Angekommen in Bürgstadt, dem in der Wikipedia als Markt bezeichneten Ort – das ist (wieder Wikiwissen) irgendwas zwischen Gemeinde und Stadt und typisch für Bayern (andere Bundesländer in Deutschland haben das nicht). Mit Bürgstadt verband ich bis dahin nur den Namen eines Winzers bzw. dessen genialen (Rot-)Weine: das Weingut Fürst liegt im Centgrafenberg, und der gehört zu Bürgstadt. Mit diesem fundierten journalistischen Achtelwissen begebe ich mich auf einen Abendspaziergang – vom Landhotel (und Gasthof) Adler erst einmal die Hauptstraße entlang zum Rathaus und von dort zur Häckerwirtschaft vom Weingut Helmstetter, die gerade geöffnet hat.
Da merkt man ja schon, dass ich Tourist bin. Einheimischen wäre das zu lang, die würden einfach in die Häcke gehen und in diesem Fall dann auch nur zum Max, denn so heißt der Winzer. Aber den lerne ich ja erst später kennen… Bis dahin wird es romantisch, aber immer unterhalb der Kitschgrenze: Viel Fachwerk gibt es in Bürgstadt, das macht sich ja immer gut – aber auch wenn nicht (der Adler ist wie auch das Rathaus verputzt), ist alles hübsch anzusehen, und die Dank Umgehungsstaße wenigen Autos machen auch Freude. Aus der Abteilung Fachwerk müssen das Hotel Stern gegenüber und die Bäckerei Hench ein paar Schritt weiter gleich mal abgelichtet werden, zum Rathaus selbst mit Brunnen und zur seit Dezember vergangenen Jahres dauerhaft geschlossenen Churfrankenvinothek ist es dann auch nicht mehr weit. Auf den offiziellen Seiten der Verwaltung und des Tourismusverbands wird die Vinothek zwar noch beworben, aber seit dem 1. Mai diesen Jahres gibt es neue Betreiberinnen – das Restaurant heißt Nadjas (und hatte an diesem Abend regulären Ruhetag).
Das Rathaus wurde in nur zwei Jahren erbaut: 1590–1592. Wie auch immer die das damals so schnell geschafft haben – das Rathaus steht seit über 400 Jahren. Überm Torbogen gibt eine Tafel ausführlichst Auskunft mit allerlei name dropping der damals wichtigen Personen. Und einem bemerkenswerten Satz: War ein heißer Sommer heuer, wuchs guter Wein sehr teuer. So war das also um 1590–92…
Auf zur Häckerwirtschaft
Weniger zentral liegt das Ziel: das Weingut Helmstetter – eins von vielen in Bürgstadt, aber dasjenige, das in dieser Woche als Häcker geöffnet hat. Häckerwirtschaften haben nämlich meist für zwei bis vier Wochen geöffnet, aber die Winzer sprechen sich ab (und die Termine werden dann in einem Kalender veröffentlicht, so dass man weiß, wohin). „Diese Art von Weinausschank hat in Churfranken eine besondere Tradition, die schon im 16. Jahrhundert schriftlich bezeugt wurde und heute noch liebevoll gepflegt wird“, lese ich in eben dieser Kalender-PDF und bin auch schon am Rande von Bürgstadt im Weingut bzw. eigentlich im Main-Vinotel, das Senior Erhard und Junior Max Helmstetter 2010 zusätzlich zum Weingut geschaffen haben.
Es ist ein Dienstag-Abend, es ist der erste Abend der zweiwöchigen Häckerzeit – und der Hof ist voll. Save water, drink wine steht auf einem Holzfenster, HerWEINspaziert auf einer ausgedienten Bütte. Klingt gut, aber wo ist der freie Tisch, um den Worten taten folgen zu lassen? So verzweifelt können nur Leute denken, die noch nie in einer Häckerwirtschaft waren: Max Helmstetter, an diesem Abend weder im Weinberg noch im Weinkeller, sondern im Service, schnappt sich den Neuankömmling, geht zu einem Vierertisch und fragt, ob er den Neuen dazu platzieren könne – an den Kopf. Rhetorische Frage, natürlich!
Am Tisch saßen zwei Paare: einmal Einheimische und einmal Gäste. Sie kannten sich und redeten übers Essen. Und da der einschlägige Wunsch von Kurt Tucholsky („Gott schenke uns Ohrenlider. Wir sind unzweckmäßig eingerichtet.“ – hier) bislang nicht erhört wurde, war ich dabei. Die Frau aus Churfranken zählte eine Spezialität nach der andere auf, die Frau mit dialektaler Tönung wie aus Deutschlands Nordwesten schaute immer ungläubiger drein und sagte immer nur schulterzuckend: „Wir haben ja gar keine Spezialitäten!“ und dann an den Gatten gewandt:“oder?“ Mit Pokerface sah ich in die Speisekarte, aufs Smartphone, rüber zu den anderen Tischen und überlegte: wo mögen sie bloß herkommen?
Als die beiden Frauen (Männer unterwegs, sich frisch machen und so) allein waren, traute ich mich einzumischen. Mit Tucho-Zitat im Gepäck und um Entschuldigung fürs Einmischen bittend („jaja, schon in Ordnung!“), kamen wir ins Gespräch. Die Gäste kamen aus dem Emsland – und schon waren wir im angeregten Gespräch. Buchweizenpfannkuchen, Birnen/Bohnen/Speck, Grünkohl – zusammen kamen wir dann doch auf die ein oder andere Leckerei. Und landeten dann natürlich beim Wein.
