Ganz früher sagte man vielleicht noch Konkurrent, später dann (höflicher klingend, aber meist immer noch sehr konkurrentisch gemeint) Mitbewerber. Das geht heute auch anders: man kann – nein: man sollte! – die Dinge gemeinsam angehen und sich auf diese Weise gegenseitig stützen. In Radebeul machen das Matthias Gräfe vom Wein & fein (Radebeul-Ost) sowie Birgit Zach und Rocco Springer von Flack’s GetränkeFeinkost und Vinothek (Radebeul-Hoflössnitz): gemeinsam hatten sie Ende August zu einer Wein-Fatsche geladen, gemeinsam gab es jetzt erstmals einen Abend, bei dem das Foodpairing – der passende Wein zum richtigen Essen – nicht nur Genuss, sondern auch Wissenszuwachs bedeutete.
Das ist ja eine Disziplin, in der der sowieso nie zurückhaltend agierende Matthias Gräfe noch einmal über sich hinauswächst: er versteht nicht nur was von Weinen, sondern ahnt beim ersten Schluck auch meist schon, welches Essen dazu passen könnte. Gerne folgen zwei, drei weitere Probierschlucke und dann steht der Gang zum Wein. Die Weine hatte er mit Rocco Springer, dem Marktleiter in der Flack-Vinothek, ausgesucht: alle aus Sachsen, alle (für Insider: selbstverständlich – für Gelegenheitsgenießer: überraschend) gut. Der Getränkemarkt, in dem es (sagt ja der Namensbestandteil Getränke schon…) von Wasser über Säfte und Bier mehr als nur Wein gibt, hat sich bei den Weinen auf Sachsen spezialisiert – es gibt kaum etwas, was es nicht gibt.
Der Start in den Abend erfolgte mit einem gustatorischen Paukenschlag – und für die meisten der Anwesenden mit einer Überraschung. Na klar kennt man Sekt aus Sachsen. Mit etwas Glück sogar guten bis sehr guten. Aber wer oder was ist dieses Perlgut, wo der sehr leise und im Stillen wirkende Winzer Hendrik Weber Sekte in Champagnerqualität produziert? So geriet der Apero zum großen Kennenlernen: Vor dem Laden gab es 2020 Riesling Brut, Perlgut, Meißen (und dazu Grissini von der nicht so geschmacklich-beliebigen Art, wozu sicherlich auch der Meißner Schinken drumherum beitrug). Der Sekt ist ein Jahrgangssekt, wurde aus Riesling vom Radebeuler Johannisberg gemacht. Der Hinweis traditionelle Flaschengärung deutet an, das Hendrik Weber in seiner Sektmanufaktur am Fuße des Kapitelbergs traditionelles Handwerk betreibt. Warum dieser Sekt so viel erwachsener schmeckt als das meiste, was man sonst so kauft: Hendrik Weber hat ihm Zeit zum Reifen gegönnt, er lag 25 Monate auf der Feinhefe. Und das schmeckt man!
In der Vinothek sollte es dann fünf Gänge mit Weinen geben. Sie folgten einem Konzept, das Gräfe-Gäste schon kennen: Matthias Gräfe nennt es Abendbrot und versteckt dahinter eine gewisse Unkonventionaliät. Es gibt keine dedizierte Menüfolge mit Vorspeise, Zwischengang, Hauptgericht und Dessert. Statt dessen serviert er alles gleich auf eher kleinen Tellern, aber in ausreichend großen Portionen in fein abgestimmter Vielfalt zum Wein. Denn kein Wein ist wie der andere (wer beim einen oder anderen Winzer den Eindruck hat, dass die Weine sich trotz unterschiedlicher Rebsorten im Geschmack sehr ähneln, kann das Stil des Winzers nennen oder den unguten Einfluss von Reinzuchthefen beklagen).
An diesem Foodpairing-Abend aber gab’s individuelle Geschmackserlebnisse und Vielfalt beim Wein und mehr vegetarische Gänge, als mancher Mann vorab zu vertragen glaubte. Dass dann auch notorische Vorabnörgler ihre Teller schon fast schrankrein hinterließen (Sascha Stiegelers Brot ist immer ein vorzüglicher Ditscher, wenn man es nicht zu den gereichten Aufstrichen Hummus | Kandierte Zitrone | Koriander nutzt!), zeigte: Vorurteile sind dazu da, sie abzubauen.
