Gute Idee, aber zu viele Fehler…

Buchbesprechung von "111 Orte in Deutschland für echte Weingenießer"

111 WeinOrte

Wenn einer eine  Reise tut, dann kann er, wie der nicht gendernde Volksmund zu berichten weiß, zwar viel erzählen – aber vorher muss er (und ja: auch sie!) es ja erlebt haben. Da willste also als vinophiler Genussmensch irgendwo in einem der deutschen Weinanbaugebiete die passenden Besuchsorte finden und fragst Dich: na wo denn nun hin? Die Auswahl ist doch riesig! Und schon greife ich zu einem kleinen Helfer – lass doch jemand anderes die Qual der Wahl hinter sich bringen: „111 Orte in Deutschland für echte Weingenießer“ könnte ja die Lösung sein! Es ist ein Band von vielen in der Serie der 111er, in denen es um Orte (Jena, zum Beispiel), Regionen (Rheinhessen oder Pfalz irgendwer?), aber auch um Wechseljahre, Champagner, Käse und Wein geht – Hauptsache 111.

Die 111 Orte für Weingenießer, die man in Deutschland kennen sollte, sind erstmals 2017 erschienen und nun gerade in einer „komplett überarbeiteten Neuauflage“ publiziert worden. Da begebe ich mich also gerne mal auf Lesereise und stelle hocherfreut fest: es kommt ja sogar der Osten vor! Und das, völlig unerwartet, ganz am Anfang – noch bevor sich der Autor HP Mayer (genau so geschrieben) mit der Ahr dann im Westen von den nördlicheren zu den südlicheren Lagen trinkt und das Ort für Ort beschreibt.

Struktur muss sein, die im Buch geht so: links ein Text, rechts ein Bild mit Einblender, in dem die Fakten zum Wein-Ort stehen – und ein Tipp für einen Besuch in der Gegend (quasi 111 Orte in der b-Lage). Beim Stöbern im Buch bin ich gleich bei zwei, drei Plätzen hängen geblieben und habe sie auf die Musste-mal-besuchen-Liste geschrieben – in der Hoffnung, dass es da (Neuauflage! Völlig überarbeitet!) auch so ist, wie beschrieben.

Und damit sind wir beim Faktencheck: wie gefällt mir denn die Auswahl des Autoren Hans Peter Mayer, der sich seinen (mittlerweile von der Community etwas objektivierten) Wikipedia-Beitrag selbst angelegt hat? Auf den ersten Blick natürlich: gut! Schon weil – so viel Lokalpatriotismus darf doch sein, oder? – neun sächsische Adressen enthalten sind: 9 von 111, das hat doch was! Selbst die großartige Mosel hat nur zehn, und die Nachbarn im Anbaugebiet Saale-Unstrut müssen mit (leider) nur vier vorlieb nehmen. Aber wie gesagt: die Auswahl muss ja streng und sie darf auch individuell sein – allen kann man es eh nicht recht machen.

Was man freilich könnte, wäre sauber zu recherchieren. Denn natürlich habe ich alle Sachsen-Beiträge gelesen und mich gefreut, dass beispielsweise Claudia Beyer mit ihren beiden Meißner Läden dabei ist. Aber neu oder überarbeitet scheint der Text nicht zu sein. Ihr zweites Ladengeschäft ist nämlich laut HP Mayer „jüngst“ als Zweigsetlle eröffnet worden. Das war 2017 noch halbwegs richtig, aber aus heutiger Sicht ist eine Eröffnung 2015 in diesen stürmischen Zeiten schon fast ein Oldie! Neben dieser Anmerkung aus Korinth fällt dann natürlich noch auf, dass ein Webseitenzitat aus der (aktuell gar nicht mehr vorhandenen) Rubrik Wissenswertes verwendet wird. Auf der alten Seite von 2017 stand es noch (im Web-Archiv sehe ich, dass die neue Seite ohne die Wissenswert-Rubrik seit 2022 aktiv ist). Und  der Autor es geschafft hat „im Sommer von dem kleinen Garten hinunter auf die Elbe“ zu schauen, ist mir auch ein Rätsel (zu viel des guten Goldrieslings? Keine Ahnung). Obwohl der Garten sehr sehr schön ist, ich sollte mal wieder da hin!

