Wenn man eine Reise plant, hofft man ja auf gutes Wetter. Was aber, wenn es zu gut ist? Hut auf gegen die Sonne! Wasserflaschen in den Rucksack! Und gerne auch den Weg abkürzen. Zum Beispiel also nicht die Weinlagen Churfrankens entlang des ganzen 79 km langen fränkischen Rotweinwanderwegs zwischen Großwallstadt und Bürgstadt erwandern, sondern sich einfach mal einen Kilometer herauspicken: wir trafen die Winzerin Anja Stritzinger in ihrem kleinen Weingut oberhalb der Rotweinstadt Klingenberg, direkt am Rotweinwanderweg. Von dort zum erklärten Ziel terroir f geht’s kaum bergauf – aber beim Weg durch die von der Sonne verwöhnte Steillage des Schlossbergs kommen einem die 42 Meter doch recht mächtig vor. Wie gut, dass die Winzerin unterwegs viel zu erzählen hat, so dass es Pausen gibt.
Kaum losgegangen, begegnen wir Aloys Schüren. Also korrekterweise nicht ihm, sondern einer Skulptur, die den damals 90jährigen Hobbywinzer bei der Spätburgunderlese 2013 zeigt. Die Skulptur wurde zum 100. Geburtstag von Aloys Schüren aufgestellt. Sie ist aus massivem Schiffsstahl gefertigt (kein Zufall: es gibt eine Werft in der Nähe) und zeigt den betagten Winzer in gebeugter Haltung, wie er die Traube behandelt – gemäß dem Motto Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten – ach nee, nicht ins Kröpfchen: auf den Boden kommen die… Aloys Schüren kannte und kennt man vor Ort: er pflanzte in seiner Jugend Silvaner- und Spätburgunder-Reben in Klingenberg. Die Skulptur soll den Rotweinwanderweg aufwerten und auf die harte Arbeit im Weinberg aufmerksam machen.
Alte Sorten im Museumsweinberg
Die erste Station ist auch nicht weit und bietet gleich die Möglichkeit, etwas Besonderes zu erkunden: den Museumsweinberg. Er wird von Anja Stritzinger bewirtschaftet, die sich damit eine Vielzahl von Rebsorten an die Bütte gebunden hat, denn auf dem 550 Quadratmeter großen Museumsweinberg stehen – wenn man das so salopp schreiben darf – in alter Klingenberger Pfahlerziehung neben Portugieser und Spätburgunder viele Sorten, die es eigentlich gar nicht mehr gibt (und einige andere, die man schon noch kennt): Blauer Kölner, Roter Franke, Blauer Urban, Weißer Honigler, Roter Gutedel, Ortlieber, Tauberschwarz, Alter Silvaner, Cabernet Sauvignon, Roter Elbling, St. Laurent, Traminer, Schwarzer Trollinger, Muskateller und die Bouquetrebe. Klingt nach einem traditionellen gemischten Satz, ist es auch – darf aber so nicht heißen (den Begriff haben sich die Österreicher mit ihrem cleveren Wein-Marketing schützen lassen). Also nennt Anja Stritzinger den Wein aus diesem Museumsweinberg „Alter Satz“, was ja auch gut klingt und zart andeutet, dass es sich nicht nur um alte, sondern teils sehr alte Reben handelt (der Berg wurde nach dem ersten Weltkrieg angelegt – aber natürlich haben die Winzer nachgepflanzt). In Franken trifft man übrigens häufiger auf derart gemischte Sätze (die Winzer liebten sie, weil sie das Risiko von Fehlernten minimierten und man für den Haustrunk ja auch keine Sortenreinheit vorgaukelnden Etiketten brauchte) – aber anders als der alte fränkische Satz oder der gemischte fränkische Satz ist der vom Klingenberger Museumsweinberg nicht weiß, sondern (das ist hier halt so) ein roter. Anja Stritzinger meinte, es sei der einzige deutschlandweit, der rot geprägt ist.
