Die Begrüßung findet im Garten des Weinguts statt – und dort warten nicht nur der Quereinsteiger und Weingutsbesitzer Andreas Schnürr, sein Sohn Benedikt und die Weinjournalistin, Mikro-Winzerin, Nachbarin und bei unserem Besuch Moderatorin bei der Verkostung gereifter PIWIs, Kristina Bäder. Denn außerdem sind in Sicht- und Rufweite auf dem Rasen: Schafe, dekorativ frei laufend und brav. So in etwa sah’s aus im Weingut Wohlgemuth-Schnürr im rheinhessischen Gundersheim – im Herzen des größten weinbautreibenden Landkreises der Bundesrepublik Deutschland, wie man entweder sowieso weiß oder es der Webseite der Gemeinde entnehmen kann.
Keine Begrüßung ohne Winzersekt: herrlich! Im Glas hatten wir einen mineralisch-frischen Winzersekt (Flaschengärung, mehr als ein Jahr auf der Hefe), der aus der Calardis Blanc gemacht wurde. Diese Sorte (Kreuzungsjahr 1993, Sortenschutz 2018/19) haben der kurz zuvor besuchte Rudolf Eibach und Reinhard Töpfer am Geilweilerhof in Siebeldingen gezüchtet. „Aus meiner Sicht das interessanteste Kind vom Geilweilerhof“, meinte Andreas Schnürr, und zwar sowohl vom Resistenzmechanismus als auch vom Weinstil, der „gut in die heutige Zeit passt“.
Schnürr ist ursprünglich Landwirt und hat Betriebswirtschaft studiert. Zum Wein kam er zwar nicht wie die Jungfrau zum Kind, aber doch irgendwie eher zufällig, weil er mit seiner Partnerin Alexandra Damm eine Wohnung im Weingut fand. So begann die Weinliebe, die über zwei Hobby-Wein-Berge zum Vollerwerbswinzertum führte. 1995 stieg die Familie ins Weingut Wohlgemuth ein, seit 2000 nach gleitendem Betriebsübergang sind sie komplett verantwortlich. „Wir wussten also ganz klar, worauf wir uns einlassen!“, resümmiert Schnürr: kaum ein freies Wochenende, keine 38-Stunden-Woche – dafür aber ein Lebenswerk und im Rückblick auch die Erkenntnis: „Ich würde den Weg genau so wieder gehen!“
Momentan „rutschen wir ganz langsam in den Generationswechsel“, sagt der dann-bald-Senior, und Sohn Benedikt hört aufmerksam zu. Er studierte nach erfolgreicher Winzerlehre in Geisenheim, sein Bruder Tristan beendet gerade seine Winzerausbildung an der Mosel und in der Pfalz – und Laurent geht noch zur Schule. Benedikt will nach dem Ende des Studiums (die Abschlussarbeit steht noch aus) im elterlichen Betrieb loslegen. „Wird Zeit!“, meinte er schmunzend.
Rund 17 ha Rebfläche gehören zum Weingut, davon sind rund 60% mit PIWIs bestockt. Seit 2009 pflanzen sie diese Neuzüchtungen an, ein Experiment damals. Rückenwind bekam die Idee durch die Flurbereinigungen 2012 und 2016 – da wird eh tabula rasa gemacht, weil alles gerodet und neu angepflanzt wird. „Seitdem sind wir immer weiter in dieses Thema gegangen, wenn ein weiterer Weinberg zur Neupflanzung anstand.“ Was dabei nicht geklappt hat: die Rebsortenstruktur des Weinguts zu verschlanken. Zehn PIWI-Sorten sind es mittlerweile – „was im deutlichen Widerspruch zur ursprünglichen Idee beim Einstieg ins Weingut steht, die Liste zu komprimieren“, bekennt Schnürr – aber das habe auch deswegen nicht funktioniert, weil sie einfach zu experimentierfreudig seien. „Wir haben spannende Typen entdeckt, mit denen man Neues probieren konnte!“
60 % PIWI heißt ja auch: 40 % sind es nicht. Unter den traditionellen Rebsorten fällt der Malvasier besonders auf, den es in Deutschland mit wenigen Hektar nur noch in Rheinhessen gibt (aus Gründen: Martin Luther soll genau diesem Wein weiland in Worms Trost suchend zugesprochen haben und des Lobes voll gewesen sein – zum 500. Jubiläum der Reformation wurde die Sorte dann in Rheinhessen wieder angebaut. Ansonsten sind es halt die klassischen Sorten Grauburgunder, Riesling, Chardonnay, Spätburgunder. „Wir werden den PIWI-Gedanken weiter verfolgen, aber die klassischen Sorten auf jeden Fall behalten!“, betont Andreas Schnürr.
