Und die Mama bäckt alles!

Kochsternstunden 2025: Heiderand (Dresden)

Heiderand KSS25

Großes Kino hatten wir vorab erwartet, aber leider wurde daraus nichts beim Besuch des Heiderand Restaurant: es war dann doch ganz großes Kino! In den fünf Jahren seit der Eröffnung ist Martin Walther mit seinen Eltern – von denen er mit damals erst 25 Jahren das Objekt übernahm – seinem Ziel, in Bühlau ein Fine-Dining-Spitzenrestaurant zu etablieren, beharrlich näher gekommen. Und das trotz völliger Neuausrichtung des Restaurants ohne Familienstreit: einer der merkenswerten Sätze des selbstbewusst, aber bescheiden auftretenden Kochs am Tisch fiel ganz am Ende bei der Erklärung der Petit fours: „Und die Mama bäckt alles!“

Petit fours: das sind die unverschämt leckeren Kleinigkeiten, die noch nach dem Dessert kommen. Zum Espresso, wenn man einen trinkt. Oder zum (schönstes deutsches Wort: ) Absacker, von denen es im Heiderand eine reichliche Auswahl gibt (wir unterstützten mit einer Haselnuss aus Pirna die Region!). Dass es Petit fours im Heiderand gibt, ist – zusammen mit den Küchengrüßen, die als Einstimmung und Brot auf der Karte stehen – ein Wink mit dem Zaunspfahl, wo die Reise hingehen soll: ein Michelin-Stern, das wäre doch fein! Angekommen sind Martin Walther mit seiner Frau Viviane als Serviceleiterin und ihrem Team freilich schon in der Liga, mit zwei Kochmützen im ebenfalls in der Szene anerkannten Genussguide Gault & Millau.

Amuses bouchesZur Einstimmung brachte Viviane Walther drei Kleinigkeiten, in denen aber mindestens so viel Mühe steckt wie bei den größeren Portionen später: ein schaumig geschlagenes geschmackintensives Kohlrabischaumsüppchen mit Mandeln, ein kleines Stück einer fluffigen Kürbisquiche (auf Holzlöffeln serviert) sowie ein mit Hirsch-Tatar, Sanddornbeeren, Marone und Grünkohl gefülltes Tartelette. Dazu brachte uns Martin Kavulic, der den Abend über auch durchgehend die Weine servierte und erklärte, hausgebackenes Brot in drei Varianten: ein (dünnes!) Knäckebrot mit verschiedenen Gewürzen, ein Sauerteigbrot mit Sonnenblumen- und Kürbiskernen und – heimlicher Favorit nach dem ersten Happs – eine Focaccia mit Schalotten, Thymian, Rosmarin. Und obwohl eine Foccacia von Haus aus ja schon mit reichlich Öl gesegnet ist, wurde das Stück kurz vorm Servieren in reichlich Fett in der Pfanne angeröstet. Das gefiel uns. Die Butter (aufgeschlagen, zur Kugel geformt und in Mohn gewälzt) war da nicht nötig, machte sich aber auf Knäcke und Sauerteigbrot primstens. Wie gut, dass wir uns vorab ein Gläschen Sekt bestellt hatten, so hatten wir von Anfang an eine gute Begleitung. 2021 Chardonnay Brut Nature. Den haben die Knewitz-Brüder aus Appenheim (Rheinhessen) fast so gemacht wie Champagner, also mit Flaschengärung und deutlich mehr als den für Sekt vorgeschriebenen 9 Monaten auf der Feinhefe. Aber erstens dürfen sie’s so nicht nennen und zweitens traut sich doch in der Champagne kaum jemand, den Grundwein spontan zu vergären.