Der Nachbar-Weinberg gleich nebenan gehört übrigens auch der Winzerin, aber das ist eine relativ neue Anlage mit Regent als pilzwiderstandsfähige Rebsorte. Der Regent hängt, sehr zur Freude der Winzerin, relativ gut: „Ich muss sagen, die pilzwiderstandsfähigen Sorten allgemein haben den Frost sehr gut weggesteckt!“ Neben Regent hat sie noch Pinotin und Johanniter als pilzfeste Rebsorten. Einen Regent werden wir nachher auch probieren, verspricht die Winzerin, was durchaus schrittbeschleunigend wirkt.
Unterwegs erfahren wir – quasi im Vorübergehen – einige Basics zum kleinen Weingut, das Anja Stritzinger 2001 nach ihrer Winzermeisterprüfung von den Eltern übernommen hat. Das war damals noch ein Nebenerwerbsbetrieb mit etwas über einem Hektar. Jetzt bewirtschaftet sie 2,5 ha, ein Mix aus Eigenem und Gepachtetem. Was kann man damit erwirtschaften? „Wenn es gut läuft, 10.000 Flaschen“, sagt Anja Stritzinger – aber so gut liefe es leider nicht immer: „Also dieses Jahr sind wir froh, wenn wir 2.500 bis 3.000 haben. Mal gucken“, schätzt sie. Nichts Genaues weiß sie noch nicht, denn der Frost habe viel vernichtet, und was dann nachgetrieben sei, trägt mal so und mal so. „Aber das muss man abhaben können!“ Sie lacht zwar (die Winzerin lacht gerne!), aber wenn es statt etwa 10.000 Flaschen in normal guten Jahren nun nur noch 2.500 bis 3.000 sind, ist das schon eine Hausnummer. „Mal gucken…“, sagt sie im Weitergehen, und da schwingt dann schon ein wenig Nachdenklichkeit mit.
„Hier ist auch noch mal ein großer Weinbergskomplex von uns!“, sagt Anja Stritzinger nur wenige Meter später. Es handelt sich allerdings um die spezielle churfränkische Relativitätstheorie (bzw. besser: -praxis), denn groß ist ja relativ: fast ein halber Hektar am Stück. Aber im Schlossberg hat man selbst das sehr selten, weil dort alles sehr klein parzelliert ist – der kleinste Weinberg der Winzerin kommt auf gerade mal 230 Quadratmeter. Hier, im großen Filetstück, steht im unteren Bereich Spätburgunder in verschiedenen Altersstufen. Der eine ist Mitte der 80er-Jahre gepflanzt worden, der daneben schon in den 60ern. Und dann gibt es noch die jüngeren Aufrebungen, da sind Teile fünf Jahre alt, und die ganz jungen hat die Winzerin in diesem Jahr nachgepflanzt. „In den Jahren davor war es schwierig, die waren zu trocken“, sagt sie und freut sich, in diesem Jahr den richtigen Riecher gehabt zu haben: Wasser gab’s da ja genug. „Es könnte gut werden!“, hofft sie – wenigstens etwas, das geklappt hat nach all dem Ärger mit dem Frost.
