Am Abend des 1. Juni 2013 war die Welt fast noch in Ordnung. Im Restaurant Sendig, das damals unter seinem Chef André Tienelt mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet war, trafen sich zum vierten Mal bei einer Küchenparty Sterneköche (sieben waren es damals), um bei der 4. Genuss-Fusion die Gäste in den Katakomben des Hauses zu unterhalten und kulinarisch zu verwöhnen. Es war eine grandiose Nacht – und außen stieg die Elbe. Wenn’s nicht so dramatisch geworden wäre (was so keiner ahnte und erst recht keiner wollte), hätte es ein titanischer Abend werden können. Aber die Elbe stieg auch an den Tagen danach – und Bad Schandau soff schon wieder ab, das Hotel inklusive. Schadenssumme: über zehn Millionen Euro. Erst 2016 wurde es wieder eröffnet – und hat einen neuen Besitzer. So firmiert es nicht zufällig nun als „Hotel Elbresidenz an der Therme Bad Schandau“.
Das alles (und noch ein wenig mehr, kommt gleich) muss man sich in Erinnerung rufen, wenn es nun wieder ein spezielles kulinarisches Event gab: „Alte Liebe rostet nicht“ war der Titel, aus gutem Grund. Denn an diesem Abend kochte André Tienelt, der seit September 2014 Küchenchef im Ritter Durbach ist – wieder mit Stern. Gefolgt war ihm sein damaliger Patissier Daniel Hegenbart – und im badischen Durbach trafen sie auf Ronny Weber, einen locker-genialen Sommelier. Der kommt aus Meißen – die moderne Variante des Sachsen-Dreier, sozusagen. (Wir waren mal mit Ronny Weber unterwegs, da gibt’s Berichte aus Movia.) Die drei Gourmet-Ritter sind mittlerweile gut verteilt in der Republik: Tienelt noch in Durbach, Weber in Düsseldorf – und Daniel Hegenbart ist zurück in Bad Schandau: er leitet dort als Küchenchef die Brigade des Restaurants. Es ist das Restaurant zur Elbe hin – das Gourmetrestaurant Sendig gibt es nicht mehr…
Nun sollte es also für einen Abend wieder die ganz große Küche sein: ein 6-Gang Menü mit Weinbegleitung zum Preis von 160,00 €, mit André Tienelt und Daniel Hegenbart nebst Team in der Küche und Ronny Weber als Moderator für die Weine. Die waren allesamt deutscher Herkunft, was ja nicht per se schlecht sein muss. Aber leider waren es nicht durchweg die besten Weine der jeweiligen Winzer, wenn auch – dafür sind dann auch die Einfacheren von Philipp Kuhn, Jean Stodden, Klaus Zimmerling, Jürgen Ellwanger & Co immer noch gut genug! – natürlich gut trinkbare Essensbegleiter. Wir nennen es: Jammern auf hohem Niveau.
Los ging’s mit einem Empfang, zu dem es (pünktlich zu Empfangsbeginn, keine Minute zu früh…) aus Wackerbarth die Cosel gab – korrekt: Gräfin Cosel Rosé Sekt trocken, ein fruchtiger Sekt aus Dornfelder und Spätburgunder. Damit kann man eigentlich nichts falsch machen, und wenn schon Sekt aus Sachsen bei so einer Veranstaltung, dann sicher einen aus Wackerbarth (wobei mir natürlich auch noch andere einfielen, auch aus Sachsen – aber das ist natürlich Geschmacksache…). Dazu reichten die Servicekräfte des Abends – neben einem Kern von RestaurantmitarbeiterInnen auch Partner im Service von der Hotelakademie Teplice und offensichtlich auch ad-hoc-Partner aus dem Verwaltungsbereich – dreierlei Fingerfood.
Und dann ging’s auch schon ab zum Essen. Christian Lohmann, General Manager der Toskanaworld-Gruppe, übernahm die Begrüßung inklusive Vorstellung der „Drei von der Tankstelle“, die es in die Welt und dann an diesem Abend nach Bad Schandau verschlagen hatte. Natürlich ging er auch auf die Frage ein, was denn sei, wenn die Elbe wieder kommt? „Die Küche ist mobil!“ sagte er. Wenn das Wasser steigt (was er sich nicht wünsche…), käme sie unters Dach. Aber hier und jetzt wolle man sich der Verantwortung in der Region stellen. Es sei wichtig, dass die Region genießen könne!
