Was machen Gastwirte, wenn sich jemand zu einem Abend anmeldet – und dann nicht kommt oder, in der sarkastisch gesagt: höflicheren Variante, zwei Minuten vor Beginn absagt? Sie ärgern sich. Sie hatten Tische gedeckt, sie hatten eingekauft, sie hatten anderen Interessenten abgesagt, weil voll nun mal voll ist. Wie geht man mit solchem Ärger um? Eine köstliche Variante erlebten wir jetzt am Wochenende. Und zwar köstlich in allen Bedeutungen des Wortes.
Wir waren in Radebeul bei Gräfe’s Wein&fein – dem Restaurant, das wir 2014 etwas überrascht als kochfreies Restaurant einstuften (weil ohne dedizierten Koch) und 2015 immer noch ein wenig verwundert Manchmal-Restaurant nannten, weil es im Feinkostladen eben nur manchmal wie in einem Restaurant zugeht – in diesem Restaurant also erlebten wir einen aufgekratzten Matthias Gräfe, der sich den Absage-Ärger lachend von der Seele redete und im gleichen Atemzug versprach, dass es nun besonders lustig und köstlich zugehen solle – damit sich die Fortgebliebenen so richtig ärgern könnten. Außerdem – es waren ja nun Plätze an der langen Tafel frei – hätte das Team gerade beschlossen, den Abend noch familiärer als eh schon immer zu gestalten: Nicolle Kirsten, die in der Küche fürs Essen zuständig ist, und er würden sich einfach mit an den Tisch setzen und mitessen.
Sehr schön, wenn die Gastgeber nicht nur selber kochen, sondern auch selber genießen. Bravo!
Matthias Gräfe ist, was Weine anbelangt, ja ein Wissender und obendrein ein dieses Wissen locker-amüsant weitergebender Genießer. Und er muss seine Gäste mögen, so nett wie er kalkuliert (und dennoch großzügig ausschenkt). Das Kochsternstunden-Menü in vier Gängen (39 €) wird mit Weinbegleitung 16 € teurer – aber dafür kommen fünf sehr ausgewählte Weine ins Glas (für die Pedanten: in die Gläser). Aber bevor es losging, also sozusagen noch im Stehen, durften die Gäste sich für einen von zwei Aperitifen entscheiden (je 5 €): Wir nahmen nicht eins der letzten Gläser mit dem Kochsternstundensekt „Perlenspiel“, der mit Vanille und Sanddorn zusammen gereicht wurde: kannten wir doch schon! Aber die 1964er Geisenheimer Hoher Rech Riesling Auslese, Horz, Rheingau hatten wir vorher noch nie – und werden wohl hinterher auch nicht mehr in den Genuss kommen. Ein Riesling, älter als die meisten der anwesenden Gäste – aber wenigstens genau so interessant und frisch. Toller Auftakt!
Dann hieß es erst einmal: Zum Wohl die Pfalz – mit einem von Uli Metzger eigens für Gräfe gemachtem Riesling. Eigentlich das, was wir einen Reparaturwein nennen – also einer, der nach einem Abend mit auch anstrengenden Weinen notorischen Weintrinkern das Pils danach ersetzt. „Siebensäure Dreizucker“ hörte ich den Gräfe Matthias zu diesem Riesling aus dem Jahr 2014 noch sagen – aber was sind technische Werte schon gegen eine Zwölf auf der genau dort endenden Trinkflussskala? Derlei Weine haben nur einen Nachteil: Sie leiden unter Schwund im Glas. Fürchterlich. Wir ließen uns ablenken mit einem kleinen Gruß aus der Küche, der auch aussah wie ein Dessert, aber das war gar kein Windbeutel, sondern ein Bergkäsebeutel – also pikant. Happ und weg, leider. Wie der Riesling.
Aber es sollte ja weiter gehen mit einem 2014er „Hot Stone Day“ Silvaner, Hopfengart, Franken. Andreas Hopfengart ist nicht nur Kellermeister im renommierten Weingut Roth in Wiesenbronn, sondern auch Sohn seiner Eltern – und die betreiben in Buchbrunn auf gerade mal 1,5 Hektar Weinbau mit Anspruch. Hot Stone von der besten Weinlage der Hopfengarts, dem „Buchbrunner Heißen Stein“, gibt es als Day (Silvaner) und Night (Spätburgunder). Na gut, wer als Winzer den Hopfen im Namen trägt, darf auch Wein mit Kaffewerbungs-Anklang machen. Zumal dann, wenn’s ein schöner Wein ist! Mit dem Wein genossen wir den ersten Gang: Türmchen von gebratenem Gemüse auf Quinoa-Strudel, Bobalis-Büffelmozzarrella und Kürbiskernpesto. „Wir bieten bei Vorbestellung eine vegetarische Menü-Alternative an“ heißt es bei Gräfe – hier nicht nötig, denn der Gang ist vegetarisch, und statt dessen was mit Fleisch wollte keiner haben, denn Nicolle Kirsten hatte es verstanden, aus den Gemüsen reichlich Geschmack herauszukitzeln. Ohne die köstlichen Büffelmozarellakügelchen wäre es sogar ein veganer Gang – aber die hätten wir nicht missen mögen!