Unten Spätburgunder, oben Riesling
Spätburgunder also steht im unteren Teil des Berges, aber was wächst im oberen Teil? Riesling! Für Anja Stritzinger ist es die weiße Hauptrebsorte, die sich da oben am Berg („wo es schon kühler vom Wald her ist“) sehr wohl fühlt. Eine weitere weiße Sorte, die mit dem Namen Stritzinger in Klingenberg verbunden ist, ist der Gewürztraminer. Da ist Willi Stritzinger dran Schuld, ihr Vater. Der war im Hauptberuf Betriebsleiter im seinerzeit noch existierenden Weingut der Stadt Klingenberg, das 2010 an Benedikt Baltes ging. Seit Baltes 2019 zurück an die Ahr ging (wo er mit seiner Frau Julia Bertram in Dernau erfolgreich weitermacht), ist es das VDP-Weingut Steintal. Zurück zu Vater Stritzinger: der hatte sich privat ein kleines Stück Weinberg gepachtet und dort Gerwürztraminer gepflanzt – damals ein Alleinstellungsmerkmal. Die Trauben gibt er zwar zur Verarbeitung ins städtische Weingut – aber da ist ja auch er zuständig, außerdem weiß er beim Kauf des fertigen Weins: das kann nur meiner sein. Aber weil da immer Medaillen mit gewonnen wurden, sprangen andere (allen voran das Städtische Weingut) auf den Traminer-Zug auf: „Eigentlich hat jeder Selbstvermarkter in Klingenberg so eine kleine Traminerfläche dabei gehabt“, sagt Anja Stritzinger – „weil das in den Terrassen eine tolle Sorte ist. Du kannst Auslese, Beerenauslese Trockenbeerenauslese, Eiswein, da kannst du alles im Süßweinbereich machen. Das hat man damit abgedeckt.“
Die rund 24 ha Terrassenrebfläche am Klingenberger Schlossberg wird von ca. 50 Hobby-, Neben- und Vollerwerbsbetrieben bewirtschaftet, rund die Hälfte teilen sich die fünf größten ortsansässigen Weingüter – darunter ist auch Anja Stritzinger. Dass sie ökologisch arbeitet, ist für sie eine Selbstverständlichkeit und auch väterliches Erbe: Vater Willi war schon 1985 Gründungsmitglied des „Bundesverbandes ökologischer Weinbau Deutschland“ und hat nicht nur in Sachen Gewürztraminer die Winzer infiziert. Heute werden in Klingenberg rund 11 ha nach anerkannten Öko-Richtlinien bewirtschaftet. Mit einem Ökoanteil von 30% ist Klingenberg damit prozentual die größte Öko-Weinbaugemeinde in Franken.
Was die Klingenberger Weinberge optisch ausmacht, ist der Dreiklang aus dem steilen Berg (bis zu 100% sagen die Winzer – das entspricht einem Winkel von 45°), Terrassen mit den Weinbergsmauern und Treppen, die oft sehr abenteuerlich anmutend den Steilhang hoch führen. Die Terrassen sind schmal, sehr schmal: nur eine bis zwei Reihen mit Reben haben da Platz. Die Mauern sind einen Meter hoch – und aneinandergereiht reichen sie zwar nicht bis zum Mond, ergäben aber doch eine Länge von über 180 Kilometer (andere sagen: 200 km, weitere andere behaupten: 220 km). Der Zugang zu den Terrassen, die seit 1986 unter Denkmalschutz stehen, ist nur über die Treppen möglich. 250 sind es in etwa, Stritzingers Anteil sind 2.700 Stufen bei rund 8 km Trockenmauern…
Weinprobe am terroir f Churfranken
terroir f heißen die (derzeit 21) magischen Orte des Frankenweins – immer an aussichtsstarken Punkten, meistens architektonisch aufregend und informativ obendrein, denn jeder terroir-f-Punkt widmet sich einem Thema. Beim terroir f-Punkt Churfranken ist das Thema „Winzergold“, es geht hier um Buntsandstein (naheliegend…). Dieser Punkt ist eigentlich eher ein Doppelpunkt, denn er besteht aus zwei Pavillons in ca. 300 Meter Entfernung. Wir waren bei dem in Klingenberg, der eher ein Rast- und Aussichtspunkt ist und sich mit Infos bedeckt hält. Die gibt es etwa 300 Meter weiter (das zählt dann schon zu Erlenbach), wo an Sonn- und Feiertagen auch ein Ausschankpavillon geöffnet hat.
Pech für uns? I wo – denn Anja Stritzinger hatte da was vorbereitet. In luftiger und schattiger Höhe gab es eine kleine Weinprobe mit Vesper und allerbester Aussicht über die Steillage gen Klingenberg.