Das Motto des Abends – „Alte Liebe rostet nicht“ – war natürlich nicht wirklich eine Liebeserklärung, aber doch ein Zeichen großer Kollegialität und Freundschaft, was in Küchen und vor allem zwischen Küche und Service ja nicht immer selbstverständlich ist – es gibt aufregende Bücher zu dem Thema. Die beiden Köche kündigten an, die jeweiligen Gerichte abwechselnd vorzustellen und zuzubereiten – vom Ergebnis schien da aber kein Blatt zwischen zu passen – ich denke mal, dass alles sehr gemeinsam unter der Führung des Sternekochs zubereitet wurde (was nun alles andere als schlimm ist!)…
Als Amuse-Bouche schickte die Küche King Fish-Tatar – Ginger Beer | Aloe Vera | Japanische Essenz. Das war gleich zu Beginn eine Geschmacksexplosion aller Rezeptoren, mit einer gehörigen Portion umami. Das ist nicht nur japanisch („einfach köstlich“) und neben süß, sauer, salzig, bitter die fünfte Geschmacksempfindung, sondern auch oft verrufen, weil mit ein wenig Glutamat oberflächlich auch hinzukriegen. Hier aber war’s das Ergebnis der verwendeten Produkte – und das ist dann eben geschmacksbombig. Da hilft nur: ganz kleine Portionen in den Mund und Zunge wie Gaumen genießen lassen. Dazu gab es einen Gutswein vom Thüringer Weingut Bad Sulza, den 2016er terra „M“ Kerner. Qualitätswein trocken vom Auerstedter Weinberg. Das 1992 gegründete Weingut ist mit 50 Hektar Rebfläche das größte private Weingut im Anbaugebiet Saale-Unstrut und uns immer wieder mal mit sehr den Trinkfluss fördernden Weinen aufgefallen – so auch der fruchtige Kerner, der im kleinen Edelstahlfass bei 16 Grad kalt vergoren wurde. Ronny Weber bekam bei der Vorstellung des Weines Unterstützung: Der langjährige Geschäftsführer Andreas Clauß, der das Weingut seit Mitte der 90er Jahre maßgeblich geprägt hat, war unter den Gästen.
Die Frage ist ja immer: Wenn das Amuse schon so stark ist, wie wird denn dann wohl das Menü? Löst es das Versprechen ein, fällt es ab, steigert es den Wow-Effekt noch? Wir ließen uns überraschen mit dem ersten Gang, der die Vorliebe von André Tienelt für produktorientiertes Kochen zeigt. Das Produkt hier eher profan: Gegrillter Knollensellerie – hausgemachter Frischkäse | braune Butter | Zitronenthymian. Die Zubereitung geriet dann schon deutlich weniger profan, denn der Sellerie war im Salzteig gegart, in Olivenöl gebraten, in Holunderblütenfond geschmort, er kam in verschiedenen Texturen auf den Teller (mit Biss und als Püree). Und ein gehöriger Farbklecks sorgte dafür, dass die Knolle auch optisch keine olle war! Zum Wein griff Ronny Weber das Wort profan auf: Beim 2016er Sauvignon blanc Qualitätswein trocken vom Weingut J. Ellwanger, Württemberg merkte er nämlich lakonisch an: „Brauchen wir Sauvignon Blanc in Deutschland? Oft nicht – aber den schon. Der ist nicht profan!“ Ein Wein, bei dem man doch gleich Durscht aufs nächste Glas bekommt…
Und dann ging ein Saibling baden: zum Saibling aus Langburkersdorf – Süßkartoffel | Raz el Hanout | Maracuja gab es eine Scheurebe aus Baden, 2016er „Chara“ Scheurebe Qualitätswein trocken vom Weingut Alexander Laible, Baden. Eine Scheurebe aus dem badischen Durbach zum Langburkersdorfer Saibling aus Sachsen, das ging doch prima und zeigt, wie Essen und Trinken die Regionen verbinden können! Gleich danach nochmal Fisch: Steinköhler Miso gebeizt – Tom Ka Gai | Granny Smith. „Das Fleisch des Pollacks ist wohlschmeckend, aber trocken“ lese ich in der Wikipedia, die hier irrt: trocken gilt nur, wenn man’s nicht kann. Für Tienelt hat der Steinköhler, der meist nicht gezielt gefischt wird, sondern als Beifang mit ins Netz geht, einen „prägnanten Eigengeschmack“, den er auch rausgekitzelt hat, indem er den Fisch gebeizt und dann kurz „mit dem Bunsenbrenner geküsst“ hat. Im Thai-Süppchen Tom Ka Gai fühlte sich der Fisch geschmacklich bestens aufgehoben. Wenn wir uns dazu einen Wein hätten wünschen dürfen, wäre es vielleicht ein Kerner von Klaus Zimmerling geworden – und voilà, Wunsch erfüllt: es gab 2015er Kerner „R“ Sächsischer Landwein trocken vom Weingut Klaus Zimmerling‚ Sachsen. Im Weingut ist dieser Jahrgang leider nicht mehr zu haben – obwohl Zimmerling die Zahl der Flaschen ja meist dadurch streckt, dass es seine Weine nur in 0,5-Liter-Gebinden gibt. Wobei Ronny Weber dieser Flaschengröße auch was Positives abgewinnen konnte: das sei ja gerade die richtige Tagesration… Zimmerlings Kerner ist eigentlich meistens ein Tipp, der hier war ein prima Souffleur zum Gericht, mit einem Hauch Earl Grey und subtiler Säure…
Der Abend fand am 11. November statt, traditionell ein schlechter Tag für Gänse. Es gab Martinsgans-Variation – Keule sojagewürzt | zarte Brust | Lebercreme, was der Martinsgans deutlich eine neue Geschmacksdimension gab. Nichts für Traditionalisten, weil die Geschmäcker der Kindheit fehlten. Aber den Versuch war’s wert, vor allem die sojagewürzte Keule (umami, Baby!) hatte was! Dafür gab es ganz traditionell dazu einen Rotwein – nicht irgendeinen, sondern einen 2014er Spätburgunder „J“ Qualitätswein trocken vom Weingut Jean Stodden, Ahr. Alexander Stodden gehört zu den Top-Rotweinmachern an der Ahr, sein Einstiegsrotwein deutet die Vielfalt der Rotweine von der Ahr schön an.
Rot ging’s auch weiter, mit einer Rarität. Nein, nicht aus Sachsen, wo ja der komplette Wein als Rarität vermarktet wird, sondern aus der Pfalz. Philipp Kuhn macht dort in Laumersheim einen Cabernet Franc mit Bums und Süße, den man so selten findet. In Deutschland sowieso nicht, da gibt’s nur schlappe 16 ha mit Cabernet franc. Der 2013er „Laumersheimer Reserve“ Cabernet Franc trocken vom Weingut Philipp Kuhn, Pfalz ist das, was man flapsig einen Hammerwein nennen könnte, mit Wacholder und Schwarzer Kirsche und feinen Tanninen. Zum Wein gab’s auch was zu essen: 3x US Nebraska Prime Beef – Dim Sum | Topinambur | Gemüsesalz. Nacheinander serviert erinnerte dieses Dreierlei mit den unterschiedlichen Geschmacksherausforderungen uns wieder ans den Beginn des Abends mit dem Amuse: langsam essen und sich dem Genuss hingeben! Aufs Rindertatar mit Beef Tea folgte Dim Sum mit Zunge vom Rind und dann so etwas wie ein klassischer Fleischgang: Roastbeef mit Pastinake und gegrillter Kerbelwurzel. Kerbelwurzel? Noch nie gegessen, aber sehr lohnenswert!
Der Abschluss war ein echter Hegenbart-Gang, eigentlich ein eigenes Untermenü in drei Abteilungen, denn vor dem Dessert Getrocknete Früchte Texturen – Sauerrahm | Malz | Brauner Rum gab’s ein Vordessert und danach zum Kaffee einige Petit fours (konnten auch ohne Kaffee genascht werden). Alles optisch aus der Abteilung Augenschmaus und gustatorisch eindeutig aus der Wissensschublade, dass ein gutes Dessert immer seinen Platz im Magen des Gastes findet. Wo einem also so viel Gutes widerfährt, ist das schon einen besonderen Wein wert. Aus spektakulärer Steillage ein Riesling, der gemäß aktueller Weingesetzgebung von der Mosel stammt – was so natürlich ein wenig irreführend ist, denn aus gutem Grund hieß das Anbaugebiet ja früher Mosel-Saar-Ruwer, die Lage Saarburger Rausch deutet ja deutlich auf die Saar hin. „Aus den Tiefen des Rausches zieht der Riesling seine charakteristische Mineralität und seine unvergleichliche Eleganz“, steht auf der Webseite des Winzers – ein schöner Satz, den man sich gemeinsam mit einem wänzigen Schlock des 1999er „Saarburger Rausch“ Riesling Spätlese vom Forstmeister Geltz-Zilliken, Mosel auf der Zunge zergehen lassen sollte. Nur 7,5 % Alkohol, also fast schon ein Traubensaft – aber ein sehr komplexer mit ungeheuer dynamischer Säure.
Wo wir dann schon bei Zugaben waren – im Weinbereich gab’s auch noch eine. Andreas Clauß hatte da was mitgebracht, eine 2015 Kerner Auslese, ein Premiumwein des Thüringer Weingut Bad Sulza. 15 % Alkohol und seine Pflaumen-Noten hatten es in sich – fast ein Likörchen…
Hotel Elbresidenz an der Therme Bad Schandau
Markt 1-11
01814 Bad Schandau
Tel. +49 35022 919 0
www.elbresidenz-bad-schandau.net
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