Weingut Helmstetter
Zum beim 120 Jahre alten Weingut gehören 5 ha Weinberge, bestockt mit teils 35 Jahre alten Reben. Niedrige Erträge sind das erklärte Ziel, um die Weinqualität zu steigern. Mit dem gleichen Ziel arbeiten die Helmstetters umweltbewusst: jede zweite Rebzeile ist dauerbegrünt, die andere kurzzeitbegrünt mit viel Blütenvielfalt. Gedüngt wird mit Pferde- und Kuhmist. Die Weine wachsen in zwei Lagen: Im Bürgstadter Centgrafenberg, wo 3,7 der insgesamt 58 ha großen Lage zum Weingut Helmstetter gehören.Der Südhang und die Steillage mit bis zu 40 % Hangneigung sind ein Garant für gute Weine, die Buntsandsteinverwitterungsböden mit unterschiedlich hohem Lehmanteil und teilweise steinig., ideal für die roten Burgunder. Die Weinbergslage „Bürgstadter Hundsrück“ ist nur 7 ha groß – einen davon bewirtschaftet das Weingut Helmstetter. Diese Spitzenlage (bereits eine Steuerklasseneinteilung von 1688 ordnete den „Hundsrück“ so ein) war 1971 eins der vielen Opfer des damals neuen Weingesetzes – sie wurde, wie auch andere Lagen der Gemeinde – zur Großlage Centgrafenberg zusammengefasst. Doch seit 2010 wurde der „Hundsrück“ wieder bei der Regierung von Unterfranken als separate Lage in die Weinbergsrolle eingetragen. Hier gefallen zu 80 % Spätburgunder und je 10% Silvaner und Riesling der steinige Buntsandsteinverwitterungsboden mit dem sehr tonigen Untergrund. Die Krume über dem gewachsenen Felsmassiv ist zwischen 0,5 bis 3 m stark. Übrigens: Wer im VDP ist und auf diese Begrifflichlkeiten zurückgreifen darf: sowohl im Centgrafenberg wie auch im Hundsrück gibt es große Lagen, aus denen Sebastian Fürst und Philipp Aufderheide vom Weingut Steintal ihre Großen Gewächse holen. Bei Helmstetters, die ihre Weine sehr VDP-nah in Gutsweine / Orstweine / Erste Lage und Lagenweine (Große Weine aus großern Lagen) unterteilt haben, weiß man auch um die Qualität der Lagen und verarbeitet die Weine entsprechend respektvoll (auch, was Ertrtagsobergrenzen anbelangt)
Zum Essen – es gab Wintersülze mit Bratkartoffeln (14,50 €), in der aber erwartungsgemäß gar kein Winter verarbeitet war – sollten drei Gläser einen Einblick in die Weine verschaffen. Zum Ankommen war’s ein Pinot Madeleine Rosé, der als Durstlöscher und Apero gleichzeitig gedacht war. Aber da war mehr im Glas – wer traut sich denn auch schon, ausgerechnet aus der komplizierten (aber dem Trinker immer Geschmack bietenden) Frühburgunder einen Rosé zu machen? Rote Früchte (Erdbeere, Himbeere) und sehr trinkanimierend. Auf der Karte fand ich den gar nicht, es war eine Empfehlung des Winzers (Pro-Tipp: immer mit dem Winzer reden!), wobei 4,80 € für das 0,1-l-Glas mit sehr sehr fair bepreist vorkam (Weingutspreis/Flasche im Außer-Haus-Verkauf: 17 €).
Die Sülze, die wie schon erwähnt nix mit Winzer inside zu tun hatte (es war Schweinebacke), erwies sich als eine sehr gute Wahl: krosse Brakartoffeln, magere und knorpelfreie Sülze, das übliche Drumherum: es passte. Dazu musste es natürlich jetzt ein echter Frühburgunder sein, der nicht in vornehmem Lachsrosa daherkommt. Jahrgang 2017, auf dem Centgrafrenberg gewachsen. Frühburgunder haben Tradition in Bürgstadt, die Winzer sprechen nicht nur von alten Reben, sondern auch von autochthon – und meinen damit: keine neuen Clone. Der Wein wurde im kleinen Eichenholzfass ausgebaut, was ihm einen zart-rauchigen, aber perfekt eingebundenen Holzgeschmack verlieh. Wir trinken ja alle viel zu wenig Frühburgunder, was angesichts des sehr geschmeidigen, kraftvollen Weins im Glas (0,1 l für 5,50 €/Flasche ab Hof 20 €) ein Fehler ist. Und er war auch keineswegs zu gut für die doch eher eher derbe Hausmannskost: zu gut gibt’s nicht!
Das galt auch und erst recht für den 2015er Spätburgunder vom Centgrafenberg als After-Sülz-Wein. Die Freude war sehr groß, denn in einer Häckerwirtschaft erwartet man ja nicht unbedingt einen etwas gereifteren Jahrgang. Wie schon der Frühburgunder läuft dieser Wein bei Helmstetters als Große Lage – und das zu Recht. Ein komplexer Wein, ein spannender Mix aus Kräutern, leichter Rauchigkeit (das Holz!) und etwas Schokolade. Langer Nachhall ist garantiert, ein Wein, der zum Genießen einlädt (Glas 0,1 l 5,80 €/ Flasche ab Hof 24 €).
Weingut Helmstetter / Main-Vinotel
Bainweg 1
63927 Bürgstadt
Tel. +49 93 71 / 33 41
weingut-helmstetter.de
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[Besucht am 3. September 2024]
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Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des Churfranken e.V.
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