Natürlich hatte der Besuch auf dem Gustavshof einen Themenschwerpunkt: PiWi mit Minimalschnitt. Aber am Ende hängt eben alles mit Allem zusammen und es geht weit über diesen Tellerrand hinaus, wie der Winzer Andreas Roll erklärt. Er ist Inhaber und Betriebsleiter des 20-ha-Weinguts im rheinhessischen Gau-Heppenheim. Auf 60 % der Fläche stehen PiWi, was irgendwie die logische Konsequenz aus langjährigem Tun (und Lassen: weniger spritzen müssen ist ja bewusster Verzicht!) zu sein scheint: das 100 Jahre alte Weingut ist seit 20 Jahren bereits EU-Bio-zertifiziert, man arbeitet seit 2012 nach den Regeln des biodynamischen Weinanbaus (Stichwort: demeter). Und seit 2021 tragen die Etiketten auch das FairChoice-Siegel.
Der Gustavshof ist ein Familienbetrieb – die Eltern sind noch und die (13 und 15 Jahre alten) Kinder schon ein wenig mit im Betrieb. Und auch wenn unser Thema beim Besuch die PIWIs sind: natürlich gibt es noch den typischen Rheinhessen-Mix auf dem Weingut: Riesling, Silvaner, Grauburgunder, Spätburgunder, Frühburgunder, Chardonnay, Huxelrebe, Würzer (eine Spezialität – oft der bessere Gewürztraminer, sagt man). Und wie kommen seine Kunden mit den vielen neuen Weinen klar? Man redet drüber – oder lässt es auch sein, weil letztendlich doch der Geschmack entscheidet: schmeckt, schmeckt nicht – so einfach ist das ja doch bei den meisten Weintrinkenden.
„Der Johanniter heißt bei uns als Produkt „Sinnvoll“ – weil er eine sinnvolle Alternative zu Grauburgunder oder Weißburgunder ist: ähnliche Stilistik, ein Tick mehr Tiefe und eben das riesige Plus in der Nachhaltigkeit. Es gibt auch „Zwei-Rebsorten-Weine“ wie den Grauburgunder-Johanniter: „Das ist unser meistverkaufter Wein, da verbinden wir Bekanntes mit dem Neuen und merken schon beim Cuvetieren, dass durch den Johanniter eine zusätzliche Dimensions ins Produkt hinein kommt!“ Und bei nur 11,5% alc freuen sich auch viele Kunden.
Der Kloppberg sei, erfahren wir, mit 293 Meter der höchste mit Wein bewachsene Berg in Rheinhessen. Vor allem aber wachsen die Trauben dort rund hundert Meter höher als am Rhein, und das mache sich schon bemerkbar (alte Faustregel: pro 100m ist es ein Grad kälter). Die Disposition ist in etwa Nordwest – auch gut, denn die Nordseite von Weinbergen wird ja auch immer interessanter – was in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhundert noch ein Nachteil war, wissen (dem Klimawandel sei Dank…) die Winzer jetzt sehr zu schätzen. In der Nähe von Dittelsheim haben sie auch Weinberge, auf dem Leckerberg wachsen zum Beispiel Riesling und Spätburgunder… Aber die sind ja heute nicht dran, sondern die wuschigen Reben auf dem Schlossberg.