Warum aber überhaupt PIWIs? Nachhaltigkeit sei zwar ein abgedroschener Begriff, erklärt Andreas Schnürr, aber „der einzige Weg, beim Weinbau Pflanzenschutz zu sparen, ist der, mit Sorten zu arbeiten, die keinen oder wenig Pflanzenschutz brauchen!“ Stand heute sparen sie 75–80% Pflanzenschutz ein, aber der beste Pflanzenschutz sei natürlich der, den man gar nicht brauche. Null Pflanzenschutz sei aber zu riskant – auch weil ja (Stand 2023) nur auf 3,1% der Anbaufläche in Deutschland PIWIs stehen, seien ein bis drei Behandlungen gut gegen den Rückgang der Resistenz.
Verkostung gereifter Piwis
Zur Probe standen gereiftere PIWI, jeweils im Vergleich mit einem aktuellen Jahrgang. Gereift hieß hier: Weine bis hin zum Jahrgang 2014. Kristine Bäder (die ich übrigens 2012 auf dem Weißen Hirsch kennen gelernt hatte: sie war da Chefredakteurin des Sommelier Magazins und schrieb die Titelgeschichte über Stefan Hermann und Jens Pietzonka – ich steuerte die Fotos bei) moderierte die Probe. Ihr Eingangsstatement: „PIWIs stehen ja oft unter Generalverdacht, nicht so viel zu können wie die traditionellen Sorten.“ Vielfältiges Kopfnicken signalisierte: genau so haben wir sie im Gedächtnis, diese Weine. Aber einerseits sei die Zucht ja nicht stehen geblieben, man dürfe sich geschmacklich halt nicht immer an die erste Generation erinnern… Und andererseits müsse man sich trauen, die neues Sorten in die wirklich guten Lagen zu pflanzen und nicht in die schlechten, wo sonst nichts wächst. Daher haben die Schnürrs in den Top-Lagen Höllenbrand, Morstein, Brunnenhäuschen – wo VDP- und andere Weingüter ihre Rieslinge haben – neben ihren klassischen Rebsorten eben auch die PIWIs stehen. „So haben wir die Möglichkeit zu zeigen, wie PIWIs performen, wenn sie in den richtigen Lagen sitzen!“, sagt Andreas Schnürr.
