Verdamp lang her

Niedeckens BAP spielten zum Bergfest ihrer Tour im Alten Schlachthof Dresden

Konzert im Sitzen

Wir werden ja alle älter, da tut ein wenig sitzen vielleicht ganz gut. Aber bei Wolfgang Niedecken (Jahrgang 1951) und seiner Band BAP (Jahrgang 1977) weiß man dann ja meist nicht, wohin mit all den Gliedmaßen. Schließlich heißt das Kölschrock, was die Band spielt! Aber man kann ja aufstehen, wenn’s zu sehr zuckt. Und als Schreiber (Jahrgang 1951) ist man am Ende des über dreistündigen Konzerts (ohne Pause) dann doch nicht ganz unfroh, auch mal gesessen zu haben. Da hatten es die Musiker um Wolfgang Niedecken nicht so leicht, sie gönnten sich nach hundert Minuten lediglich eine Phase mit Songs im Sitzen zu spielen und rockten ansonsten den Alten Schlachthof ganz gehörig ein.

BAPNiedecken steht ja für viele Dinge. Gerne wird er mit Bob Dylan verglichen, was ich weniger nachvollziehen kann. Ich würde ihn ja eher mit Bruce Springsteen gleichsetzen, weil Niedeckens BAP in ihren Konzerten die Balance zwischen straightem Rock und einfühlsamer Ballade ebenso überzeugend zu halten weiß. Kölschrock hat, wem sag ich das, natürlich als erste Silbe das Kölsch im Wort. Und das ist, wenn man ein Immi ist (also nicht von dort kommt), eine nahezu unverständliche Fremdsprache. Auf der Webseite von BAP gibt es daher die Songtexte im Original und in hochdeutscher Übersetzung, was zu lesen sich lohnt, um auch wirklich zu verstehen, was der Jung da vorne singt. Mein Vorschlag wäre ja, BAP plant bei der nächsten Bühnenshow für Konzerte im außerrheinischen Ausland Obertitel ein, so wie in der Semperoper, wenn sie Italiener geben.

BAP goes New Orleans
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In Niedeckens Alter wird man schon mal sentimental und blickt zurück, keineswegs im Zorn. Und so wurde die Bühne, die vom Stil her an seinen jüngsten Aufenthalt in New Orleans erinnern soll, wo Niedecken im vergangenen Jahr sein fünftes Solo-Album aufgenommen hatte. Die Songs von „Reinrassije Strooßekööter/Das Familienalbum“ bilden, reich bebildert, einen Schwerpunkt des Konzerts. Und gerade hier, bei den neueren Titeln, fehlt dem nicht ganz so treuen Publikum die Mitsingtextgrundlage. Dafür gibt es fabelhafte New-Orleans-Momente, mit Cajun-Punk beim Jebootsdaachspogo und einer Bläser-Marching-Band, die der Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau einen ganz neuen Touch gab.

Du kanns zaubre
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Die Frau, die da zum Schluss des New-Orleans-Clips so wunderschön die zweite Stimme gibt, hatte im Alten Schlachthof übrigens ein Heimspiel: Anne de Wolff ist gebürtige Dresdnerin. Ihre Farben sind nicht rot-weiß-blau gestreift, sondern eher so schwarz und schwarz – aber dafür ist sie der musikalische Tausendsassa (oder heißt das die musikalische Tausendsassarin?). Sie singt, sie spielt Geige, Cello, Posaune, Mandoline, diverse Percussions, Harmonium, Akkordeon und wenn es sein muss auch Waschbrett. Bei Du kanns zaubre an der Geige – war sie da die Zauberin? Könnte durchaus sein. Wobei das selbstredend auch ohne sie ein Lied ist, dass jedem Köllsche Jung die Pipi in die Augen treibt, selbst wenn er nur ein Bönnsche ist und selbst das nur zu- und später wieder weggezogen…

Verdamp lang her
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Wolfgang Niedecken schrieb schon immer Texte, die auf Missstände hinwiesen. Er war einer der Initiatoren des Kölner Konzerts Arsch huh, Zäng ussenander gegen Rassismus und Fremdenhass und erhielt dafür das Bundesverdienstkreuz. 1992 fand das Konzert übrigens statt, was den traurigen Schluss zulässt, dass Fremdenhass nichts Neues ist und vielleicht mal wieder ein Konzert nötig wäre. Immerhin steht die Tour, die BAP nach Dresden führte, ja unter dem Titel „Live & deutlich“, und unter den knapp 30 Titeln des Konzertabends waren mit Absurdistan, Kristallnaach und natürlich Arsch huh, Zäng ussenander auch gesellschaftspolitische Texte zu hören. Wichtig, richtig und gut. Aber am schönsten war’s dann doch, als BAP am Ende der zweiten Zugabe endlich Verdamp lang her spielte, vor dem Bild des Lebensmittelladens seines Vaters Josef Niedecken. 37 Jahre alt und frisch wie immer.

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