Was für ein Boden den Reben gut tut, weiß man bei Riesling, Silvaner, den Burgundern mittlerweile ja ganz gut. Bei den jüngeren Züchtungen gibt es freilich noch Erfahrungsbedarf. Also muss man: probieren! Im Gustavshof heißt das: der Johanniter steht auf drei, der Sauvitage auf zwei verschiedenen Bodentypen. „Unser Ziel ist es, Terroir-Weine zu machen, denn wir wollen die Unterschiede heraus arbeiten!“
Zur Begrüßung gab’s zwei eher experimentelle Dinge: einen PetNat Rosé, gekeltert aus der Sorte Cabernet Cortis – wie fast immer bei dieser ursprünglichen Art des Bubble-Machens – wenn man so was mag: toll. Und wenn nicht? Dann eben nicht. Flasche Nummer zwei enthielt Holunder-Secco alkoholfrei: „Wir haben schon relativ früh angefangen, aus Trauben Produkte zu machen, die keinen Alkohol haben“, erklärte Andreas Roll. An Sachen ohne Alkohol probieren sie auf dem Gustavshof schon länger, also nicht erst, seitdem es en vogue ist: seit 2011 produzieren sie Verjus (Saft aus unreifen Weintrauben), seit 2013/14 den Holunder-Secco, bei dem nebenHolunderblüten auch Traubensaft und selbst gemachter Weinessig mit im Spiel sind. Und seit 2015/16 gibt es Zero Zero im Angebiot, mit Verjus, Essig und Traubensaft als alkoholfreie Alternative zum Apero gedacht.
Roll hat sich bewusst gegen die Entalkoholisierung entschieden, denn „ich finde es abartig, erst Wein zu erzeugen und dann viel Energie reinzustecken, um den Alkohol rauszuziehen!“ meint er, was ja ein überaus vernünftiger Denkansatz ist. Zumal die Kunden ja erwarten, dass das Produkt günstiger als der Wein daneben sein soll – was es kompliziert macht, ist das Entalkoholisieren doch ein zusätzlicher (und preisintensiver) Schritt… Also bleiben sie lieber bei dem Naturprodukt!
Weingutseigenen Balsamico gibt es mittlerweise auch – weil Roll es befremdlich fand, dass er zwar selbst Essig herstellt für die Getränke, sich aber für den eigenen Salat zum Essen Balsamico kauft. Die Idee wuchs zu einem Versuch mit zwei Barriques heran, mittlerweile ist man bei sechs Barriques, in denen der Balsamico reift. Langsam werden die auch älter, so dass es immer einen jungen und peu á peu ältere Balsamicos gibt.
Minimalschnitt
Zum Thema Minimalschnitt hat Andreas Roll gleich im Innenhof des Weinguts ein prima Beispiel parat. Da wächst nämlich eine Rebe den Baum hoch („das ist, was die Rebe eigentlich will: hoch wachsen!“). Die ist erst drei, vier Jahre alt – ein Sämling, der sich selbst angesiedelt hat und der nun einfach mal machen darf. Buschige Reben kennt der Winzer auch aus den Gemarkungen, wo sein Wein wächst: „Man findet da so genannte Drieschen, wo verwilderte Reben wachsen, und da gibt es Europäer-Reben, die an Hecken hochwachsen, nie gespritzt werden – und dennoch gesund bleiben!“ Da stellte sich Roll die Frage: wie geht das? Wo doch die Winzer nur einmal zu wenig oder falsch spritzen müssen und dann die Krankheiten an den Reben haben? Aber die Reben im Busch wachsen komplett ohne Pflanzenschutz und bleiben gesund dabei – wie das? Aus den Beobachtungen versucht er zu lernen…
Wir fahren raus zu einer Anlage, in der in diesem Jahr bis zu unserem Besuch noch gar kein Pflanzenschutz notwendig war (keine vier Stunden zuvor hatten wir noch gehört, dass Winzerkollegen in diesem Jahr schon achtmal mit Mittelchen unterwegs waren…). „Wir schauen, was sowohl für die Rebe als auch für den Wein und die Umwelt Vorteile hat“. Da kann es dann vorkommen, dass PiWi-Anlagen eben gar nicht gespritzt werden, wenn die Kombination aus Rebsorte und Lage (zum Beispiel, weil es immer leicht windig ist) stimmt: „Die wichtigste Entscheidung ist, die richtige Rebe auf den richtigen Boden zu setzen!“, fasst Andreas Roll das zusammen.