Geräucherter Aal und Blumenkohl Kristinus Cuvée analogDas eigentliche Kochsternstunden-Menü kommt in fünf Gängen, man kann es reduzieren auf vier (ohne Kabeljau) oder drei Gänge (ohne Pirogge und Kabeljau) – müsste aber auf wunderbare Geschmacksmomente verzichten. Also übten wir mal wieder den Verzicht auf den Verzicht und haben es nicht bereut. Los ging’s mit einem schon optisch anmachenden Arrangement von geräuchertem Aal und Blumenkohl (hauchdünn roh und optisch etwas versteckt auch als Pürree), das in der Mitte Platz ließ für eine sehr aromatische Sojasaucen-Reduktion. Und weil ja in jedem Gang auch etwas sein sollte, das für die Säure zuständig ist, gab es zusätzlich Passionsfrucht. So weit, so sehr schön. Aber das alles war angegossen mit einem – so die Viviane – Aal-Essig. Der sei schon im vergangenen Jahr vorbereitet, erfuhren wir. Und wie auch immer man sowas austüftelt (mit Palmzucker, Limettensaft und Specköl, verriet der Koch): es krönte den Gang, ohne sich dominant in den Vordergrund zu drängeln. Der Wein dazu kam aus Ungarn vom Weingut Kristinus, das südlich vom Balaton zu Hause ist. Er setzte den Ton für alle Weine des Abends: naturbelassene Weine. Was auch immer man genau darunter versteht, das ist ja nicht scharf definiert – aber mit dem gemeinsamen Nenner so wenig Eingriffe wie nötig und dem schon wertenden Urteil manchmal anders als man es erwartet ist man bei den gleichzeitig auftretenden Vor- und Nachteilen dieser Weine: sie sind starke Charaktere und manchmal gewöhnungsbedürftig. Der 2021er analog vom Weinberg Vari dülö ist eine Cuvée von Welschriesling (80%) mit Gewürzterminer und Sauvignon Blanc (die restlichen 20%). Spontan vergoren, unfiltriert und ungeschönt abgefüllt – also nicht ganz klar im Glas. Aber natürlich ein sauberer Wein, der mit leichten Wildkräuternoten und einer angenehmen Säure zum servierten Gang passte. Das gilt übrigens auch für alle Wein-Speise-Kombinationen des Abends, wenn man sich drauf einlässt und gegebenenfalls den Gaumen etwas arbeiten lässt (wer das nicht mag: auf der Weinkarte stehen auch Weine, die so sind wie man sie erwartet oder kennt – allerdings nur als Flaschen und nicht offen).

Riesling von Christoph Barth PiroggeMartin Walthers Mutter Elzbieta kam 1985 aus dem polnischen Wrocław nach Dresden (und verliebte sich im damaligen Café Heiderand in Martins Vater Joachim). Seitdem gibt es im Heiderand auch schlesisch inspiriertes Essen. Und das passt sogar erstaunlich gut in ein fine dining Menü, wenn man es entsprechend gestaltet, wie der Chef uns erklärte, der diesen Gang an den Tisch brachte: „Die Pirogge ist ja der Klassiker bei uns, heute gefüllt mit Champignons. Dann ist das Ganze aufgebaut auf einem selbstgemachten Sauerkraut, das sorgt für die Säure im Gericht. Dann haben wir ein bisschen Brokkoli, ein Ragout vom geschmorten Kalbsbäckchen mit Rumrosinen, ein bisschen Haselnuss für die Festigkeit und eine klassische Beurre blanc als zweite Soße.“ Sagt’s, entschwindet zurück an den Herd und überlässt das Probieren natürlich uns. Was den Unterschied zu einem rustikal-sättigenden Gang macht? Zum Beispiel das Ragout, in dem die Fleischstückchen so klein sind wie die Rumrosinen (denen sie auch optisch nahe kommen – alles ist da eins). Natürlich die Feinheit des Sauerkrauts, die Farbtupfer des Brokkoli, die schaumig aufgeschlagene Beurre blanc als wichtiges aufhellendes Moment auf dem Teller (schmecken tut sie natürlich auch). Tradition in zeitgemäßer Interpretation, das gefiel uns. Der Riesling (2021 von Christoph Barth, Rheinhessen) lieferte wieder Gesprächstoff. Mit nur 11,5 % spielte er in einer angenehmen niedrigen Alkoholanteil-Klasse mit, geschmacklich war er der einen zu untypisch und dem anderen durchaus genehm.

Skrei Pinot Blanc vom SchuhZum zweiten Zwischengang sollte es Fisch geben. Der Kabeljau kam in seiner winterlichen Variante als Skrei, gedämpft und sowas von fluffig-zart! Natürlich bei Martin Walther nicht einfach nur so gegart, vorher muss da schon ein auch Geschmack gebender Prozess sein (in diesem Fall wurde er in einer Senf-Vinaigrette mariniert). Nach dem Dämpfen ist selbstredend auch nicht Schluss: oben drauf finden sich eingelegte Holunder-Kapern, Saiblings-Kaviar, Schnittlauch sowie eine eingelegte Bärlauchknospe. Für den notwendigen Biss sorgen Kohlrabi-Kügelchen, wohingegen die Sauce aus dem Saft vom fermentierten Kohlrabi entstand. Und last but not least gab es diese nett drapierten roten Segel. Das war Chicorée Treviso, eine von vielen Chicorée-Sorten. Neben der Farbe brachten die Blätter auch noch eine Bitternote in den Gang. Der Wein dazu musste sich anstrengen – denn da gab es ja viele Aromi zu umspielen. Das Restaurant hatte sich (ich denke mal: zusammen mit Jens B. Hugel vom Weinkombinat, der diese Weine alle liefert) 2022 Pinot Blanc Monopol, Klausenberg ausgesucht. Matthias Schuh bewirtschaftet mit seinem Team diesen Weinberg in Meißen alleine und holt da Beachtliches raus. Wer nur die Brot-und-Butter-Weine der Linie weißer-rosa-roter Schuh kennt, wird sich wundern.

