Für achtstimmigen Männerchor
 von Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
Wenn die Igel in der Abendstunde
 still nach ihren Mäusen gehn,
 hing auch ich verzückt an deinem Munde,
 und es war um mich geschehn –
 Anna Luise – !
Dein Papa ist kühn und Geometer,
 er hat zwei Kanarienvögelein;
 auf den Sonnabend aber geht er
 gern zum Pilsner in’n Gesangverein –
 Anna-Lusie – !
Sagt‘ ich: „Wirst die meine du in Bälde?“,
 blicktest Du voll süßer Träumerei
 auf das grüne Vandervelde,
 und du dachtest dir dein Teil dabei,
 Anna-Luise – !
Und du gabst dich mir im Unterholze
 einmal hin und einmal her,
 und du fragtest mich mit deutschem Stolze,
 ob ich auch im Krieg gewesen wär…
 Anna-Luise – !
Ach, ich habe dich ja so belogen!
 Hab gesagt, mir wär ein Kreuz von Eisen wert,
 als Gefreiter wär ich ausgezogen,
 und als Hauptmann wär ich heimgekehrt –
 Anna-Luise – !
Als wir standen bei der Eberesche,
 wo der Kronprinz einst gepflanzet hat,
 raschelte ganz leise deine Wäsche,
 und du strichst dir deine Röcke glatt,
 Anna-Luise – !
Möchtest nie wo andershin du strichen!
 Siehst du dort die ersten Sterne gehn?
 Habe Dank für alle unvergesserlichen
 Stunden und auf Wiedersehn!
 Anna-Luise – !
Denn der schönste Platz, der hier auf Erden mein,
 das ist Heidelberg in Wien am Rhein,
 Seemannslos.
 Keine, die wie du die Flöte bliese…!
 Lebe wohl! Leb wohl.
 Anna-Luise – !
Theobald Tiger in: Die Weltbühne, 04.09.1928, Nr. 36, S. 376
Es liest Bernhard Scheller, gefunden beim grandiosen Vorleser.
Es singt: Reinhard Mey…
 
 
 
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