Ambitioniertes in der Oberlausitz

Kochsternstunden 2024: Pavillon Neugersdorf

Pavillon Neugersdorf

Drei Quellen hat die Spree, wir waren an der ergiebigsten, genauer: direkt daneben im Pavillon Neugersdorf. Dort will das Team um Wolfgang Berndt mit den beiden jungen Köchen Erik Heider und Nico Ellger den Gästen während des Menüwettbewerbs Kochsternstunden zeigen, was sie drauf haben. In der Vorankündigung gehen sie das selbstbewusst an: „Wir praktizieren mit viel Liebe einen Crossover aus traditioneller, moderner und teilweise experimenteller Küche„, heißt es da – aber wem das zu wild erscheint, der wird gleich wieder eingenordet: „Vieles ist möglich, aber schmecken muss es!“ Klingt doch erst mal gut, weswegen wir den Ausflug aus Dresden in die Oberlausitz unternahmen, um uns (nochmal aus der Vorankündigung) „formidabel unterhalten [zu] lassen„.

NeugersdorfWir gingen – das sei am Rande erwähnt und durchaus zur Nachahmung empfohlen – die formidable Unterhaltung ganzheitlich an: vor dem Essen am (frühen) Abend erkundeten wir die Stadt der Umgebindehäuser. Viele sind sehr sehr chic, andere warten auf den Dornröschenkuss. Und dann gibt es natürlich auch beim Bummel durch die kleinen Straßen das zu sehen, was Fotografen gern den Charme des Verfalls nennen. Das Ziel der Stadterkundung ist dann freilich auch nett zu fotografieren – aber eher wegen einer positiven Optik – der 1927 errichtete achteckige Pavillon, dessen Durchmesser über 16 Meter misst und der in seiner Spitze etwa zehn Meter hoch ist, wurde 1991 umfangreich saniert. Die jetzigen Betreiber sind noch nicht lange dort – seit vergangenem Frühjahr. Bei den Kochsternstunden macht das Team – zu dem bei unserem Besuch neben den Genannten auch Vanessa im Service gehört – zum ersten Mal mit.

Das vorgesehene Vier-Gang-Menü liest sich ambitioniert und geht auch über das hinaus, was sonst auf der Karte steht. Wobei wir als neugierige Aushangkartenleser schon das ganz spannend (und gegebenenfalls einen Folgebesuch wert) fanden: hausgemachte Wildsülze reizten uns ebenso wie Wiener Schnitzel (natürlich das echte vom Kalb) – und alles zu Preisen, von denen man in der großen Stadt nur träumen kann. Also waren wir gespannt, ob die Küche das bisschen Mehr im Menü schaffen würde.

JakobsmuschelLos ging’s mit In Butter geschwenkte Jakobsmuschel auf Wakame an Weinschaumsauce und Kaviar von dunklem Balsamico. Von der Ansage klang das recht – wie sagt man:? – altbacken. Die Köche halten es ja heutzutage oft so, einfach die Hauptzutatenliste aufzuzählen. Also: Jakobsmuschel | Wakame | Balsamico | Wein. Gewöhnen kann man sich an beide Varianten – und letztendlich kommt es ja auf den Geschmack an. Das sagen sich die beiden jungen Köche (beide 27 Jahre) offenbar auch, denn sie reizt das Austesten von Grenzen. Und so schicken sie die Jakobsmuscheln (perfekt in der Butter gegart: saftig bis kurz vor der Glasigkeit) zwar etwas altmodisch in der Schale – aber hey: vielleicht wissen die Jüngeren ja gar nicht mehr, wie die aussehen, weil es immer nur den losgelösten weißen Muskelstrang (die Nuss) gibt und vielleicht selten mal den Rogen. Und ja: das Symbol des Jakobswegs ist der Muschel nachempfunden. War also doch nicht alles blöd früher®Wakame unter dem scallop geht immer, hat uns auch nicht überrascht. Aber Kaviar vom Balsamico? Das klingt nach leichten Experimenten in Richtung Molekularküche! Optisch hatte das was von Lachkaviar, dem aber geschmacklich die Salzigkeit fehlt (was im Zusammenspiel mit der sanften Jakobsmuschel ja mehr als in Ordnung ist). Und da es kein bisschen nach Balsamessig schmeckte, waren wir zufrieden: nette Spielerei! Die Weinschaumsuppe, in der die Jakobsmuschel lag, ließ uns zuerst nach einem Löffel suchen. Aber es war schon korrekt, dass der am eingedeckten Platz erst an der Stelle fürs Dessert lag: wir brauchten ihn nicht, die Suppe war ein gut mit der Muschel mitzunehmender Schaum. Stabil.