Wachtel und Rote BeeteAchtel von der Wachtel wäre ja mein Lieblingsgang. Aber hier durfte es etwas mehr als ein Achtel sein: die Wachtelbrust im Zentrum des Tellers war gefüllt mit einer Spinatfarce, gehackte Pistazien oben drauf sorgten hier für den gewünschten Crunch. Die Keule, leicht gebeizt mit Ingwer und Honig, war gedämpft und mit Wachteljus lackiert. Dazu gab’s Rote Beete, einmal im Ganzen (aber vorher sehr lieb in Herzform gebracht), dann als cremiges Püree unter kleinen Spinatblättchen. Unser Wein dazu: ein Pinot Noir aus Mähren, aus Boretice südlich von Brünn. Ein herrlicher Pinot, natürlich mit allem drin, was man vermutet: Kirschen, Bitterschokolade, Muskat. Aber schön leicht und kein Totschläger für die kleine Wachtel (und auch der Spinat machte keine Zicken!).

DessertErfreut stellten wir fest, dass wir zwar bislang nahezu immer irgendwas gemumpelt oder getrunken hatten – aber keinerlei Völlegefühl da war. Also alles richtig gemacht bei der Bemessung der Portionsgrößen – denn nun sollte das doppelt-süße Dessert kommen. Im Glas 2022 Piesporter Treppchen, Riesling Auslese, Goldkapsel von Günther Steinmetz. Frag nicht nach Sonnenschein (viel im Jahr 2022) oder Restzucker in dieser Auslese (105 g/l) – denn das Schöne ist: das ist kein billig-klebriger Süßwein, sondern ein herrlicher fruchtsüßer Moselwein. Mit nur 7% Alc. hart an der Grenze zum Traubensaft, aber viel viel (also echt vielviel) leckerer! Dazu das Dessert mit Limonenblatt (als Schmand verarbeitet und mit knusprigem Sesamcracker getoppt. Darunter eine Mousse aus weißer Schokolade und Tahina (also auch Sesam, nur in anderer Konsistenz 😉 ). Ringsherum Kiwi, Zitronenbaiser, weißes Schokoladen-Crumble und ein Limonen-Sud. Sagen wir mal so: das hätte ich (mit zweitem Glas von der Auslese) glatt noch mal essen können.

Petit foursDas haben wir natürlich nicht getan, aber nach dem Ende ist wie vor dem Anfang: da geht noch was. Auf der Holzetagere erreichte uns das klassische Gebäck aus Bordeaux: Canelé. Die sind drinnen cremig, weich und zart – und außen knusprig, weil stark karamellisiert.  Profiteroles, die karamellisierten Windbeutel, sind mit einer Mandelcreme gefüllt, und ein Fruchtgelee von der Brombeere mit einer kleinen Möhrencreme. Alles selber gemacht, natürlich. Auch ohne dedizierte Pattisserie: es macht halt jeder ein bisschen was. Den Windbeutel-Teig macht die Mama, die Fruchtgelees der Chef, der Azubi den Teig für die Canelés. Und die Mama, die bäckt alles.

Menü

  • Amuse bouche
  • Hausgebackenes Brot und Aufstrich
  • Geräucherter Aal | Blumenkohl | Soja | Passionsfrucht
  • Pirogge | Kalbsbäckchen | Champignon | Brokkoli
  • Kabeljau | Holunderblüte | Kohlrabi | Senf
  • Wachtel | Spinat | Pistazie | Rote Bete
  • Limonenblatt | Sesam | Kiwi | Weiße Schokolade
  • Petit fours

Getränkebegleitung

  • Kristinus – 2021 Analóg – Ungarn | Balaton
  • Christopher Barth – 2021 Riesling – Rheinhessen
  • Weingut Schuh – 2022 Klausenberg Monopol Pinot Blanc – Sachsen
  • Jaroslav Springer – 2021 Pinot Noir – Tschechien | Südmähren
  • Günther Steinmetz – 2018 Dhroner Großer Hengelberg Riesling Auslese Monopol Goldkapsel – Mosel

Preis

  • 3-Gang Menü (ohne Pirogge u. Kabeljau) 80,00 € | inkl. Weinbegleitung 110,00 €
  • 4-Gang Menü (ohne Kabeljau) 100,00 € | inkl. Weinbegleitung 138,00 €
  • 5-Gang Menü 115,00 € | inkl. Weinbegleitung 164,00 €

Heiderand Restaurant
Ullersdorfer Platz 4
01328 Dresden

Tel. +49 351 268 31 66
www.heiderand.restaurant

[Besucht am 6. März 2025 | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]

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