Auf dem optisch klaren Etikett des nächsten Weins steht „Gräfes Weiss“ und ein verspielt wortwitziges weinzigartig. Der 2014er „Weinzigartig“ Chardonnay und Sauvignon Blanc, Büchin, Baden besteht zu 85 Prozent aus Chardonnay und 15 Prozent aus Sauvignon Blanc, genau so wollte Gräfe diesen Wein vom Weinhaus Büchin im Markgräfler Land haben. Dazu naschten wir eine Petersilienwurzel-Rahmsuppe, Wildkräuteröl und eine kleine Semmelknödelpizza, die auf winziger Fläche viel Geschmack unterbrachte. Und das Süppchen? Mindestens so schmelzig wie der Chardonnayanteil im Wein!
Für den Hauptgang hatte sich die Küche Zeit genommen und auf Risiko gekocht, gemäß der Devise butterzarte Bäckchen kann jeder – wir trauen uns mal was: Ein Stück aus der Schulter, lange lange lange gegart, bis es dann würziger als Bäckchen und nicht weniger zart war. Geschmorte Rinderschulter, Kartoffelstampf, Haselnussbutter und Karotten-Bohnen-Gemüse erhielt doppelte Weinbegleitung, wenn man wollte: Entweder den 2012er „Schellmann in Gumpoldskirchen“, Spätrot und Rotgipfler, Loimer, Österreich und/oder den 2013er St. Laurent, Gaul, Pfalz. Weil wir ja notorisch neugierig sind, entschieden wir uns für den genussvollen Vergleich. Österreich gegen Pfalz, weiß gegen rot. Der alte Hase Fred Loimer gegen die jungen Schwestern Karoline und Dorothee Gaul. Erschreckendes Ergebnis: zum kräftigen, buttrigen, würzigen Fleisch gingen beide! Der kräftige St. Laurent wäre ja ein idealer Begleiter gewesen – wenn da nicht dieser Weiße mit den nach Rotwein klingenden Trauben gewesen wäre. Spätrot und Rotgipfler, beides autochthone Reben aus der Gegend um Gumpoldskirchen, haben Traminer in ihren Genen – und der sorgt erkennbar für nicht vordergründig-interessante Würze im ansonsten sehr nuancenreichen Wein. Rundensieger!
Kurz vor satt kam die Ankündigung zum Dessert, und wir hörten: Buttercreme und Schokoladeneis. Und wir dachten: Au weia, wohin damit? Dann stellte Matthias Gräfe den Wein zum Dessert vor – 2012er Chardonnay Auslese, Hanke, Sachsen. Noch ein Grund zum Nachdenken: Huch? Chardonnay aus Jessen? Ob das was wird? Das Etikett – und ja, von sowas lassen wir uns manchmal leiten! – unterstützte merkwürdige Gedanken. Aber würde uns der Gräfe was anbieten, das er nicht selber trinken würde? Sicher nicht. Also munter gerochen und probiert: Sieh an, der Jessener Gorrenberg vermag ja Erstaunliches hervorzubringen! Kann man machen – und fürs Etikett (wie auch die Webseite) könnten die Hanke-Brüder ja mal jemand fragen, der sich mit sowas auskennt. Bleibt das Ding mit der Buttercreme. Hat sich auch aufgelöst. Das Hispanola-Schokoladeneis überraschte uns mit einzigartigem Geschmack – und die Buttercreme um das Apfel-Frischkäse-Törtchen war das leichteste ever. Das leckerste auch, weil in der Küche mit netten Tricks gearbeitet wird, so dass die Buttercreme schön nussig schmeckte. Beim inoffiziellen Wettbewerb ums beste Dessert ist das ein Anwärter!
Gräfes Wein & Fein
Hauptstraße 19 D
01445 Radebeul
Tel. 0351.8365540
www.graefes-weinundfein.de
Öffnungszeiten für das Menü:
Fr – Sa ab 18 Uhr auf Reservierung | Mo – Do auf Anfrage ab 4 Personen
Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.
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