Die WeineSo viele Gedanken zu so einer kleinen Vorspeise! Ja doch, das spiegelt unsere angeregte Diskussion am Tisch – und die zeigte, dass man nicht voreilig urteilen und die Dinge in Ruhe angehen lassen sollte. Und Essen, das zum Reden anregt, ist zwar nicht in Knigges Sinn (mit vollem Mund und so…) – aber macht Spaß. Und nicht nur das Essen war gesprächsfördernd, auch der Wein (jaja, der sowieso). „99 % der in unserem Lokal ausgeschenkten Weine stammen aus biologischem Anbau, weil wir davon überzeugt sind!“, lasen wir bei den Vorbereitungen auf den Besuch auf der Kochsternstunden-Webseite und fanden das in mehrerlei Hinsicht gut, denn es gibt ja immer noch Leute, die glauben, Bio-Weine seien per se irgendwie komisch – was natürlich Quatsch ist. Gute (und nicht so gute) gibt es unabhängig von der Art der Bodenbewirtschaftung. Und natürlich gefiel uns das Statement, weil wir davon überzeugt sind. Bleibt die Frage: gefielen uns auch die Weine? Klare Antwort: Nu! Einerseits, weil sie zum jeweiligen Gang passten (also der Grauburgunder sich eher zurückhaltend zeigte, während die anderen drei gewünschte Kante zeigten).

ZiegenkäseAm meisten geredet haben wir über den Rosé, der zum Ziegenkäse vom VDP-Betrieb Staatsweingut Weinsberg kam. Als unsere Bedienung Vanessa ihn ansagte, hatten wir (sorry…) nicht aufmerksam genug hingehört, aber es blieben zwei genannte Rebsorten hängen: Lemberger und Dornfelder. So weit, so württembergisch. Auf dem Rücketikett lasen wir dann aber: „Ein eleganter, fruchtiger Rosé aus einer neu entwickelten widerstandsfähigen Rebsorte, die für den ökologischen Weinbau besonders geeignet ist.“ Und das erregte natürlich unser Interesse, denn der Rosé konnte was, er ließ sich vom mit Bienenhonig gratinierten Ziegenkäsetörtchen nicht unterkriegen – im Gegenteil. Und da begann ein Schlaumacherprogramm, das sich auf der Zugfahrt zurück nach Dresden (geht fix und macht kein schlechtes Gewissen bei der Weinbegleitung!) zum Bild formte: Weinsberg – das ist ja vor allem die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau – und da wird nicht nur seit über 150 Jahren gelehrt, sondern seit 1907 auch geforscht. Bei der Rebzüchtung entstanden beispielsweise 1955 der Dornfelder (benannt nach dem Gründer der Schule), der auch in der im Rosé genutzten Traube drin ist: Die Sorte entstand durch Kreuzung 1994 und hieß lange unromantisch im Züchtersprech WE 94-26-37, läuft aber mittlerweile als pilzresistente Sorte (PiWi) auch unter dem etwas gefälligeren Namen Levitage. Die Weine der Quintessenz-Serie sind übrigens ein Kooperationsprojekt des Staatsweinguts Weinsberg gemeinsam mit Riegel Bioweine und Alnatura…

