Eine Reise in die Vergangenheit

Besuch im Gasthof "Zum Stern" in Rüdenau, der Ende des Jahres mangels Personal schließen wird

Zum Stern Rüdenau

Die Vergangenheit hat keine Zukunft. Im Falle der Landmetzgerei und des Gasthofs „Zum Stern“ in Rüdenau ist das bedauerlich, denn das Traditionshaus, das Dieter und Barbara Baumann in fünfter Generation führen, wird nach 125 Jahren schließen, obwohl „Gästezuspruch und wirtschaftliche Zahlen stimmen“,wie Dieter Baumann der Lokalpresse sagte. Aber: es fehlt Personal, und noch länger auf die Hilfe der beiden weit über 70jährigen Eltern wollte Baumann auch nicht länger zurückgreifen müssen. Also gibt es ein Ende mit Ansage: Ende des Jahres schließt der Stern, inklusive Hotel und Metzgerei.

Wir waren aber noch da, mittags, zum Abschluss unserer Genuss-Reise durch Churfranken. Im über 300 Jahre alten Fachwerkhaus fühlte ich mich sofort zurückversetzt in eine andere Zeit. Und obwohl früher® ja wirklich nicht alles besser war, denkt man ja doch oft gerne zurück und erinnert sich. An Gaststätten mit holzvertäfelten Wänden beispielsweise, an denen pro Tisch ein Garderobenhaken eingebaut ist. An stabile Tische, ebenfalls aus Massivholz – manchmal blank gescheuert und mit Platzdecken versehen, manchmal mit weißem Leinen eingedeckt. Aber immer mit Pfeffer und Salz und einer kleinen Blumenvase oben drauf. Sehr gerne gehört zu so einem Gastraum die Theke, über der eine Asbach-Uralt-Lampe warmes Licht ausstrahlt. In genau so einem Raum nehmen wir Platz.

Die Zeitreise in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts setzt sich fort beim Lesen der Speisekarte, die natürlich fest eingebunden gereicht wird. Zwei Dinge fallen auf: die Karte liest sich so, dass man am liebsten ein oder zwei Wochen bleiben möchte, um sich durchzufuttern. Okay, das gilt nur, wenn man Fleisch mag, aber wir sind ja im Restaurant einer Landmetzgerei. Lauter leckere Sachen also – und (fast hätte ich geschrieben: wie es sich gehört) genau das, worauf man am meisten Jieper hat, ist mit zwei, drei keinen Widerspruch duldenden Kuli-Strichen als „aus“ markiert. Dann eben weder die Sauren Schweinenierchen mit Bratkartoffeln und Salatteller (18,90 €) noch (mit größerem Bedauern) Mit Gemüse und Gewürzen gekochter Tafelspitz vom jungen Rind (23,90 €), wahlweise mit Meerrettichgemüse, Preiselbeeren  und Salzkartoffeln oder mit grüner Soße, Gewürzgurke und Bratkartoffeln (meine Wahl, wenn…)! Was also nehmen? Der Nachbar entscheidet sich für Schwammerltöpfchen mit Waldpilzen in Kräuterrahm mit hausgemachten Semmelknödeln und Salatteller (18,90 €) und merkt später an, dass es eine gute Wahl gewesen sei. Ich nehme – getreu dem Motto: wenn schon Nostalgie, dann richtig! – Jäger- oder Pusztaschnitzel vom Schwein mit Pommes und Salatteller (19,90 €), und weil da ja oder steht, soll es die Variante Puszta sein. Hieß früher® anders, aber wie gesagt: es war ja nicht alles besser, zumal die Machart ja geblieben ist. Bleibt die Frage, wann sich die Jäger melden, weil sie mehr als Pilze im Rahm sein wollen…

Unsere Bedienung ist – so ist das im personalsorgengeplagten Familienbetrieb – Barbara Baumann. BB ist vom Fach, sie ist ausgebildete Hotelfachfrau. Und sie ist nett, flink und überhaupt so, wie man es sich wünscht – also da, wenn man sie braucht, aber nicht nervig um den Gast herumscharwenzelnd. Zuerst bringt sie (auch das kommt einem doch bekannt vor, oder?) einen Salatteller, der zum Stil des Hauptgerichts passt. Also Weißkraut, Möhren, grüne Bohnen, einige Kidney Bohnen, Salatblätter und Vinaigrette. Richtig: im Prinzip aus der ganz einfachen Schublade. Aber: es regt den Appetit an, und bis das Schnitzel kommt, legen die Säfte schon mal los im Gaumen und danach. Das Schnitzel ist perfekt, auch wenn die Kombi aus – wohlwollend: goldgelber – Panade und der Sauce (die man im Osten der Republik wohl Letscho nennen würde) nicht instagrammable ist, weil – trotz Deko-Blattpersilie oben drauf – auf dem teller eben eher eine Symphonie in Braun gespielt wird. Aber so war das ja vor mehr als 15 Jahren: da musste Essen in der Hauptsache noch schmeckcn, und wenn es warm an den Tisch kam, konnte es auch warm gegessen werden. Heute wird ja jeder Teller erst einmal in Szene gesetzt, da kommt es auf perfekte Serviertemperatur schon gar nicht mehr an. Dazu gab es übrigens sehr ordentlche Pommes ohne Mayo, und auch das war so in Ordnung, lag doch genug Puszta-Letscho auf dem Teller…

Beim doppelten Espresso danach denke ich mir: eigentlich müsste man da nochmal hin, so lange es noch geht. Ein wenig mit dem Koch flirten und ihn fragen, ob die Portionen auch kleiner gehen, weil nur so ein Menü mit Rüdenauer Festtagssuppe mit Mark- und Leberklößchen | Zanderfilet in Silvaner-Senfrahmsoße mit Dampfkartoffeln und Salatteller | Heiße Burgunder-Kirschen mit Bourbon-Vanille-Eis und Sahne und den dazu passenden Getränken zu schaffen und zu genießen wäre. Denn einen Satz in der Karte wie: wir öffnen für unsere Gäste ausgewählte, auch gereiftere Weine für den offenen Ausschank, um Weinliebhabern das Besondere auch glasweise anbieten zu können, liest man doch gerne und will länger bleiben als nur auf ein Schnitzel!

Gasthof-Landhotel-Metzgerei „Zum Stern“
Hauptstraße 41
63924 Rüdenau bei Miltenberg

Tel. +49 9371 2834
landhotel-stern.de

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Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des Churfranken e.V.

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