- 2022 Calardis Blanc, brut, Flaschengärung (vorab zur Begrüßung)
- 2020 Sauvignac trocken
2023 Sauvignac trocken
Sauvignac ist beim Weingut noch nicht so lange im Anbau, daher ist der älteste Jahrgang von 2020. Züchtung von Valentin Blattner (der Schweizer Züchter) und Volker Freytag (der Rebschul-Leiter aus der Pfalz) – Riesling, Sauvignon Blanc und amerikanische Wildrebe als Resitenzpartner. Geschmacklich: „wenn Sie die blind in die Sauvignon Blanc Probe stellen, geht das als Pirat 1A durch!“ Gute Alernative also. 2020 war warm und trocken, daher sehr aromatisch – aber er steht da wie ein Youngster. ’23 war auch warm, aber nicht so trocken. Einer der besten Sauvignac-Jahrgänge bisher. - 2019 Cabernet Blanc trocken
2022 Cabernet Blanc trocken
Cabernet Blanc liegt bei den PIWIs im Weißweinbereich weit vorne – auf Basis von Cabernet Sauvignon gezüchtet (mit Regent gekreuzt, ebenfalls von Valentin Blattner mit Selektion von Volker Freytag), zeigt das Kühl-Aromatische. Damit der Wein nicht zu laut wird: reif gelesen und mindestens für neun Monate in gebrauchten Barriques gereift, so dass das Grüne verpackt wird mit ganz viel Schmelz – 2019 war der erste Jahrgang im Holz. Ein Wein der „auch uns Spaß macht“ und der ein idealer Essenbegleiter ist. - 2016 Muscaris trocken
2023 Muscaris Feingeist
Muscaris ist auf Muskateller-Basis gezüchtet (Norbert Becker, Staatliches Weinbauinstitut Freiburg), Partner ist Solaris. Das Ergebnis ist eine Bouquet-Sorte, die im Süßwein-Bereich extrem gut funktioniert. Aber wir probieren ihn in trockenem Ausbau aus dem Jahr 2016 im Vergleich zum 23er, der Freigeist heißt. Warum? Weil er zwar trocken ist, aber immer an der Grenze zum Halbtrockenen liegt. „Feingeist passt zur intensiven Frucht und man muss nicht trocken oder halbtrocken drauf schreiben“, meint der Winzer. Eigentlich ist der Muscaris eine frühe Sorte, aber man könne ihn ewig hängen lassen ohne Botrytis. Das Bukett beim 16er ist noch gut erhalten, er ist richtig frisch und zeigt null Alterungsnoten. - 2014 Prior trocken
2022 Prior trocken
„Wir wundern uns, dass man so wenig davon hört, denn Prior ist super-unkompliziert im Anbau!“, läutete Kristina Bader das Kapitel für diesen Rotwein ein, den kaum jemand aus der Runde zuvor kannte. Aber auch die Aromen stimmen bei diesem „Kind des Spätburgunders“ (gezüchtet von Norbert Becker, Staatliches Weinbauinstitut Freiburg). Die Sorte ergibt einen „unkomplizierten Rotwein mit Anspruch, der eine schöne Tanninstruktur aufweist“. Intensiv in der Farbe. Der 2014er zeigt sich mit bräunlicher Note – aber ansonsten riecht und schmeckt man noch deutliche Frucht. Prior gehört zur 2. PIWI-Generation, hat Doppelresistenzen. Auch die Kirschessigfliege geht (bei Wohlgemuth-Schnürr zumindest) nicht ran: „Null, auch in schwierigen Jahren nicht!“. Aus der Abteilung Nebenherwissen zum Angeben erfahren wir: die Trauben haben zwar harte, aber elastische Schalen und springen zurück wie ein Flummy, wenn man sie auf den Betonboden fallen lässt. - 2014 Cabertin trocken
2021 Cabertin trocken
Cabertin im Glas – und man riecht es gleich: das ist eine Kreuzung zwischen Cabernet Sauvignon und Regent. Gezüchtet wurde die neue Rebsorte vom Schweizer Rebenzüchter Valentin Blattner. Die Selektion erfolgte in der Rebschule Freytag. Reagiert jedes Jahr anders, von schokoladig (2020) bis mehr Paprika-Aromen (2021). Der 14er Jahrgang zeigt Säurestruktur (kühles Jahr, feucht – große KEF-Problematik – damals traurige Premiere: eine Reifeproblematik). Das Grüne ist beim 14er eingebunden, „der ist aber noch nicht am Ende seiner Entwicklung!“ - 2016 Muscaris lieblich
2023 Muscaris lieblich
Nochmal weiß, nochmal Muscaris – aber lieblich. 2016 zeigt, wie die Sorte reift. Ohne typische Alterungsnote, Frucht und Säure sind super-präsent, der Wein ist süß, aber nicht klebrig. Total charming, Tendenz: das ist gefährlich! Ob er deswegen wie geschnitten Brot läuft?
Weingut Wohlgemuth-Schnürr
Katzensteiner Straße 45
67598 Gundersheim /Rheinhessen
Tel. +49 6244 / 309
wohlgemuth-schnuerr.de
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Hinweis:
Die Recherche wurde unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).
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