Müller-Thurgau und Buchweizensalat | Klicken öffnet mehr
Der erste Wein: 2023 Müller-Thurgau, Wackerbarth, Radebeul. Eigentlich war’s ja eher ein Meißner Wein, in Wirklichkeit sogar einer aus Seußlitz (Gruß ans anwesende Winzerpaar Lehmann!) von der Lage „Seußlitzer Heinrichsburg„. Die immer beliebte Frage, ob Wein im Weinberg entsteht (sagen die Winzer gerne) oder im Keller (da behaupten die Winzer meist, dass dort nur kontrolliertes Nichtstun stattfände), beantwortet dieser Müller eher diplomatisch mit einem sowohl – als auch. Denn einerseits ist die Heinrichsburg eine der besten Lagen Sachsens mit guter Disposition zur Sonne und einem Boden, der den Reben Freude bereitet: eine bis zu zehn Meter mächtige Lösslehm-Schicht und darunter der für die Gegend typische Granit. Gute Voraussetzungen sind das für Weine mit exotische Fruchtnoten und Fülle. Und dann der Keller, in dem ja meist doch mehr Kontrolle und Anschubsen stattfindet als Nichtstun. Die Trauben von rund 10 Jahre alten und über 25jährigen Rebstöcken wurden beispielsweise nicht nur getrennt voneinander gelesen, sondern auch einzeln 28 Tage lang kalt vergoren. Erst dann gaben die Kellermeister die Grundweine zusammen und schufen sozusagen eine Cuvée zweier Müller-Thurgau, die anschließend noch weitere vier Monate auf der Feinhefe im Edelstahltank reifen durfte. Dazu gab es so einen Gang, der zuvor, rein von der Schriftform, die eine oder andere Stirn in Falten warf: Buchweizensalat | Frischkäse | Zitronen-Oliven-Öl. Es wären sicher noch mehr Falten und Bedenken gewesen, wenn da Ziegenfrischkäse gestanden hätte (was es war). Wat de Buur nich kennt, dat frett he nich heißt es im immer hübsch derb-direkten Plattdeutschen – aber es waren ja keine Bauern da und außerdem hatten ja alle schon gezahlt (69,95 € für den Abend, all in). Also: tapfer eine kleine Gabel mit Salat und Frischkäse ganz vorsichtig in den Mund schieben – und dann: oh! ah? Or nee – das schmeckt ja?! Und erst recht zusammen mit dem Müller, der wie so oft, wenn er liebevoll gemacht ist, mehr war als ein einfacher Wein: fast schon ein Traum.
Chimäre de Saxe und Kohlrabi | Klicken öffnet mehr
Der zweite Wein ist eine sächsische Besonderheit und – sagen manche Winzer außerhalb der Region – eine schelmische Frechheit. Weil in der Chimäre de Saxe von Frédéric Fourré aus Radebeul nämlich eine Rotweintraube und eine Weißweintraube sich zu einem Weißwein zusammengetan haben und das dann auch noch, Herkunft inklusive (wenn auch verschleiert) laut und nett auf dem Etikett kundtun. Wäre der Wein leicht vor Scham errötend dargeboten, dürfte er das und hieße dann Schieler (in Sachsen) oder Schiller (Württemberg oder Rotling (Baden). Dieser Wein aus Spät- und Grauburgunder ist aber weiß gekeltert, das heißt: nur vom Saft der Trauben gemacht. Farbe ade, Geschmack olé, sozusagen. So ein Wein kommt weiß nicht durch die Qualitätsweinprüfung, darf aber als Landwein verkauft werden – da darf dann aber keine geografische Herkunft mit aufs Etikett. Das Weinrecht ist manchmal so lustig wie der Karneval bei Vorstandssitzungen zwischen den offiziellen Festen. Aber nicht nur, wer die vier Grundweinsorten rot–weiß-schmeckt–schmeckt nicht kennt, kommt damit bestens klar: ist weiß und schmeckt! Zum Wein gab es (schon wieder) so ein Gemüse, dass man, zumindest in der dargereichten Form, nicht unbedingt spontan als Lieblingsgemüse nennen würde – schon gar nicht, wenn es die Hauptrolle spielt. Kohlrabi | Vulcano-Schinken stand da, aber natürlich hatten Matthias Gräfe und Birka Heeger am offenen Küchentresen da schon was vorbereitet: das Weißbrot schön angeröstet, darauf der Kohlrabi, aber fermentiert. Also eingelegt in einen Salz-Zucker-Essig-Mix. Was da mikrobakteriell passiert, spielt am Abendbrottisch keine Rolle, wichtig ist: da geht geschmacklich was ab. Dazu eine ganz leichte Vinaigrette mit Reisessig und Kräutern und on top ein Wow-Schinken. Der Vulcano-Schinken aus der Steiermark hat eine lange Reifezeit hinter sich und schmeckt unglaublich intensiv. Seine Aromenvielfalt kann für Wein eine Herausforderung sein – aber die Chimäre ist ja ein talentierter extraktreicher Wein. Der schafft das!
