Kuscheln, lachen und toben in den Zelten und Buden

20. Schaubudensommer in der und um die Scheune herum

Schaubudensommer 2017

Über den Schaubudensommer in der und rund um die Scheune in der Dresdner Neustadt zu schreiben, hat ja immer etwas Gemeines: die meisten Künstler sind nur für drei Tage da und somit gerne schon mal weg, wenn der Bericht erscheint. Aber viele Künstler*innen kommen ja wieder, so dass der Griff ins Archiv eine Orientierung geben kann.

Der diesjährige Schaubudensommer kommt mit wenig Platz aus. Die Umstände, sie sind halt so. Da kuschelt es sich bei gutem Wetter natürlich in den üblichen Schlangen des Schaubudensommers besonders gut: vor dem Einlass (Eintritt ins Gelände 3 €), vor der Kasse zu den Vorstellungen (Einzelticket 5 €, empfehlenswertes Dreierpack 12 €), vorm Essen und Trinken und natürlich vorm Örtchen (Damen eindeutig benachteiligt), vor den Zelten. Frühes Anstellen sichert hier einen guten Platz, spätes Anstellen mit Glück einen beengten – aber das nette Personal ist meist erfolgreich beim Arrangieren. Und weil das Wort nett ja heutzutage oft als kleiner Bruder oder kleine Schwester von irgendwas Doofem bezeichnet wird, hier der Hinweis: es ist im wirklichen Wortsinn gemeint! Die Jungs und Mädels am Einlass sind nämlich unbeschreiblich gut drauf, und das schon immer und hoffentlich auch immer wieder.

The BombasticsDie immer wieder drängende Frage, welches der Angebote denn nun passend sei, beantworten die Tafel am Eingang, das Programmheft und der künstlerische Leiter Helmut Raeder, der im Smoking den Herrn Direktor gibt und allen Alles empfiehlt. Aber wenn alle gut sind, hilft das ja nicht bei der Entscheidung. Da sind Freunde und Bekannte willkommen, die schon mal das eine oder andere Angebot gesehen haben. Wir mussten beim ersten Besuch also unbedingt zuerst zu The Bombastics. Wir wussten noch nicht so recht, was auf uns zukommen wird, als wir in der Schlange standen und im Programmheft blätterten. „Drei Musiker, Entertainer und Komiker präsentieren professionellen Funbeat!“ lasen wir. Es sei „unüberhörbar, aber nicht laut. Lustig, tiefsinnig, leichtfüßig, augenzwinkernd, immer stilvoll und im improvisiertem Takt“ – und während wir noch darüber nachdachten, wie das wohl in Wirklichkeit sein würde, wenn sich die Worte aus dem Heft verabschieden, in Thomas Münzer, Jürgen Demant und Doris Friedmann verwandeln und auf der Bühne stehen, kommen die drei Künstler vors Zelt und posen. Für die Menge in der Schlange und ganz besonders für diejenigen, die eine Kamera auf sie richten…

Aber was für Musik werden sie nun machen? Huch: Tom Waits! Ein bissl verschnitten, aber immerhin. Dann Doppelhuch: das klingt ja wie italienische Folklore. Und dann lassen die Huchs und Doppelhuchs gar nicht nach, denn es wird immer bunter, immer wirrer, immer lustiger. Doris Friedmann, die sie auf ihrer Webseite immer nur Dörych nennen, holt Leute aus dem Publikum – und sie tanzen tatsächlich. Jürgen Demant, Clown ohne Schirm, aber mit Kontrabass und Melone lässt es erstaunlich rocken und krachen – und hach: Zugaben gibt’s auch, weil wegen eines kräftigen Regenschauers eh kein Mensch raus will. Aber pünktlich nach den Zugaben stellte der Regen seine nervende Tätigkeit ein.

Schaubudensommer17Zeit a) für die nächste Veranstaltung, b) zur Toilette zu gehen, c) was zu essen und zu trinken. Was soll’s: b-c-b-a. Über Thema b) gehen wir mal hinweg – wat mut dat mut. c) haben wir aus Bequemlichkeitsgründen in der Scheune gemacht: warm, trocken, Sitzplätze (und location b im Auge, um einen günstigen Moment abzupassen). Wir haben seit Jahren unseren Lieblingswein (Colombelle – leicht, fruchtig, trinkbar) und lassen uns alle Jahre wieder vom jeweiligen Zustand von Küche und Service überraschen. Fazit in diesem Jahr: schmeckt und wird von erfreulich freundlichem Personal gebracht. Schnell ging’s auch, aber es war nicht wirklich voll. Da es bis zur nächsten Wunschvorstellung noch ein wenig Zeit ist und wir noch gar nicht wissen, was die nächste Wunschvorstellung sein soll, bummeln wir übers Gelände. Irgendwen trifft man ja immer, der was empfiehlt … oder man findet selbst was. Auf jeden Fall die Musiker auf dem Festivalplatz– mit Krambambuli am einen und Frank Deutscher (Bandoneon) am anderen Tag trafen wir auf Schaubuden-Urgestein. Und auch ein Blick nach oben auf die Himmelsdeko lohnt sich besonders in der Blauen Stunde, zwischen Tag und Traum. In diesem Jahr hat KETE – der Schaubudensommer feiert schließlich sein 20. Geburtstag – Erinnerungen an vergangene Budensommer in die Luft gezaubert. Wir beobachten Metamorphosen wie Unterhemden zu Lampen, Regenschirme gegen den Regen und auch zu Lampen, sportliche Drahtseilgespenster zu Pantomimen.

