Lauter heißer Shice zwischen boh und bäh

Der ultimative Glühweintest 2017

Glühweintest 2017

Nun gut: er klebt. Er ist erst zu heiß und dann zu kalt. Er hätte mit etwas Glück ein richtiger Wein werden können! Aber: er wurde Glühwein. Denn – so rein soziopsychologisch gesprochen – nichts verbindet mehr im Winter, wo sich die Nachbarn und Arbeitskollegen ja nicht mehr beim Grillen treffen können, als ein gemeinsam getrunkener Glühwein auf einem der zahlreichen Weihnachtsmärkte! So gesehen könnte man das aromatisierte weinhaltige Getränk so hinnehmen wie es ist und in Erinnerung an den Sommer sagen: Solange wir Spaß dabei haben, ist es doch Wurscht, was wir trinken!

Einspruch, Euer Ehren! Spaß: ja, unbedingt. Aber Wurscht sollte einem nicht sein, was man da in sich hinein schüttet. Es geht schließlich um den Kopf am Morgen danach! Also haben wir wie im vergangenen Jahr den verrücktesten Abend in der Dresdner Weinzentrale genutzt, um uns in der geschützten Atmosphäre erfahrener Weinausschenker dreizehn Glühweine zu probieren. Hintereinanderweg, aber nicht in Tassengröße, sondern als Probierhäppchen. Wir probierten zu zwokommafünft (zwei von Anfang an, Nummer drei kam später dazu) alle angebotenen Glühweine, die von Chefverglüher und -warmmacher Jens P. individuell auf Temperatur gebracht und ausgeschenkt wurden. Neu in diesem Jahr und ein großer Fortschritt in der professionellen Glühweinverkostungsszene: es gab Gläser statt Pappbecher! Danke dafür.

Wir testeten die Glühweine wie gehabt erstens so subjektiv wie möglich, zweitens nach individuellem Geruchs- und Geschmacksempfinden und drittens zügig, aber ohne zu hetzen. Nachweislich der in den Fotos gespeicherten Daten probierten wir von 20:07 bis 22:52, verköstigten also in etwa alle dreizehn Minuten einen der dreizehn Weine. Das kann man so machen. Die Reihenfolge gab Jens Pietzonka vor – sie entsprach mit wenigen (ich glaube: zwei) Ausnahmen der Reihenfolge, in der die Flaschen an der Theke standen. Also die Glühweinflaschen. Die grobe Reihenfolge (nicht verwunderlich): weiß – rosa – rot im Verhältnis 7 : 1 : 5.

Spannend, dass so viele Weiße dabei waren – früher (wer erinnert sich noch?) war Glühwein schließlich immer rot. Unsere Glückshormone bewegten sich beim Probieren zwischen boh! und bäh!, wobei das Stimmungsbarometer deutlich mehr im positiven Bereich ausschlug. Unser Einstieg setzte so unerwartet wie erfreulich die Messlatte hoch und war für uns eine gehörige Überraschung: Silvio Nitzsche hatte im vergangenen Jahr mit seinem ɡlyːˌvaɪ̯n uns Stirnrunzeln der Verzweiflung ins Gesicht gezaubert – in diesem Jahr lösten sich eventuell verbliebene Runzelfalten auf und formten sich um in Strahlemannfältchen. Der weiße Genussmensch (ist diese Formulierung politisch noch korrekt? Nu kloar, denn es geht um Glühwein, nicht vergessen!) roch schön fruchtig – und beim ersten Schluck meinten wir so: „Kann man trinken!“ – „Aber ist das Wein im Glüh?“ Aber sicher doch: Sauvignon Blanc. Wenn man genau reinhört in den Glühwein, schmeckt man ihn auch heraus. Laut Etikett gesellen sich zum SB noch Limonen und natürliche Gewürze. Mit 9,5 Vol. %, angenehmer Säure und wenig Süßeknatsch hat dieser weiße Glühwein das Zeug zum Testsieger – und das gleich am Anfang (0,5-l-Flasche ca. 5 €)!