Blanc de Noir und Roastbeef | Klicken öffnet mehr
In der dritten Runde kam Fleisch auf den Teller, genauer: Roastbeef, kalt und in dünne Scheiben geschnitten. Optisch ein My zu wenig rosa (Matthias Gräfe meinte in seiner Anmoderation: das Fleisch sei auf den Punkt gegart und beim Auspacken auch noch rosa gewesen, aber es sei in der warmen Vinothek nachgegart). Das konnte man glauben, denn geschmacklich war es in Ordnung, also: würziges Fleisch, butterzart. Kimchi-Mayo brachte eine Variante des Fermentierens plus ein wenig Schärfe ins Spiel – und eine Himbeer-Vinaigrette rundete Geschmack und Optik ab. Der Wein dazu kam von einem der ganz großen Könner in Sachen sächsischer (und jetzt auch brandenburgischer) Weine: Stefan Bönsch. Der 2022 Blanc de Noir ist bei ihm im mittleren Qualitätssegment angesiedelt, ein Gesellenstück. Wie schon zuvor hatten wir zwar passend zum Beef einen Rotwein im Glas, aber einen weiß ausgebauten Spätburgunder (daher blanc de noir). Durch die Qualitätsweinkontrolle wäre er nicht gekommen, weil es da ja nicht primär um Geschmack und Können und schon gar nicht um Visionen geht, sondern um ganz bestimmte (und nicht immer zeitgemäße) Vorstellungen von Typizität. Der Blanc von Stefan Bönsch wäre zu lachsrosa – aber wieder gilt: als Landwein kein Problem. So langsam formte sich das Bild: für richtig gute Weine sollte man durchaus mal nach einem Landwein greifen!
Scheurebe und Gebeizter Lachs | Klicken öffnet mehr
Und dann: die 2023 Scheurebe vom Weingut Drei Herren aus Radebeul. Statt der drei Schattenrisse auf der stilisierten Steinernen Schnecke steht dort eine 20, was mehr als zart andeutet: das Weingut feiert in diesem Jahr ein Jubiläum. Den Jubiläumswein hat der junge Kellerverantwortliche Wenzel Ebermann gemacht – dahinter verbirgt sich, wie er uns vor einiger Zeit im Podcast verriet, eine Spätlese vom Radebeuler Goldenen Wagen „Feinherb“ steht auf der Flasche, was man natürlich merkt: aber der Bukettsorte Scheurebe tut so ein kleines Süßeschwänzchen ja ganz gut, zumal wenn da auch eine ordentliche Säure im Spiel ist, die der Süße die kalte Schulter zeigt. Mittlerweile wunderte sich dann auch keine(r) mehr, dass der Wein im Zusammenspiel mit dem dazu servierten Gang noch einmal zusätzlich auflebte. Dieses Mal sorgten Gebeizter Lachs | Fenchel-Orange | Reis für überlegenswerte Momente. „Der Wein wird damit gnadenlos an die Grenze gebracht!“, konstatierte der Herr Gräfe – aber er (also der Wein…) hielt dem Druck stand. Der Lachs war mit Orangen und Basilikum gebeizt und lag über dem Orangen-Fenchelsalat, bei dem der Fenchel sehr knackig war und so überhaupt gar nicht an die Matschepampeschulspeisungversion erinnerte. Wie schön! Die Dijonsenf-Vinaigrette im Salat hätte mir ja als Feuchtmacher gereicht, es gab aber noch eine Mango-Chili-Mayonnaise oben drüber. Die gab zwar dem gepufften Reis ganz oben drauf Halt – aber zweimal Mayo hintereinander muss ja nicht sein, selbst wenn sie schmeckt. Mehr Fett als der Lachs schon mitbringt, brauchte es auch nicht (und Knuspercrunch bot schon der Fenchel).
Riesling und Harzer Käse | Klicken öffnet mehr
Zum Abschluss sollte es noch einmal Bäm machen, meinte Matthias Gräfe und hatte sich dafür in den Flack’s-Regalen einen Riesling von Martin Schwarz ausgesucht. Der 2022 „Roter Granit“ Riesling ist in der Qualitätspyramide des VDP ganz unten angesiedelt, als Gutswein eingestuft. Damit ist er der kleine Bruder von den großen Brüdern, die als GG (Große Gewächse) vom Kapitelberg in Meißen und dem Friedstein in Radebeul in die Flaschen kommen. Die Cuvée der beiden unterschiedlichen Lagen (der Kapitelberg bringt mehr Mineralik, der Friedstein trägt eher zur frischen exotischen Note bei) fügt die beiden Terroir-Stilistiken zusammen. Beiden Lagen gemein ist der Boden, mit dem Sachsens Winzer im Vergleich mit anderen Regionen durchaus punkten können: roter Granit. Hat nicht jeder, ist aber toll! Auf dem Teller zum Wein im Glas lag dann noch eine Herausforderung namens Harzer Käse. Allerdings nicht nackert, sondern im Zusammenspiel mit Kartoffel, geräucherter Forelle und in Butter karamelisierte Apfel-Stücke. Als Dessert alles andere als gewöhnlich und somit ein durchaus passender Abschluss des Abends…
Flack´s Getränkefeinkost & Vinothek
Hoflößnitzstraße 3
01445 Radebeul
Tel. +49 351 830 46 32
flacks-radebeul.de
[Besucht am 18. September 2024 zur Veranstaltung
Foodpairing mit Gräfes Wein & Fein |
Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]
.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar