
Wieviel Mut braucht es eigentlich, in der Pause nach drei von fünf Einaktern von „Kennst Du das Land, wo die Optionen blüh’n?“ zum hilfreichen (und ehrenamtlich arbeitenden) Personal zu gehen und zu fragen: „Wo steht das denn eigentlich bei Kästner, was wir bislang gehört und gesehen haben?“, in Verbindung mit nur leicht verschämtem „Ich kenne nämlich gar nicht alle Texte von ihm…“ Und wie schön ist es, aus berufenen Mündern zu hören: „Ist nicht schlimm, das sind nämlich gar keine Texte von Kästner – die hat alle der Wolf-Dieter Gööck geschrieben!“ – mit der Ergänzung der Kollegin, dass die fünf Geschichten in Anlehnung aus solchen in Kästners Erzählband „Der Herr aus Glas“ entstanden seien. Die fragende Dame zweigte sich erleichtert und hatte was dazu gelernt, der mithörende Journalist war heimlich ebenso erleichtert (weil zuvor von ähnlichen Zweifeln geplagt) und schon beim Warten auf den Bus nach der Vorstellung ins flugs elektronisch bestellte und somit sofort lesbare Buch vertieft.
Kästner, den kennen die meisten eben nur sehr halbherzig (zur schnellen Selbst-Überprüfung hier entlang). Das ist nicht schlimm, aber schade, denn der Herr Erich K. konnte ja schreiben und hatte auch was zu sagen. So gesehen ist es aber auch nicht schlimm, dass er nur mittelbar zu Wort kommt, denn der Herr Wolf-Dieter Gööck hat ja auch was zu sagen, und auch ohne „Autor von Weltgeltung“ zu sein (die Wikipedia über Kästner), ist er ein sehr guter Schreiber. Zumindest versteht er seine Botschaften publikumsnah zu formulieren – und sollte jemand anwesend gewesen sein, der sie (die Botschaften) nicht mit ihm teilt, so hat man’s nicht bemerkt. Zumindest am hier schon mal vorweg genommenem Ende des Abends gab es nämlich ziemlich herzhaften und lang anhaltenden sowie obendrein berechtigten Beifall für alle. Das war deutlich mehr als Premierenhöflichkeit.
An dieser Stelle muss man vielleicht der großen staunenden Mehrheit erklären, was es mit der Serkowitzer Volksoper auf sich hat, zumindest ganz kurz. Serkowitz, zuallererst, ist ein Ort zwischen Dresden und Radebeul. Dass es dort ein Lügenmuseum gibt, ist Zufall, aber vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall ist der Herr Gööck dem Ort arg verbunden. Und die Volksoper – vom Texte schreibenden und sonor Bass singenden Wolf-Dieter Gööck zusammen mit dem Musikwissenschaftler und Dirigenten des Volksopernorchesters Musi nad Labem Milko Kersten 2011 als freie Musiktheatertruppe gegründet – ist ein veritabler Zwitter: Oper auf jeden Fall, weil die Mitmachenden allesamt bestens ausgebildet sind und außerhalb des Serkowitzer Vergnügens das auch andernorts zeigen. Aber auf der anderen Seite auch immer ein wenig keck und bisweilen despektierlich, denn da werden munter Stile gemischt und dem Volk aufs Maul geschaut (ihm aber auf gar keinen Fall nach dem Mund reden).

Es geht (Kästner eben!) in den fünf Einaktern um die Sorgen und Nöte der einfachen Leute in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – aber wie man schnell merkt, ist das alles auch im Hier und Jetzt nicht so ganz weit weg (Kästner eben!). Es sind fünf Solo-Stücke, die sich aneinander reihen. Und bei denen am Ende nicht nur Kästner die Steilvorlagen gab, sondern auch die Gebrüder Grimm ihren bislang in dieser Sicht wohl unentdeckten Anteil am Dauerthema Migration haben. Denn die Geschichten um und mit Dalg (Cornelius Uhle, Bariton), Paula (Dorothea Wagner, Sopran), Fritz (Marie Hänsel, Sopran), Mia (Julia Böhme, Alt) und Krügel (Wolf-Dieter Gööck, Bass) enden gleichermaßen in der Erkenntnis: raus, weg von hier – mit dem Schiff in die Welt. Auf der Stelle!
Musikalisch geben sich die Volksoperianer keck wie immer und rauschen durch die Genres, als ob es nichts wäre. Da staunt das Bildungsbürgertum, aber das weitgehend genau diesem angehörige Premierenpublikum wusste die Achterbahnfahrt zu genießen. Und dank Programmheft gab es auch für die Nicht-Insider Nachhilfe, so dass wir zitieren können und nun wissen, dass „das 18. Jahrhundert mit dem Kreuzschüler Carl Heinrich Graun vertreten ist, dicht gefolgt von Felix Mendelssohn Bartholdy, der die Romantik vertritt. Paul Aron hat mit seiner legendären Konzertreihe „Neue Musik Dresden“ die Stadt ordentlich bereichert, was sie ihm nicht gedankt hat. Ein vertriebener, nahezu vergessener jüdischer Sohn Dresdens. Eine Schwester im Geiste und holländische Zeitgenossin war Rosy Wertheim. Letztes Jahr durch uns entdeckt, bekommt sie sofort eine zweite Chance. Emmerich Kálmán und auch Hermann Leopoldi, großartige Operetten- und Chanson-Komponisten der 1930er Jahre, zeigen den musikalisch-satirischen Weg hin zur Gegenwart auf. Um selbige zu repräsentieren, kreuzen wir fröhlich zu Dave Brubeck und Pink Floyd.“ Verantwortlich dafür, wie immer, war (und ist) Milko Kersten, der wie gewohnt die Musik arrangiert hat. Im Minimalorchester „Musi nad Labem“ bedient er die Tasten. Außer ihm dabei Daniel Rothe (u.a. Klarinetten), das Akkordeon-Duo Anika und Aline Cyrnik sowie die die alternierend agierenden Percussionisten Björn Stang und Ulrich Grafe.
Wie eingangs bereits erwähnt: Am Ende waren alle begeistert. Und zwischendurch auch, wie freundliche Gesichter und offener Szenenbeifall zeigten. Was diese 14. Saison der Serkowitzer Volksoper durchaus von den vorangegangenen abhebt – da waren wir ja in den ersten Teilen oft weniger angetan…
Infos
Wir waren zur Premiere von Kennst Du das Land, wo die Optionen blüh’n? am 19. Juni in der Saloppe vor Ort, weitere Termine :
Sonntag, 23. Juni 2024 (Doppelvorstellung) | Montag, 24. Juni 2024 | Mittwoch, 26. Juni 20024 |
Sonntag, 11. August 2024 (Doppelvorstellung) | Montag, 12. August 2024 |
Sonntag, 18. August 2024 (Doppelvorstellung) | Montag, 19. August 2024
Beginn jeweils 19.30 Uhr (Einlass ab 19 Uhr), am 2. und 16. Juli 2023 zusätzlich 15 Uhr (Einlass ab 14:30 Uhr)
Ort: Sommerwirtschaft Saloppe, Brockhausstraße 1, 01099 Dresden
Preise im empfohlenen Vorverkauf 18 € – 32 €/ermäßigt 12 € – 24 € (je zzgl. VVK-Gebühren)
Hinterlasse jetzt einen Kommentar