Mehr als 10.500 bewertete Weine, annähernd 1.000 Weingüter in Einzelporträts, ausführliche Informationen zu den 13 Anbaugebieten sowie Trends und Entwicklungen der deutschen Weinszene – das sind die nackten Daten zur 24er Ausgabe des VINUM Weinguide Deutschland. Mit 1.080 Seiten gehört er zu den Schwergewichten – und das ist nicht nur wörtlich gemeint. Wer 1.134 Gramm Guide nicht schleppen will, kann sich die App aufs Smartphone ziehen und dort sogar mehr bewertete Weine als in der Druckversion finden.
Wobei: so gerne wie ich in dicken Büchern stöbere (sie wie ein Buch lesen ist ja bei Guides, egal ob Wein oder Essen, eher nicht der Fall) – die Apps haben viele Vorteile. Natürlich werden die in der Pressemeldung zum Buch auch hervorgehoben, doch irgendwie habe ich da das Gefühl, dass man klammheimlich dieses Internet immer noch für Neuland hält. Da preist man den einfache Download vom App Store (iOS) oder Play Store (Android) und die Interaktivität: Routenplaner, georeferenzierte Ansichten, direkte Weblinks, E-Mail-Zugang, Telefon an – alles kein Teufelszeug, aber natürlich nice to have.
Zurück zum Buch, an dem „an die 30 Weinprofis“ mitgearbeitet haben und über 14.000 Weine probiert haben. Man sieht: nicht alle haben es ins Buch geschafft! VINUM ist der einzige der hier vorgestellten Weinguides, bei dem die Winzer keine so genannte Anstellgebühr zu zahlen haben – sie müssen natürlich ihre Weine an die den Winzern bekannten Verkoster schicken. Das tun aber nicht alle, sie wollen es aus unterschiedlichsten Gründen nicht. Wenn man die Winzer fragt, kommen freilich oft merkwürdige Argumente, die eher so aus dem Bauch heraus sind als aus dem Kopf – aber das muss ja eine jede und ein jeder selbst wissen. Der Sichtbarkeit der einzelnen Winzer (und dann auch des Gebiets) tut das natürlich nicht gut.
In Sachsen sind in diesem Jahr zwölf Betriebe vertreten – kein Neuzugang, aber zwei weniger als im Vorjahr. Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu hören war, haben sieben der von ihm eigens zur Erinnerung angeschrieben irgendwie keinen Bock gehabt, mitzumachen. Woran liegt’s? Matthias Dathan schreibt in seiner Einleitung zum Gebiet: „Leider ist in den letzten Jahren immer weniger Bewegung in der Winzerszene zu erleben. Die Spitzenbetriebe haben ihre Position gefestigt, die anderen Betriebe verkaufen ihre Weine recht erfolgreich regional, so dass scheinbar wenig Qualitätsdruck auf den Betrieben lastet. Neugründungen und generationsbedingte Weingutsumstellungen gibt es daher fast keine.“ Er kommt dann zum Schluss, dass er sich „gebietsübergreifend etwas mehr Elan und Gemeinschaftssinn in der Region [wünscht], um jüngeren Winzern mehr Chancen zu geben – und um in den nächsten Jahren wieder Entdeckungen verkosten zu können. Potenzial dafür gäbe es genug!
Spitzenwinzer in Sachsen sind im VINUM Martin Schwarz und Klaus Zimmerling, beide mit 3,5 (von 5 möglichen) Sternen bewertet. Wer dann in die Details guckt, sich also die eingereichten und verkosteten Weine ansieht, wird feststellen: im Vergleich zum Vorjahr ist die Qualität bei vielen Winzern gestiegen. Im VINUM arbeitet man mit dem 100-Punkte-System (siehe hier erklärt), weniger als 80 Punkte hat kein Wein in der App, wo man das ganz prima filtern kann. In Sachsen liegen die meisten bewerteten Weine zwischen 80 und 90 (es sind laut App 100) – und vier Weine über 90, drei davon kommen aus dem Keller von Martin Schwarz: 2022 Meißen Kapitelberg Riesling VDP Großes Gewächs, 2021 Chardonnay trocken Friedstein und 2022 Radebeul Friedstein Riesling VDP Großes Gewächs. 94 Punkte gab’s für den 2021 Radebeuler Paradies Riesling Eiswein von Schloss Wackerbarth, den Dathan einen „fulminanten Höhepunkt“ nennt, und der „mit feinster Konzentration und frischer Säure großes Lagerpotential hat“. Das Staatsweingut rangiert übrigens zusammen mit Stefan Bönsch auf dem gemeinsamem zweiten Platz – beide Betriebe haben 3 Sterne erreicht.
Das benachbarte Gebiet Saale-Unstrut, lesen wir im Einleitungstext von Silvio Nitzsche (WeinKulturBar), hat „Viel Glanz und auch Schatten“. Das ist in eine Überschrift gepresst (s)ein Resümee – im Unterschied zum Sachsenjammer konnte Nitzsche zwar mit dem Breitengrad 51 und einigen Winzern (Pawis, Hey, Böhme&Töchter, Born, Gussek…) viel Engagement feststellen, aber „wenn wenige Hände die ganze Pionierarbeit leisten müssen und einige am unteren Qualitätsende sogar dagegen arbeiten, gerät die Weiterentwicklung des Gebiets ins Stocken“, schreibt Nitzsche. (Andere Weinbaugebiete, egal ob klein wie Mittelrhein oder große wie die Pfalz, haben derlei Probleme nicht, sogar die immer noch flutgebeutelte Ahr macht eher durch das Ringen um noch bessere Qualität auf sich aufmerksam.)
89 Weine zeigt die App für das Gebiet Saale-Unstrut an, 81 davon im Bereich bis 90 Punkte. Die Spitze bilden zwei Weine mit je 93 Punkten – einer von Matthias Hey (2022 Naumburger Steinmeister Auslese VDP Große Lage), der andere vom Winzerhof Gussek (2021 Naumburg Sonneneck Weißburgunder Auslese). Als Spitzenbetriebe weist VINUM Böhme und Töchter und Pawis (je 3,5 Sterne) aus, gefolgt von Klaus Böhme, dem Winzerhof Gussek und Matthias Hey (3 Sterne) – wobei mir der André Gussek ja notorisch unterbewertet zu sein scheint, wenn man sich den allgemeinen Text und die Bewertung seiner Weine ansieht. Aber was weiß ich schon…
VINUM Weinguide Deutschland
1080 Seiten, 135 x 215 mm
Publiziert am 7. November 2023
ISBN 978-3-95961-853-3
Intervinum AG Zürich, 35,- Euro (inklusive App-Freischaltcode)
Im Podcast Auf ein Glas hatte ich in der Folge 71 im Dezember vergangenen Jahres Matthias Dathan zu Gast. Wer sich also für mehr Hintergrundwissen interessiert – da gibt’s das gratis!
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