Zwischen den Rebzeilen ist es nicht nur grün, sondern bunt. Es blüht – und weil es blüht, summt es auch. Nun gut, nicht nur: die vielen Schmetterlinge sind ja relativ leise unterwegs und Rehe summen auch nicht. Ob’s bei so viel Grün mit dem Wasser (also vor allem bei Trockenheit: dem fehlenden Wasser) keine Konkurrenz gibt? Erstaunlicherweise nicht. „Wir haben in dieser Anlage null Probleme mit Trockenstress!“, sagt Roll mit nicht verborgener Freude an dem, was er da mitzuteilen hat. Seit drei Jahren haben sie in der Anlage weder Mäharbeiten noch Bodenbearbeitung gemacht. Nichts, niente. „Unser Ziel ist, ein möglichst stabiles System hinzukriegen“, erklärt er. Drei Meter Reihenbreite haben sie in der Anlage – „um mehr Luft drin zu haben und der Rebe mehr Raum zu geben.“
Die Anlage wurde 2011 als Pilotfläche angelegt. Das Ziel war so einfach wie komplex: ein Ökosystem zu schaffen, das in sich stabil ist und weder Düngung noch Pflanzenschutz benötigt. Die Rebe soll einfach stabil wachsen. Dazu gehört auch der Minimalschnitt. Minimalschnitt – das ist eigentlich ein technischer Begriff – es geht darum, keinen händischen Rebschnitt durchzuführen. Die Rebe wird wie eine Hecke oder wie ein kleiner Baum kultiviert, sie wächst also vor sich hin und wird nur einmal im Jahr (im Winter) zurück geschnitten.
Geerntet wird auf dem Gustavshof mit dem Vollernter – die sanft-hügelige rheinhessische Landschaft macht’s möglich. Eine eigene Maschine, umgebaut nach den eigenen Anforderungen, hilft dabei, die selben oder gar bessere Qualitäten wie bei der Handlese zu erzielen. Der Vollernter ist auch deswegen besser als die Handlese, weil es während der Ernte mittlerweile oft noch sehr warm ist – der Vollernter schafft in den kühlen Morgenstunden deutlich mehr als Menschen. Roll hat die Probe aufs Exempel gemacht: Riesling mit der Hand gelesen vs. Riesling mit der Maschine (vom Vater gefahren): die des Vollerntes waren besser sortiert!
Das ist natürlich unabhängig von der Reberziehung. Also zurück zum Minimalschnitt: „Wir ernten hier 60 bis 80 Kilo kerngesundes Material pro Hektar“, sagt Roll und ergänzt: „das regeln die Reben selbst“ – was schon zu staunenden Gesichtern in der Zuhörerschaft führt. Und zur Frage, warum die Winzerschaft bis auf wenige Ausnahmen überhaupt Rebschnitt macht? Für Andreas Roll lautet die Antwort in einem Begriff: Tradition. „Der Rebschnitt ist da, weil er sich mal etabliert hat: ’s war immer so!“ Bis zur Jahrtausendwende nachvollziehbar, denn da war die Sonne im Weinberg gewünscht und oft auch nötig – das habe sich geändert. „“Wir haben eigentlich jedes Jahr genug Sonne, anders als früher“, weiß Roll. Die Jahrgänge werden alle unique, keiner sei wie der andere – man könne kaum noch vergleichen…
Mit dem Minimalschnitt habe er besonnte Trauben und solche im Schatten und dadurch unterschiedliche Aromatik an einem Stock (der Zuckergehalt sei erstaunlicherweise gleich, die Rebe gleiche das aus). Da die Trauben im Laufe der Jahre lockerer und kleinbeeriger seien, seien sie aromatischer. „Bei der Lese haben wir festgestellt: die Qualität der Weine aus den Anlagen mit Minimalschnitt war besser als die aus den normalen Anlagen!“ Für Roll ein gutes Argument: derzeit haben sie auf dem Gustavshof Minimalschnitt auf 70 % der Fläche – „aber in fünf Jahren überall!“ Rebschnitt sei schließlich wie ein Korsett, die Pflanze wolle ja groß werden. „Das Interesse der Rebe ist oben!“ „Es gibt kein Esca!“, sagt Roll (das ist eine Holzkrankheit an Reben). Im Weinberg ploppte da sogleich ein Louis de Funès-Moment auf: Nein! Doch! Ooh! Dabei sei es doch ganz einfach: jeder Schnitt mache Leitbahnen in der Rebe kaputt – was ja auch der sanfte Rebschnitt verhindern soll. Aber noch besser als ein sanfter ist natürlich kein Schnitt.