So ganz fehlerfrei sind auch die anderen Beiträge (nicht nur die aus und über Sachsen) nicht, und das ist ärgerlich. Zumal dieses Internet ja eine Fundgrube für alternativlose Wahrheiten ist, man muss nur die Suchmaschine befragen. Die Lorenz-Besen gibt’s ja nur als Straußwirtschaft Lorenz, die Frau des dort erwähnen Winzers Frédéric Fourré heißt nicht Amri und ist als Amrei seit einiger Zeit auch mehr als die Lebensgefährtin, die in dem Beitrag erwähnte (sehr sehr schöne) Ballberg-Aussicht ist schon lange dauerhaft geschlossen. Steht beim Googeln auf Seite eins. Die Wegebeschreibung zur Straußwirtschaft ist auch köstlich, denn von den Landesbühnen (Haltestelle der 4, wenn sie wieder fährt) sind es 1,5 km bergauf und vom empfohlenen Haltepunkt Lößnitzgrund der Schalspurbahn zwei Kilometer“auf ebener Strecke zum Spitzhaus“. Das will ich sehen!

Aber egal, weiter geblättert und große Freude, dass auch ein Beitrag über „Das Wein und fein“ des Herrn Gräfe dabei ist, der allerdings bei seinem Vornamen ein t verloren hat – er heißt in echt Matthias. Auch dieser Beitrag scheint älterer und in weiten Teilen unbearbeiteter Natur zu sein, denn das bean&beluge beliefert Gräfe auch nicht mehr – weil es das seit 2019 gar nicht mehr gibt. Wobei: irgendwas muss der HP ja neu geschrieben haben, denn einige Dinge der jüngsten Vergangenheit wie der gemeinsame Podcast „Auf ein Glas“ vom Matthias Gräfe und mir, die Vespa-Touren und die Auszeichnung des Wein&fein als Gerolsteiner Wineplace kommen vor…

Warum das Elements in dieser Zusammenstellung auftaucht, ist mir ein Rätsel, besonders sachsenlastig ist die Weinkarte ja nicht – aber immerhin ist das beigefügte Foto nicht so winterlich-trist wie bei den anderen Beiträgen. Offensichtlich war der Autor im Januar/Februar des vergangenen Jahrzehnts mal in Sachsen (auf einem Foto zum Weinreich von Katharina Lay liegt Schnee auf den Stufen…), und weil er ja auch Fotograf ist, hat der HP die Kamera mitgenommen. Aber selbst der Goldene Wagen sieht an einem grauen Wintertag trist aus, und ein gräuliches Schloss Albrechtsberg bebildert den Beitrag zum Winzer Lutz Müller – obwohl der ja gleich nebenan mit seiner Besenwirtschaft einen der schönsten Ausblicke (direkt auf die Elbe!) zu bieten hat. Die beiden unter Tipps vermerkten Weinbars fallen in die Kategorien „noch nie gehört“ und „gibt’s schon lange nicht mehr“. Damit nochmal zurück zum Elements und dem da eingespielten Tipp: Jana Schellenberg ist schon länger nicht mehr die Sommeliere im Caroussel, das wiederum auch schon länger keinen Stern mehr hat.

Auch außerhalb von Sachsen lassen sich sehr vermeidbare Fehler finden. Mein spontan gewählter Blätter-Lieblingsort „Die alte Grafschaft“ in Franken bräuchte eine komplett neue Geschichte, denn (laut Main-Echo vom 4.8.2023) gibt es jetzt einen neuen Co-Besitzer. Aber ich will trotzdem hin, denn mit Jerome Legras gibt’s ja Neues zu erzählen, denn es hat doch was, wenn das Weingut nun in Kooperation mit einer Winzerfamilie aus der Champagne geführt wird (auch kein Geheimwissen)!

Schade, denn die Idee ist ja nett – aber schon Goethe meinte ja, dass man nicht nur wollen müsse…

HP Mayer
111 Orte in Deutschland für echte Weingenießer
Köln: Emons Verlag 2024
Erscheinungsdatum: 27. Juni 2024
240 Seiten, 18 €
ISBN 978-3-7408-2201-9

[Das Buch wurde vom Verlag zur Verfügung gestellt]

 

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