Starke Konkurrenz folgte sofort: Wackerbarths Weiß & Heiß (Flaschenpreis ab Weingut 8,90 €) präsentierte sich spekulatiussig in der Nase und schmeckte – mit Verlaub: – süffig. Apfelkompott und Birne plus Zimt – ein perfektes Dessert, und das zum Trinken. Allerdings: viel süßer darf’s nicht sein! Welche Rebsorten in dem Wintergetränk aus 49 % sächsischem Weißwein, 40 % Traubensaft, Orangenlikör, Rum, Honig und einer Würzmischung mit u.a. Safran, Kardamom und Ingwer tatsächlich drin sind, steht leider weder auf dem Etikett noch auf der Webseite. Ganz anders bei unserem langjährigen Lieblingsweißglühwein von Stefan Hermanns bean&beluga (Flaschenpreis 9,50 €). Der wird seit Jahren mit Weinen von der Nahe gemacht: Konrad Closheim aus Langenlonsheim an der Nahe liefert Scheurebe, Bacchus und Müller Thurgau für den weißen (und Dornfelder für den roten) Glühwein. Neben 83 % Weißwein sind 10 % Gewürzsud in dem WinzerGewürzWein des Sternekochs – und dieser Sud wird (auch seit eh und je) in der Kelterei Walther in Arnsdorf zubereitet. Unsere zweite Überraschung an diesem Abend: der Weiße von b&b riecht eher neutral (obwohl viel drin ist an Gewürzen!) und schmeckt uns recht spröde. In diesem Jahr definitiv nicht unser Liebling (obwohl wir ihn sicher auf dem Striezelmarkt nochmal unter Kältebedingungen probieren werden!).

Frédéric Fourré hat in diesem Jahr keinen Müller im Angebot seiner Weißweine – der ist komplett im Glühwein gelandet, der „Heisser Engel“ heißt und prinzipiell wegen des nicht korrekten Doppel-s mit einer Rechtschreibwarnung ausgeliefert werden sollte (Flaschenpreis 11,90 €). Zusätzlich zum Müller sind im heißen Engel Zucker und 13 sehr geheim gehaltene Gewürze. Der Engel ist furztrocken und zurückhaltend, was die 13 Gewürze anbelangt: man schmeckt sie auch als Gesamterlebnis wenig raus – ein sehr zurückhaltender weißer Glühwein in diesem Jahr, obwohl er doch immer nach dem gleichen alten Familienrezept hergestellt wird. Aber der Grundwein ist natürlich jedes Jahr anders. Wir werden den Winzer bei einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt in Altkö mal fragen, wie er das sieht. Und ihn nach dem Ursprung des Familienrezepts fragen!

Heiß!Ohne altes Familienrezept kommt auch der Winzer Keth nicht aus. Der Glühweinkönig des Striezelmarkts hat eine nicht so trubelige (aber dennoch gut besuchte) Dependance am Wasaplatz, hier wie da gibt es die selbst gemachten Glühweine „nach einem alten Familienrezept“ des rheinhessischen Winzers mit gutseigenem Müller-Thurgau bzw. Dornfelder (Flaschenpreis Literflasche 4,50 €). Der weiße Glühwein ist eher geruchsneutral –aber eh, er schmeckt! Schmeckt weinig mit angenehmer Säure. Der Glühwein ist nicht umsonst everybodys darling

Als Heiß in Weiß und mit dem schönsten Etikett des Abends kommt der weiße Glühwein von Karl Friedrich Aust zu uns (Flasche 8,90 €). Wir erfreuen uns am Geruch nach Kardamom und an der schön eingebundenen Säure, diskutieren den Süßegehalt (vielleicht ein My zu süß?) und ärgern uns, immer nur so wenig zum Probieren zu bekommen. Aber wir wollten es ja so! Nun gut… – doch was ist das? Kommt da eine Vanillebarke an uns vorbei? Nein, es ist der Glühwein des Aust-Nachbarn Hoflößnitz. Riecht, positiv beschrieben, wie Crème brûlée und schmeckt wie Vanillesauce. In der Kategorie Glühwein für Vanillefetischisten eindeutig die Nummer eins! Ob dieser Glühwein Kopf macht, können wir nicht sagen – wir haben ihn in den bereit stehenden Restweinbehälter entsorgt. Was uns aber immer wieder Kopf macht: Dass ausgerechnet in der Hoflössnitz, dem Herzen sächsischen Weinbaus, zwar Wein aus ökologischem Anbau verwandt wird, aber diese Anbauflächen keineswegs alle in Sachsen zu finden sind. Beim Glühwein verrät das Etikett: es ist deutscher Glühwein, lediglich hergestellt in Sachsen. Ob das die Touris wissen, die den Glühwein kaufen? Und die Sachsen?