Hauptvorteil sei, dass die Rebe beim Minimalschnitt in ein neues Gleichgewicht kommt, betont Andreas Roll. Aber Ernst Büscher, Pressesprecher des DWI und nach einem Geisenheim-Studium auch Weinfachmann, weiß noch um einen anderen Vorteil: Minimalschnitt sei eine Erziehungsform, mit der man Arbeitsstunden spart! „Normalerweise gehen 80 Std/ha für Rebschnitt drauf“, sagt er – von 250 Stunden/ha insgesamt bei Mechanisierung im Weinberg – in der Steillage sehen die Zahlen natürlich alle anders aus!
Am Ende aber, da sind sich alle einig, kommt’s auf die Weinqualität an!
Verkostungsliste
Das sind die probierten Getränke. Bei der Beschreibung standen die Datenblätter des Weinguts Pate…
- PET-NAT Rosé
Alle Flaschen zeigen deutlich die Cabernet Cortis Rebsorte, eine robuste und charmante rote Traube, die sich im PT NT als Rosé präsentiert. Mit diesem Naturprodukt bieten wir lediglich den Rahmen; die Natur übernimmt den Rest und zeigt dabei ihre Präzision und inspirierenden Eigenschaften. - Holunder Secco alkoholfrei
Er prickelt so intensiv und fein wie ein hochwertiger Sekt und duftet nach Holunderblüten.
Alle Zutaten des alkoholfreien Holunder Secco sind aus biologisch-dynamischer Erzeugung und stammen vom Gustavshof und seiner Umgebung. Der Holunder wächst naturbelassen, seine Blüten werden handgepflückt und frisch weiter verarbeitet.
Die Trauben wachsen am höchsten Berg der Region, dem Kloppberg. - CrushNat
Eine Cuvée aus Johanniter und Sauvitage, schwefelfrei und ungefiltert. Ein lebendiger Naturwein, der aus kleinen, außergewöhnlich geschmackvollen Trauben hergestellt wird. - Sinnvoll. Weißwein trocken, Gutswein vom Johanniter
Entspricht der Typizität eines Grauburgunders, wird jedoch mit 70% weniger fossiler Energie im Weinberg hergestellt. Der Sinnvoll ist Teil des Zukunftskonzepts „Mehr Menschen, reine Natur, weniger Maschinen“ des Gustavshofs. - Bright Cabernet Cortis, Gutswein
Die Frucht roter Trauben mit der Frische und Eleganz eines Weißweins. Die Traubenproduktion der robusten Sorte Cabernet Cortis spart im Vergleich zu einer klassischen Rebsorte wie Cabernet Sauvignon 70 % fossile Energie ein. - Purist Cabernet Cortis
ist ein ungeschwefelter und unfiltrierter Cabernet-Rotwein. Für den Purist werden nur kleine, vollreife Trauben verwendet. Der Weinberg liegt am Leckerberg, die Böden sind hier leicht erwärmbar und reich an Kalk. - Zero Zero
Verjus, Essig und Traubensaft als alkoholfreie Alternative. Zero Zero ist aber nicht nur alkoholfrei, sondern auch ungeschwefelt und histamingeprüft (mit einem Histaminrestwert von unter 0,25mg/l). Seine Zusammensetzung wirkt basenbildend und hat 70% weniger Kalorien als Wein.
Weingut Gustavshof
Hauptstrasse 53
55234 Gau-Heppenheim
Tel. +49 67 31 4 25 45
gustavshof.de
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Hinweis:
Die Recherche wurde unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).
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