Kochen und essen im Wohnzimmer

Kochsternstunden-Besuch im Raskolnikoff – ein Werkstattbericht

Wohnzimmer im Raskolnikoff

Pop-up-Restaurants sind ja nichts Neues, sogar in Dresden gab’s schon mal die eine oder andere Aktion – irgendwann in den 90ern, erinnere ich mich, saßen wir in einem kleinen Eckladen gegenüber der Feuerwache und speisten exzellent – im Rahmen einer Kunst-Aktion!. Aber ein hot spot für die temporären Restaurants ist die sächsische Landeshauptstadt nicht, wo kämen wir denn da hin? Nun haben wir eins, für die Zeit vom 20. Februar bis 29. März 2015 gibt es donnerstags und freitags (oder für Gruppen ab zwölf Personen auf Nachfrage auch an anderen Tagen) das Wohnzimmer im Raskolnikoff. Die Örtlichkeit gibt es seit Ende November vergangen Jahres: Da hatte Ralf Hiener, Betreiber des Raskolnikoff das ehemalige Wohnzimmer unterhalb der privaten Wohnung im Hinterhaus zusammen mit einigen seiner regionalen Lieferanten als Raum für alles Mögliche vorgestellt. Kochkurse finden hier beispielsweise statt – und nun eben auch die Kochsternstunden.

Dem Wohnzimmer merkt man seine Vergangenheit an: Kamin, neben der langen Tafel auch noch Sitzgruppen. Das hat den spannenden Effekt, dass man zwischen den Gängen gerne mal aufsteht, sich in immer wieder neuen Grüppchen zusammenfindet und schwatzt: viiieeel schöner als einmal setzen und von den Leuten am anderen Ende der Tafel nichts hat. An der einen Seite, leicht erhöht, gibt’s sogar ein Sofa (und die Treppe hoch ins Private), auf der anderen Seite eine Küche, in der die vorbereiteten Dinge dann vor den Augen der Gäste zubereitet werden.

raskolnikoff kss15 am KaminAber so weit sind wir ja noch nicht: Unsere 14er-Tafel kam natürlich nicht auf einen Schlag (finde mal einen Parkplatz in der Neustadt!), sondern peu à peu. Also gab’s erst mal einen Aperitif: einen Birnenschaumwein von der Manufaktur Jörg Geiger in Schlat/Göppingen. Die Grüne Jagdbirne stimmte leicht prickelnd auf den Abend ein und setzte schon mal einen der Akzente: es geht um Handwerkskunst, es geht um Erlesenes, es geht auch um unkonventionelle Wege. Handverlesen von Streuobstwiesen sind die Birnen – die, wie so viele der alten Sorten, noch richtig nach Birne schmecken. Die Tafel war für uns vorbereitet: Kerzen, Gläser, Stoffservietten, Brot aus der Neustadt, Lardo, Schinken und hausgebeizter Lachs. Das sah nicht nur schön aus, das schmeckte auch so gut, dass wir –trotz des bevorstehenden Viergang-Menüs – kräftig schnabulierten.

Die VorspeiseWährenddessen werkelte das Viererteam mit und um Ralf Hiener an der Vorspeise. Es tut immer wieder gut, vor Augen geführt zu bekommen, welche Arbeit hinter den scheinbar kleinen Neckigkeiten steckt – und wir bekamen ja nur den letzten Teil mit, vorbereitet waren schon die Terrine, das Häckerle, die Creme. Wenn man sich dann an den Tisch setzen darf und bedient wird (ganz herzlich und vorzüglich, unauffällig und doch stets präsent: Frances!), schmeckt’s gleich doppelt gut. Aber auch ohne vorherigem Hinsehen war Terrine und Häckerle von winterlichen Erdgemüsen mit Sauerrahm und Brabschützer Feldsalatcreme eine wahrlich schmackhafte vegetarische Eröffnung des Abends. Immer wieder schön, den wahren Geschmack der Zutaten zu erkennen und zu genießen! Als begleitenden Wein hatte Ralf Hiener, der seinen Gästen sonst sehr gerne deutsche Weine serviert, einen 2013 Albarino Gundian, Adegas Valdes, Rias Baixas ausgesucht – weil er seiner Meinung nach am besten zur Vorspeise schmecken würde. Und? Passte!

PelmeniBeim zweiten Gang Moritzburger Forellen-Pelmeni in feinem Safransud müssen wir ein wenig ausholen. Indirekt geht’s zurück bis ins Jahr 1866, als Fjodor Dostojewski seinen Roman Преступление и наказание veröffentlichte. Raskolnikoff ist die Hauptfigur des Romans, der im Deutschen meist als Schuld und Sühne zu haben ist, in anderen Ländern aber mit den jeweiligen Äquivalenten zu Verbrechen und Strafe. Aber egal, denn es geht hier nicht um Doppelmord mit der Axt, sondern um Pelmeni im Restaurant mit der Axt als Logo. Pelmeni sind so etwas wie das Markenzeichen des Raskolnikoff, seit Jahren – ach, was schreib‘ ich: seit Jahrtausenden! Also dem vergangenen und diesem, was sonst. 160.000 Pelmeni werden in den Katakomben des Raskolnikoff hergestellt, jährlich. Ein Besuch im Raskolnikoff ohne Pelmeni ist wie kein Besuch – und das wollten wir doch nicht. Beim Kochsternstunden-Menü gab es eine der unkonventionellen Füllungen, bei denen die Bewahrer der sibirischen Kochkunst schier verzweifeln. Aber alle anderen könnten schwärmen wie wir. Weil gerade die ungewohnte, nicht erwartete Füllung dem Gaumen schmeichelte. Und der Sud! Der Sud! Ja, wir sahen vorher, was wir dann auch schmeckten. Butter. Viel Butter. Ohne die, man kann es nicht oft genug schreiben, schmeckt eh alles fad. Was trinkt man zu so einem interessanten Gaumenkino? Im Angebot: 2013 Riesling Halbstück, Weingut Wagner-Stempel, Rheinhessen – ein Wein, zwei Argumente: Riesling und Wagner-Stempel. Da kann man sich fast blind drauf verlassen. Und ja, auch der passte! Gerade die richtige Kombi aus Säure und feiner Restsüße…

