Manchmal ist Dresden ja wirklich verrückt. Also ich meine das verrückt im durch und durch positiven Sinne, wo man sich freut, wenn andere den Kopf schütteln und sagen: Du bist ja verrückt. Ja doch, gerne. Sehr gerne sogar, wenn man einen grandiosen Genuss-Abend mitten in Dresden beginnt und ihn dann rund 20 Kilometer weiter nördlich in einem Gasthof auf dem Lande fortsetzt, nicht ohne den Weg dahin mit einer gelungenen Eierschalen-Assiette kurzweilig zu gestalten.
Klingt komisch? War es auch. Wir besuchten nämlich die Burgunderzentrale, ein zweimaliges Joint Venture mit Jens Pietzonka von der Dresdner Weinzentrale und Olav Seidel vom Gasthof Bärwalde. Die beiden hatten sich im Rahmen der Kochsternstunden zusammengetan, um an zwei Abenden ganz großes Küchenkino zu zelebrieren. Die temporäre Burgunderzentrale erwies sich dabei als ein Lustspiel in drei Aufzügen mit einer Zugabe.
Erster Aufzug: In der Weinzentrale.
Treffpunkt Weinzentrale, am Rande der Dresdner Neustadt. Bekannte Gesichter allenthalben – die Szene ist überschaubar, man kennt sich meist. Hinter der Theke Jens Pietzonka und Jana Schüller, es gibt zur Begrüßung einen Cremant de Bourgogne von François Mikulski. Wer braucht da noch Champagner? Dann kommt aus der Küche Daniel Heinrich mit einer Zinkbadewanne voller Austern. Endlich Gefäße in der richtigen Größe – und nie war der Gruß aus der Küche wörtlicher zu nehmen! Es gibt reichlich, wir schlürfen genussvoll Cremant und Austern.
Die erste Vorspeise ist das, was in der Weinzentrale kleine Schmakazie heißt: Entenleber mit Roter Bete. Ein Hauch von Schaum, wozu was am besten passt? Ein Hauch von Schmelz! 2014 Weißburgunder und Chardonnay vom Weingut Weinreich (Rheinhessen) aus der Magnum serviert.
Zweiter Aufzug: Im Bus.
Mittlerweile war eins der langen gelben Taxis vorgefahren, Zeit zum Umsteigen. Wir sind in Dresden ja meist mit den Öffis unterwegs, aber so haben wir die Dresdner Verkehrsbetriebe noch nie erlebt: Statt einer wichtig-popichtig vorgetragenen Aufforderung nach Fahrschein bitte! gab es Wein. 2013 Weißburgunder von Hansjörg Rebholz (Pfalz) – da schmeckte man doch gleich, was man am Vorabend verpasst hatte, als Birgit und Hansjörg Rebholz mit ihren großartigen Weinen in der Weinzentrale zu Gast waren. Eine schwere Übung, denn es ruckelt im Bus, beim Anfahren, beim Abbiegen, beim Bremsen. Loriot hätte seine Freude gehabt und sicher Stoff für einen Sketch gefunden. Zumal die zweite Vorspeise, Ochsenschwanz mit Weißkraut, in zwei Weckgläschen serviert wurde, die in einer Eierverpackung mit speziellem Zuschnitt zur Aufnahme des Weinglases gereicht wurden. So konnte die größte Fehlentscheidung bei der Entwicklung des Menschen (es fehlt der dritte Arm, um alles zu halten!) geschickt kompensiert werden.
Dritter Aufzug: Im Gasthof Bärwalde.
In Bärwalde warteten Olav und Manuela Seidel schon auf die Gäste aus der Residenzstadt. Der holzbefeuerte Herd bollerte in der Küche, der Gastraum war fein eingedeckt, die Weine standen bereit.