MitsingzentraleDie Wahl fiel erstaunlicherweise auf die Mitsingzentrale. Ich hätte schwören können, dass jegliche Form von Karaoke mir Pickel an den Hals zaubert – aber das betreute Singen von und mit Demian Kappenstein und Reentko Dirks wurde uns mehrfach empfohlen, wenn auch mit Vorwarnung („bin ganz heiser!“). Am (künstlichen, der Brandschutz kann ruhig bleiben) Lagerfeuer ließen sich die beiden Musiker Musiktitel zurufen – den Text zauberte Demian flugs aus diesem Internet herbei, die Melodien hatten alle im Kopf – Reemntko zusätzlich auch die passenden Akkorde. Ein Riesengaudi, das von „Time of my Life“ über „Take on Me“ oder „Because the Night“ (arme Patty Smith!) zum gemischten Medley der Ärzte auf „Westerland“ und Grönemeyers „Flugzeuge im Bauch“ reichte. Was ein gemischtes Medley ist? Ganz einfach: mal der eine, mal der andere Song. Aber auch: Melodie vom einen zum Text vom andren. Man glaubt ja gar nicht, was so alles geht, wenn man gut drauf ist. (Von September bis Dezember, haben wir bei den Recherchen zum Artikel entdeckt, gibt es einmal im Monat eine Mitsingzentrale in der Scheune. Highly recommended!)

GaggalaariGleiche Bude, drei Tage später: das Kontrastprogramm zur Mitsingzentrale in der Lala Scala-Bude. Gaggalaari aus der Schweiz, genauer von der Hochschule der Künste Bern. Gaggalaari ist, entnehmen wir dem Aargauer-Hochdeutsch Wörterbuch, ein unsympthatischer Wichtigtuer. Wir waren also gewarnt vor dem „Konzert ohne Musik nach Waits, Reiser, Sinatra, Joplin, Turner, Smith, Dylan, Queen, Beatles, Cornell, Nirvana, SoKo, Manson, Doors, Adele und Bowie in deutscher Sprache“. Der Andrang Gleichgesinnter war indes groß, es wurde mal wieder kuschelig. Ein Konzert ohne Musik – kann man da mitsingen? Nun ja, sagen wir mal so: im Prinzip ja. Denn wenn Giulia Goldammer, Lukas Benjamin Lippeck und Philip Neuberger die Texte vortragen, deklamieren, aus sich herausschreien – dann kann man ja erstens versuchen, die deutschen Sätze ins Englische zu transferieren und zweitens dazu die passende Musik zu finden. Und dann kann man, wenigstens still und heimlich vor sich hin, mitsummen. Theoretisch gab es sogar eine Hilfestellung, eine als Setlist verteilte Postkarte. Aber die hatten Künstler gemacht: kleine weiße Schrift auf hellem Blau. Kann kein Mensch im dunklen Zelt lesen! Aber man kann sich ja auch mal bedingungslos dem Genuss hingeben, der das bei aller Skurilität dann doch war. Ganz fetter Applaus am Schuss, berechtigt.

MagieTelepathie oder Illusion, das war die Frage im großen blauen Zelt. Roman Maria von Thurau und sein Medium Vivian Sommer waren gekommen, sie nicht zu beantworten, sondern die Zuschauer aufs Charmanteste zu verwirren. Die zwei Künstler des Trancetheaters sind ja selbst ein Rätsel. Der Mann mit dem adligen Namen, als Olaf K. in Flensburger aufgewachsen, ist der Plauderer an diesem Abend. Er lenkt ab, spielt mit Rubik’s Cube rum und vermasselt’s auch schon mal (Absicht? Jede Wette!). Vivian, mit irgendwie sexy-verruchter Stimme, gibt die Gedankenleserin. „Angeleitet und geführt von Zézé, meinem Kindermädchen in Brasilien, entwickelte ich die Fähigkeit, zu wissen, was mit den Menschen los ist, bevor sie es selber wussten“ steht in der Pressemitteilung der Sonambulen. Wenn man gar nicht wissen will, wie das geht, macht’s übrigens richtig Spaß: Das Medium errät mit verbundenen Augen Gegenstände, die ihr Meister sich vom Publikum zeigen lässt. Es kennt die Namen von Prominenten, die zwei Damen aus dem Publikum auf Zettel schreiben. Es nennt jemanden aus dem Publikum, der einen Umschlag mit einer Zahl hält, Fury und lässt ihn später diese Zahl als Nummer im Berliner Telefonbuch finden. Telepathie oder Illusion? „Allein die Frage ist viel zu schön, um sie sich durch eine einfache Antwort zu versauen!“ meinte der Meister. Und wir hatten nach der Show beim Absackerwein wenigstens was zu diskutieren.

Schaubudensommer

Das Internationale Sommerfestival für Theater, Vergnügen und Musik
06.07. – 16.07.2017, ab 18 Uhr rund um die Scheune (Alaunstraße 36, 01099 Dresden)

Eintritt Festgelände 3 €, Karten für Vorstellungen 5 € (im Dreierpack 12 €)

www.schaubudensommer.de

Besucht am 10. und 13. Juli 2017

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