Vergnügen – auf eigene Gefahr

Die Serkowitzer Volksoper spielt in diesem Sommer "Böser Clown" nach Busoni

Böser Clown

Ein klassisches Déjà-vu geht anders. Laut Wikipedia ist das nämlich „eine Erinnerungstäuschung …, bei der eine Person glaubt, ein gegenwärtiges Ereignis früher schon einmal erlebt zu haben. Dabei scheint … Zeit, Ort und Kontext der „früheren“ Erfahrung ungewiss oder unmöglich.“ Wir hatten aber ein Déjà-vu mit Erinnerung beim Besuch der Serkowitzer Volksoper in der Saloppe: schon 2019 schwankten wir zwischen aber und und – mit dem Fazit: ein vielleicht unerwartet fordernder erster Teil muss sein, um einen alles wieder wett machenden zweiten zu erleben (und auch 2021, lese ich, „dümpelte der erste Teil vor sich hin“, bis alles dennoch ein gutes Ende fand). Denn auch 2023 ist am Ende die Manipulation nach Ferrucio Busoni nur vom Titel her zwar ein Böser Clown, vom Gesamterlebnis aber doch ein guter Clown!

Man hätte es ahnen können, denn die Dialektik des Abends beginnt ja schon am unteren Ende der Treppe zur Saloppe, in der der Theaterwagen seinen Platz hat. „Treppe ins Vergnügen“ steht groß auf dem Schild – und man freut sich! Aber: „Betreten der Treppe auf eigene Gefahr„, warnt ein anderes, kleineres Schild direkt davor. Rutschgefahr, oha! Und dann ist da noch das Versprechen „Alle Vorstellungen sind regensicher!„, das überall steht, wo die Serkowitzer Volksoper für sich und ihre Vorstellungen unter freiem Himmel wirbt. Jaja, das stimmt sogar – wenn man einmal da ist, denn Bühne und Plätze fürs Publikum sind in der Tat regensicher unterm Dach. Die offenen Seiten sind weit genug weg von den Stühlen, da regnet’s nicht rein – und man hat eben doch dieses Draußen-Gefühl. Was natürlich außerhalb der Regensicher-Garantie ist, sind An- und Abreise – da kann die Husche zwischen Haltestelle oder Parkplatz bis zum Areal des Sommertheaters schon zu ordentlicher Durchfeuchtung führen. Soweit also zum Theater vor der Oper.

Nun aber Busoni. Bu-wer?, fragt da der nicht ganz so mit fundiertem Halbwissen ausgestattete Bildungsbürger und schämt sich. Bei Mozart, Bach, Beethoven kann man ja auf Zuruf was vorsummen, und dank der populären Zusammenarbeit mit Brecht fällt einem ja auch zu Weill was ein. Aber trällern Sie mal ’nen Busoni! Nun gut, das ist ja nicht schlimm, wenn man hinterher mehr weiß als vor dem Abend. Und spätestens seit 2020 wissen wir, was Milko Kersten (Präsident des Sächsischen Musikrats, Orchesterpädagoge am Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden und Professor an der Hochschule für Musik Dresden) umtreibt: „Könnte Serkowitz klassische Moderne vermitteln?“ Damals traute er sich noch nicht, jetzt aber schon. Und das ist gut so – macht ja sonst keiner.

Busoni, der nicht spontan Summbare, lohnt sich auf jeden Fall. Er war Kind eines italienischen Klarinettenvirtuosen und einer deutschstämmigen Pianistin, lebte von 1866 bis 1924 – lange Zeit in Berlin. Eine Gedenktafel an seinem Wohnhaus macht dezent darauf aufmerksam, dass er mehr als Musiker war, nämlich auch Lehrer und Denker – letzteres durchaus zeitkritisch und auf erstaunlichste Weise dem Heutigen zeitnah. Sein Einakter Arlecchino entstand unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs, und wer die Anspielungen und Mechanismen des Stücks hört und richtig versteht, landet schneller im Hier und Jetzt als die zweite Hälfte des Opernabends beginnt.

Diese zweite Hälfte ist neu hinzu erfunden – Busonis Arlecchino ist nämlich zu kurz für einen Abend und braucht vielleicht auch einen kurzweiligeren Anhang. Der spielt 150 Jahre später – Basecaps statt Dreispitz bei den Musiküssen (sic!) des vierköpfigen Musi nad Labem Orchesters signalisieren das als erstes, denn das Orchester kommt ja zuerst auf die Bphne. Wolf-Dieter Gööck hat klare Worte gefunden, um Populismus als Schmierentheater zu entlarven, und weil die Schüler von Busoni ein reichhaltiges Repertoire hinterließen, gibt es für die auch schmeichelhaftere (weil bekanntere?) Musik – darf man den Kanonensong von Brecht/Weill eigentlich einen Ohrwurm nennen? Wie auch immer: hier gab es immer wieder Szenenapplaus und trotz des bedrückend ernsten Themas herzhafte Lacher. Da kann es schon mal passieren, dass man sich vor Freude glucksend verschluckt und sich dabei an den Eingang erinnert: Vergnügen – auf eigene Gefahr!

Und, wie jetzt – keine Namen? Nee, keine Einzelkritik. Denn musizieren und singen können sie alle primstens, und ohne diese unbändige Spielfreude wären sie ja nicht bei der Serkowitzer Volksoper. Der Beifall am Schluss des Abends war also folgerichtig viel mehr als höflich, er war verdient. Und wer nicht hingeht, kann nicht mitreden und würde was verpasst haben…

Wir waren bei der 2. Aufführung am 26. Juni in der Saloppe vor Ort, weitere Termine :

Sonntag, 2. Juli 2023 (Doppelvorstellung) | Montag, 3. Juli 2023 | Montag, 10. Juli 2023 | Mittwoch, 12. Juli 2023 | Sonntag, 16. Juli 2023 (Doppelvorstellung) | Montag, 21. August 2023 | Montag, 28. August 2023 (Dernière)

Beginn jeweils 19.30 Uhr (Einlass ab 18.30 Uhr), am 2. und 16. Juli 2023 zusätzlich 15 Uhr (Einlass ab 14 Uhr)
Ort: Sommerwirtschaft Saloppe, Brockhausstraße 1, 01099 Dresden

Preise im empfohlenen Vorverkauf 20 € – 27 €/ermäßigt 13 € – 20 € (je zzgl. VVK-Gebühren)
Restkarten an der Abendkasse 22 € – 30 €/15 € – 22 €.

www.serkowitzer-volksoper.de

 

 

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*