Jeweils zwei Weine gab es zu den beiden Hauptgängen, weil es ja immer nett ist zu vergleichen. Und außerdem waren wir ja mit dem Bus gekommen! Los ging’s mit einem 2014 Grauburgunder FRANZ ANTON vom Weingut Franz Keller. Von Hand gelesene Trauben werden gepresst und für acht Monate im kleinen Eichenholzfass auf der Feinhefe ausgebaut. Herrliches Bukett und was für ein lang anhaltender Abgang! Im anderen Glas ein 2013 Bourgogne Blanc von der Domaine Henri Boillot. Das war ja nun einer, der süchtig machen könnte, aber sowas von. Rassig-elegant, schöne eingebundene Säure, schmelzige Mineralität. Hach…
Der erste Gang in Bärwalde: Pot-au-feu von der Kalbskuttel in Krebsschaum mit „Karpfenbries“ erschloss sich in seiner kulinarischen Bedeutung nicht jedermann sofort. „Soll ich’s sagen oder besser nicht?“ hatte sich der Herr Seidel zu Beginn des Abends noch gefragt – und für verraten entschieden: was im Menü Karpfenbries hieß, ist Sperma des Karpfen. In reichlich Butter gebraten, erinnerte es von Geschmack und Konsistenz schon ein wenig an Kalbsbries (gibt’s auch viel zu selten!) und war somit ein großartiges Kapitel im Buch „Wieder was gelernt!“.
Der zweite Gang in Bärwalde: Taube demi-deuil. Schon wieder Erklärungsbedarf! demi-deuil bedeutet Halbtrauer – sowas gibt’s ja eigentlich nur in Frankreich. Also die Sache mit der Halbtrauer von Menschen, wenn sie im Trauerjahr schon mal weiß mit schwarz kombinieren. Im Küchenjargon ist das demi-deuil eigentlich alles andere als eine halbe Sache: da wird weiß wie Geflügel (meistens Huhn) mit schwarz wir Trüffel kombiniert. Olav Seidel interpretierte es auf seine Art und nahm Taube (eher rot als blass). Da Taube ja nicht aller Gäste Ding ist, kann man die zusätzlich aufwerten und sie füllen. Irgendwas mit Leber geht da immer (womit ich zart andeuten muss, dass ich nicht mehr weiß, ob es Enten- oder Gänseleber war. Es war, so oder so, eine sehr schmelzig-schmackhafte Leber…)!
Wir sind jetzt rein geschmacksmäßig mitten im Burgund, was sich weinseitig so ausdrückt: 2012 Chassagne Montrachet rouge –Vieilles Vignes von der Domaine Paul Pillot hier und einen 2010 Santenay 1er Cru «Clos Tavannes» von der Domaine de la Pousse d´Or da. Natürlich gingen beide – Olav Seidel und Jens Pietzonka wissen ja, was sie tun. Also bleibt subjektiv der eigene Geschmack – und der tendierte ganz klar zum 1er Cru. Auf den etwas über 2 ha des von Mauern umgebenen Weinbergs (muss ja, wenn es schon Clos… heißt!) steht nur Pinot Noir. Die ältesten Reben (immerhin noch 29%) stammen aus dem Jahr 1920, die jüngsten aus dem Jahr 1998. Gearbeitet wird biologisch und umweltschonend im Weinberg, überlegt und mit so wenig Technik wie möglich im Keller. 15 Monate reift der Wein in Holzfässern (ein Fünftel davon sind neu) – und was heraus kommt, ist eine Wucht in Tüten. Pardon: natürlich in Gläsern.
Nach einem Vordessert – Parfait au Mocca «1898» – erlebten wir (aus unserer Sicht: endlich mal wieder – stand lange nicht auf der Karte des Gasthauses) eine Karamellisierte Créme d´Anjou / Passionsfrucht und Kumquat und schlossen dabei ehrfürchtig die Augen, nur um sie ganz kurz zu öffnen, weil wir doch den Wein auch sehen wollten. Aha, eine Beerenauslese aus dem Badischen, ein 2012 Bischoffinger Steinbuck Ruländer Zeit. Geht noch was? Na gut: ein Betthupferl für den Bus zurück. Mann Mann Mann…
Für die Chronik: Wir bezahlten für das 5-Gänge-Menü, acht Weine, Wasser, und Transfer 110 € – rein zahlenmäßig das teuerste Menü der diesjährigen Kochsternstunden. Wahrscheinlich war es aber das preiswerteste überhaupt, denn was Jens Pietzonka und Olav Seidel da an Weinen und Speisezutaten aufgerufen hatten, war schon ein Statement: Seht her, wir können Qualität. So gesehen sollte es die Burgunderzentrale bald mal wieder geben – auch wegen der reuefreien Rückreise im Bus 😉 .
Weinzentrale
Hoyerswerdaer Straße 26
01099 Dresden
Tel. 0351 / 89966747
www.weinzentrale.com
Gasthof Bärwalde
Kalkreuther Str. 10A
01471 Radeburg
Tel. 035208 / 342901
[Besucht am 27. Februar 2016 | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.
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