Hauptgang: SchweinKleine Pause vor dem Hauptgang. Im Restaurant wäre sie uns zu groß gewesen, hier, mit rumlaufen, am Herd stehen und dazu lernen, schwatzen und gucken war’s gerade richtig. Denn beim Hauptgang sollte was auf uns zukommen: Zart geschmorte Bäckchen und Karrée vom Landschwein in Traubenmostjus, Szegediner Rollgerste mit Buchenpilzen. Beeindruckend das Karrée, ein Riesending, pfannengroß. Deutlich sichtbar ein dicker Fettrand, unterschiedlich strukturiertes Fleisch. „Das Fett schmeckt hervorragend, Sie sollten es probieren!“ riet Ralf Hiener jedem (und jeder!) seiner Gäste. Drei solcher Stücke wanderten durch brutzelndes Fett in der Pfanne und in den Ofen und wieder durch die Pfanne aufs Holzbrett, wo die Streifen so geschnitten wurden, dass man auf dem Teller alle unterschiedlichen Geschmäcker spüren konnte. Wobei, so weit sind wir ja noch nicht, denn ebenfalls fertig gemacht werden live die Bäckchen, die Graupen (mit im Menü gar nicht erwähnten Spätzle) und die Pilze. Die Bäckchen hatten schon einige Stunden im Ofen hinter sich, sie schmorten bei Niedrigtemperatur. Die Sauce (später, als sie auf dem Teller war, hörte man Ausrufe wie „sensationell!“ und „der Hammer!“) war aus drei Ansätzen gezaubert. So viel Zeit muss manchmal sein. Die Graupen (aka Szegediner Rollgerste) stammten aus den Breslauer Markthallen, sie hatten die Nacht über mit Paprikasauce verbracht und Schamesröte angenommen. Hinzu kamen frisch geschabte Spätzle: Regional heißt auch, die unterschiedlichen Regionen miteinander zu verbinden. Dies alles dauerte – und es war gut zu sehen, dass es dauerte. Nichts ist fertig, alles wird frisch gemacht oder wieder zu frischem Leben erweckt, natürlich toll arrangiert auf dem Teller zu einem Bild. Als diese Teller erst einmal am Platz waren, war das Gaumenkitzel pur, und selbst die Kenntnis über das Fett am Karrée, und die hinzugegebene Butter („hol mal bitte schnell noch ein Stück aus dem Lager!“) waren kein Hindernisgrund. Im Gegenteil. Gab’s dazu Wein? Na klar: Wieder ein Rheinhesse, aber nun ein Roter: 2010 Spätburgunder „Großes Holzfass“, Weingut Battenfeld-Spanier.

DessertWie schön, dass man während des Essens nicht merkt, wie man langsam richtig satt wird – und wie schön, wenn es zur Überredung dieses Gefühls dann eine Dessertvariation „Mrs.Brown“ aus Schokolade, Kaffee und Nougat gibt, die alle erdenklichen Schlupflöcher im gefüllten Magen ausfindig macht und eine geballte Ladung Schoko-Glückseligkeit verbreitete. Eis, Mousse, versteckt im Knödel – uns egal, wie haben Mrs. Brown in allen Varianten gekillt. Und weil Obst gesund ist, folgten wir der Devise one apple a day keeps the doctor away und genossen auch den Apfel dazu. Außerdem nahmen die Geschmacksnerven trotz Geisterstunde mit Freuden wahr, dass ein 2003 Sauternes, Louis Eschenauer, Grand Vin de Bordeaux wahrlich nicht die schlechteste Wahl für ein Mitternachtsschokodessert ist.

Raskolnikoff / Ralf Hiener

Wohnzimmer im Raskolnikoff
Böhmische Straße 34
01099 Dresden

Tel. 0351.8045706
www.raskolnikoff.de

Öffnungszeiten für die Kochsternstunden 2015 (Reservierung empfohlen):
Do und Fr ab 19.00 Uhr. Für Gruppen ab 12 Personen auch individuell vereinbar.
3-Gänge-Menü 39,00 € (inkl. Weinbegleitung 54,00 €) 
4-Gänge-Menü 46,00 € (inkl. Weinbegleitung 65,00 €)

[Besucht am 4. März 2015 im Rahmen der Kochsternstunden | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]

1 Kommentar

  1. Ich kann auch den Kochkurs bei Ralf Hiener wärmstens empfehlen. Heute abend gibt’s bei uns das Zicklein-Menü, das wir am letzten Sonntag dort gelernt haben. Auch habe ich keine Angst mehr vor ‚großen Fischen‘!
    Eine begeisterte Kochschülerin

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