Farbwechsel: weiß zu rosé. Da gibt es nur einen, und das ist „Der heiße Schuh für kalte Tage“ – in Ergänzung der erfolgreichen Linie mit weißem, roten, rosa Schuh (Flaschenpreis 9,90 €). Matthias Schuh macht in dieser Linie Weine mit Trinkfluss – vor allem seinen Rosé fanden wir im vergangenen Jahr sensationell. Aber der heiße Schuh bremste sich schon in der Nase aus: Kaugummi, die runden, mit denen man so Luftblasen machen kann, wenn man es kann. Riecht nach Kirsche und schmeckt nach Bubblegum oder Gummibärchen – also: uns nicht, auch ein Fall für den Restweinbehälter. So sad.

Farbwechsel: rosé zu rot. Zuerst hatten wir wieder einen ɡlyːˌvaɪ̯n von Silvio Nitzsche (0,5 l ca 5 €). Wir schnüffeln und glauben, Marzipan zu erkennen. Und schwarze Johannisbeeren. Dem Etikett entnehmen wir, dass ein Syrah die Grundlage dieses Glühweins ist. Der kann ja kratzig sein – aber hier ist er definitiv nicht, im Gegenteil: „Hart an der Grenze des zu Süßen“ steht auf dem Verkostungsblatt. Aber immerhin diesseits der Grenze. Der nächste rote Glüh kam vom Keth – und er ist für viele Striezelmarktbesucher*innen der beste Glühwein auf dem Dresdner Traditionsmarkt (den Keth seit 1989 beschickt). Es war unser zehnter Glühwein, und wir feierten das kleine Jubiläum mit der sensorischen Wahnsinnsfeststellung: der riecht nach Glühwein! Eine unprofessionell kesse Behauptung, die aber sicher Teil des Erfolgs ist – oder um das neudeutsch verknappt zu formulieren: So muss Glühwein. Natürlich schmeckte er wie er roch: nach Glühwein. Und wir konnten sogar noch differenzieren, weil er – etwas kälter geworden – deutlich kirschig schmeckte.

Der persönliche Keth-Konkurrent auf dem Weihnachtsmarkt ist für mich ja immer der Stand von bean&beluga, dessen Roter uns in diesem Jahr gut gefiel (Flaschenpreis 9,50 €). Er riecht zimtig, nelkig, kardamomig – also gut. Er ist recht rocken, was ich mag, zumal insgesamt genug Süße den Trockenstaub vergessen lässt. Wie beim Weißen von b&b schon erwähnt: in diesem Jahr ist der rote WinzerGewürzWein der persönliche Favorit. Ebenfalls Dornfelder ist – wie bei Stefan Hermanns Rotem – Grundwein für den rheinhessischen Balzhäuser Glühwein, den wir als 2016er Jahrgang serviert bekamen (aktuell 4,70 €/ Literflasche). Sagte uns der Herr Pietzonka, der den Glühwein eigentlich nur mit anbot, weil er die tollen Weine des erfolgreichen Jungwinzers im Programm hat. In der Nase war der Wein ein wenig weinig – aber warum auch nicht? Zumal wir obendrein Pfefferkuchen rochen – mit ein wenig zu viel Nelken gebacken. Fenchel war auch da – oder war’s Anis? Wir wollten das Problem nicht mehr lösen und probierten: schmeckt. Und dass die Tannine durchkamen, mochten wir sogar!

Den Abschluss der Serie bildete dann der Heiße Willi. Auch ein Name für einen Glühwein, aber er ist ja sogar begründbar. Der Wein aus dem Nachbaranbaugebiet Saale-Unstrut sei, lesen wir auf der Webseite des Erzeugers Winzervereinigung Freyburg-Unstrut, „eine Liebeserklärung an das Wahrzeichen Freyburgs, den Bergfried „Dicker Wilhelm“ (Flaschenpreis 5,90 €/Liter). Da wäre das also auch geklärt. Nicht ganz klar war uns, warum wir bittere Töne schmeckten. Ob’s daran lag, dass es der dreizehnte Glühwein war?

Weinzentrale
Hoyerswerdaer Straße 26
01099 Dresden

Tel. +49 351 / 89966747
www.weinzentrale.com

Öffnungszeiten
Mo – Fr ab 16 Uhr

[Glühweintest in der Weinzentrale: 4er bis 13er Flights zu je 0,90 €/Probe. Tasse Glühwein: 2,50 €. Getestet am 4. Dezember 2017 | Zum Glühweintest 2016]

1 Trackback / Pingback

  1. Der große ultimative Glühweintest 2019 | STIPvisiten

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*