehen: was kann ich zusetzen und warum – und da sieht man, wie die Industrie ein Klischee produziert
die Branche ist nasenorientiert – aber wir haben auch Mund und Zunge und Gaumen!
Mundgefühl ist schwerer zu manipulieren
K&U-Weinhalle
Nordostpark 78
90411 Nürnberg (Nord)
Tel. +49 911 52 51 53
weinhalle.de
Auf ein Glas – der Podcast der STIPvisiten. Gespräche beim Wein. Über Wein. Über Essen. Und übers Leben, natürlich.
Alle Folgen unter diesem Link: podcast.stipvisiten.de
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