Als Einstiegswein, schenkte die Winzerin angesichts der Wärme genau das Richtige aus: Riesling Kabinett. Trocken und mit 11% alc für einen Wein schon fast ein reiner Durstlöscher, wozu die dominante Citrusfrucht durchaus beitrug. Wir probierten den 23er Jahrgang, der sich noch entwickelt. „Ich denke, dass er noch ein bisschen reifer wird, es danach wieder Richtung Pfirsich geht“, mutmaßte die Winzerin. Vorausgesetzt, dass der Wein bis dahin nicht ausgetrunken ist…
Riesling hat bei Anja Stritzinge einen Anteil von 30 Prozent – und es ist ihr Lieblingswein, mit dem sie auch Sachen macht, wo andere kurz aufsehen und Huch! sagen. Biologischen Säureabbau beispielsweise.“Das schadet den Weinen überhaupt nicht, im Gegensatz zur meist noch allgemeinen Meinung“, sagt sie. Dass da die Frucht und Frische kaputt gehen? „Alles vollkommener Quatsch!“ Weswegen ihre Rieslinge bekannt dafür sind, dass sie weniger Säure haben, was viele Kunden mögen, weil sie die Säure nicht (mehr) so gut vertragen. Wie auch immer: der Riesling hatte ordentlich Zug und nicht enden wollenden Trinkfluss…
Nach der Lieblingssorte Weiß kommt der Spätburgunder, Jahrgang 2022. Der war ja heiß und trocken und somit durchaus fordernd. Im Weinberg mit reduziertem Ertrag gewachsen – was partiell durchaus wörtlich zu nehmen ist, weil der sich bei den alten Reben in der Anlage von alleine einstellt. Faktisch ist der Wein aber eine altersübergeifende Cuvée mit Trauben von der Junganlage über die 10jährige Anlage bis zur 50jährigen Anlage ist da alles mit dabei.
Im Keller wird ganz klassisch ausgebaut, offene Maischegärung mit händischem Umstoßen – „so wie es die kleineren Betriebe hier in der Region alle machen“. Handarbeit, im Berg wie im Keller. Wobei sich die Winzerin sicher ist: Die Qualität des Weins entsteht in erster Linie im Weinberg. Im Keller könne man die nur noch halten: „Man kann viel verkehrt machen, aber besser machen geht eigentlich kaum“, sagt Anja Stritzinger. Man könne den Wein zwar in eine bestimmte Stilrichtung drängeln, „aber ich finde, so viel Beeinflussung hat man im Keller nicht.“
Als eine ein bisschen umstrittenene Rebsorte bezeichnet Anja Stritzinger den Regent und fügt gleich hinzu: „Ich finde es zu unrecht umstritten!“ Warum diese pilzwiderstandsfähige Sorte umstritten ist? Weil die Weine sehr dunkel sind und dadurch im Kopf ein gewisses Bild vorspiegeln, so dass man denkt: „Das ist ein Bordeaux oder ein Süditaliener!“ Das können und wollen die Weine im Geschmack nicht halten. Aber es gibt sie halt doch, die Entscheidungen im Keller: Anja Stritzinger legt den Regent ins Holzfass, das gleicht den Geschmack im Ergebnis dem an, was das Auge vorgaukelt. Der Wein reifte natürlich nicht in irgendeinem Holzfass, sondern für zweieinhalb Jahre in Barriquefässern aus Klingenberger Eichenholz.
Zum Abschluss der Probe gibt’s Vaters Steckenpferd, einen Gewürztraminer. Der 2023er ist als Kabinett ausgezeichnet, was aber „ein bisschen tief gestapelt“ sei, denn von den Werten sei er eigentlich eine Spätlese. Doch analytische Werte allein machen ja keien Wein, der Geschmack muss ja auch passen:“Also ich habe da schon hohe Ansprüche, wenn was eine Spät- oder Auslese sein soll. Und dann haben wir gesagt, nee, also eigentlich vom ganzen Trinkgefüge her, auch wenn er 13 Volumenprozent Alkohol hat, hat er eher was von einem Kabinett!“, verrät Anja Stritzinger. Weswegen es eben einen bewusst trocken ausgebauten klassisch-würzigen Traminer gibt, der weniger nach Rose und mehr nach Macis schmeckt. Nicht breit, sondern im Gegenteil: lecker!
Weinbau Anja Stritzinger
Bergwerkstraße 19
63911 Klingenberg
Tel: +49 9372 922954
weinbau-stritzinger.de
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Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des Churfranken e.V.
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