RehrückenZum Hauptgang verfielen wir, nach all der Diskutiererei, dann in den reinen Genussmodus mit kleinen Anmerkungen. Nicht ganz unschuldig daran war der Wein zum Hauptgang (und, ehrlich gesagt: als Zusatzorder auch danach – wir fuhren ja Bahn!): ein 2017 Equinox von den Bonterra Vinyards im Mendocino County (Kalifornien). Der Name des Weinguts ist Programm: Bonterra – gute Erde. Bonterra ist Amerikas Bio-Weinkellerei Nr. 1, die Fetzer-Familie setzte bereits 1987 auf Bioanbau. Der Wein im Glas ist eine Cuvée aus Merlot, Petit Syrah und Syrah – kraftvoll-würzig und harmonisch rund. Passend zum Rehrücken und, wie angedeutet, zur Pause danach. Zum Rehrücken gab es Kräppelchen aus Süßkartoffeln, was überraschend gut passte und nur einen Hauch von Striezelmarkt im Kopf assoziieren ließ. Der zarte und auf den Punkt gegarte Rehrücken war mit Schwarzwaldschinken bardiert. Das sorgte für Gesprächstoff: braucht das Reh den kräftigen Mantel? Warum nicht, schön krossen Speck! als Pro-Argument stand dem gar nicht so weit entfernten Contra entgegen: Das zarte Reh und der salzige Speck vertragen sich doch gar nicht! Manche Probleme lassen sich argumentativ nur schwer lösen – vielleicht, weil sie ja gar keine sind, sondern nur Geschmacksache…

ApfelWie gesagt, wir hatten um eine Pause gebeten, um nicht zum früheren Zug hetzen zu müssen, sondern den nächsten in Ruhe zu erreichen. Das Dessert kam dann pünktlich auf die Minute zum gewünschten Zeitpunkt – und es war ein wirklich regionaler und krönender Abschluss. Variationen vom Bratapfel liest sich ja erst einmal eher beliebig, aber wie so oft: es kommt darauf an, was man draus macht. Ein Apfel, verschiedene Texturen und Geschmäcker und trotz Ansage eine Überraschung in Form des (hausgemachten) Bratapfellikörs. Kurzfristig hielten wir uns für peinlich, weil noch ein Rest Rotwein im Glas war, Vanessa (immer wie es sich gehört: vor dem jeweiligen Gang!) den passenden Wein ausgeschenkt hatte und dann auf dem Teller auch noch das Likörglas stand. Aber gut, uns kennt hier ja keiner (außer der Gruppe Dresdner, die im anderen Raum saß)… Wie auch immer: der Bratapfellikör war zum Küchlein nahezu ein Muss – in der Toskana gibt es ja auch Cantucci und Vin Santo. Dass das Parfait in einer Schoko-Halbkugel lag, die offenschmecklich selbst gemacht war, fanden wir gut – dass die aber zweischalig war und noch ein wenig Mousse vom Apfel (das ist kein Apfelmus!) zwischen den Schichten verbarg, lief dann schon unter der Kategorie supertoll.  Der Dessert-Wein im Pavillon kam aus Südfrankreich, ein 2021 Muscat de Rivesaltes. Der hätte auch ganz gut zum Ziegenkäse gepasst, fanden wir – aber die getrockneten und sehr aromatischen Apfelspalten wehrten sich auch nicht bei der Begleitung…

Menu

  • In Butter geschwenkte Jakobsmuschel auf Wakame an Weinschaumsauce und Kaviar von dunklem Balsamico
  • Ein mit Bienenhonig gratiniertes Ziegenkäsetörtchen auf hausgebackenem Crossini an Wildkräutern und Beerenvinaigrette
  • In Schwarzwaldschinken bardierter Rehrücken auf Erbspüree an Süßkartoffelkräppelchen und Portweinsauce
  • Variationen vom Bratapfel, bestehend aus Spalten vom Bratapfel, Bratapfelparfait, Bratapfelküchlein und hausgemachtem Bratapfellikör

Weinbegleitung

  • 2021 Grauburgunder, Weingut Pix, Baden
  • 2022 Quintessenz rosé, Staatsweingut Weinsberg, Württemberg
  • 2017 Equinox, Bonterra Vinyards, Mendocino County, Kalifornien
  • 2021 Muscat de Rivesaltes, Domaine Cadez, Vin Doux Naturel

Preis

  • Menü 69,50 € | Weinbegleitung (je 0,1 l) 18,70 €

Pavillon Neugersdorf
Volksbadstraße 15,
02727 Ebersbach-Neugersdorf

Tel: +49 3586 – 7073456
pavillon-neugersdorf.de

Öffnungszeiten:
Do–So: 11-14 und 17–23 Uhr

[Besucht am 18. Februar 2024  | Zur Karte der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung] .
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Hinweis:
Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.

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